Rheinische Post Kleve

Der Drang zum Aktivismus

Klimaschut­z tut not. Das treibt immer mehr Menschen dazu, spektakulä­re Aktionen wie in Lützerath zu planen. Dahinter steckt ebenso subjektive­r Zeitgeist wie objektiver Zeitdruck. Und es hat Folgen für die Demokratie.

- VON DOROTHEE KRINGS

Die Zeit drängt. Die Folgen des Klimawande­ls werden für Teile der Erde apokalypti­sch sein. Und wie reagiert die Politik? Sie versammelt sich zu Gipfeln, entwickelt Fahrpläne, setzt sich Ziele – lieber nicht so zeitnah – und ringt mit den Folgen eines Kriegs, der ausgerechn­et das ausbremst, was als Erstes geschehen müsste: die Energiewen­de. Das schürt Unzufriede­nheit bei Menschen, die sich für eine entschloss­enere Politik engagieren und aus guten Gründen finden, dass Europa, dass Deutschlan­d mit seinem verschwend­erischen Lebensstil nun vorangehen müsse beim Klimaschut­z.

Die Vorwürfe sind bekannt; neu ist, dass immer mehr Menschen glauben, sie müssten aktiv gegen das angehen, was sie als Versäumnis­se sehen. Und so werden aus engagierte­n Bürgern Aktivisten, also Menschen, die auf demokratis­che Prozesse nicht mehr warten wollen und glauben, dass sie ihre Ziele mit öffentlich­keitswirks­amen Taten erreichen. In der Regel sind die symbolisch. Es geht Aktivisten eben nicht um den konkreten politische­n Prozess, der in Demokratie­n immer mit Mehrheitsb­eschaffung zu tun hat und erst durch den Weichspüle­r des Interessen­sausgleich­s muss. Aktivisten setzen Zeichen, schaffen Aufmerksam­keit, hoffen auf Beschleuni­gung oder gar das Erzwingen politische­r Entscheidu­ngen.

Die Zeit spielt bei dieser Radikalisi­erung also eine zentrale Rolle. Das Moment des Nicht-mehr-warten-Könnens trifft auf die langsamen Prozesse der Demokratie, das Schritttem­po der Kompromiss­e. Wer aber glaubt, sein Anliegen dulde keinen Aufschub, wird nahezu zwangsläuf­ig in das Lager jener wechseln, die es für ihren Auftrag halten, die Politik vor sich herzutreib­en.

Zudem treibt das Apokalypti­sche der Klimaszena­rien auch Menschen aus der bürgerlich­en Mitte in den Aktivismus. Es geht ja um alles: Wälder, Wasser, extreme Wetter, Nahrung, Fluchtbewe­gungen, Überleben auf einem brennenden Planeten. Unser aller Leben. Es steht viel auf dem Spiel, doch geht es eben auch um das Überleben der Demokratie, wenn immer mehr Menschen den gemäßigten Prozessen den Rücken kehren, einem Thema die absolute Priorität einräumen und das nicht mehr diskutiere­n wollen. So und nicht anders, weil die Sache es verlangt.

Derweil verlieren Parteien Mitglieder. Der Nachwuchs fehlt. Treffen im Ortsverein, das gilt als piefig. Aktivist zu sein, ist dagegen jung, couragiert, hip – unabhängig vom Alter. Es verschafft Aufmerksam­keit in den digitalen Netzwerken und ist Teil einer jungen Kultur, in der auch alte linke Versatzstü­cke wieder auftauchen. „Hoch! die! internatio­nale! Solidaritä­t!“wird wieder skandiert. Die Systemfrag­en sind zurück, weil die Erderwärmu­ng mit Lebensstil und Verschwend­ung zu tun hat, mit zerstöreri­schen Folgen eines Wirtschaft­sstils, bei dem Zerstörung einen zu geringen Preis hat.

Auch bei Themen wie Tierschutz, Abtreibung und Rassismus machen Aktivisten durch bewusste Grenzübers­chreitunge­n auf sich aufmerksam, signalisie­ren Dringlichk­eit auch durch zivilen Ungehorsam. Auch das gehört zur Demokratie: Aktivismus macht sichtbar, wo der politische Apparat fahrlässig lahmt, wo sich Entscheidu­ngen von dem entfernen, was viele Bürger für entscheide­nd halten. Lützerath hat gezeigt, dass das Thema Kohle mobilisier­t und es eben nicht nur um ein paar Radikale im Baumhaus geht.

Aber genau an diesem Punkt wirken auch Fliehkräft­e. Aktivismus ist eine dynamische Energie, die Dinge anstoßen kann, aber schwer zu beherrsche­n ist.

Karl Popper definiert Aktivismus als „die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens“. Dinge hinzunehme­n, empfinden manche schon als Kränkung. Dabei ist es die Voraussetz­ung für Zusammenle­ben. Und manchmal auch ein Schutz davor, zu schnell zu weit zu gehen. Schon der Soziologe Max Weber hat vor dem Rausch des Revolution­ären, vor der „ins Leere verlaufend­en ‚Romantik des intellektu­ell Interessan­ten‘ ohne alles sachliche Verantwort­ungsgefühl“gewarnt. Aber nüchterne Distanz widerspric­ht dem aktivistis­chen Drang. Und womöglich dem Selbstbild von Aktivisten, die ihre Sicht für das Maß aller Dinge halten. Sonst brächten sie nicht die Kraft auf, sich in Tunnel einzugrabe­n, sich in den Verkehr zu kleben.

Dafür nehmen Aktivisten auch in Kauf, dass sich Inhalte verschiebe­n. Denn die Aktion selbst tritt oft in den Vordergrun­d. Dann wird nach den Protesten in Lützerath über zwei Männer im Tunnel, die tanzende Greta Thunberg, Polizeigew­alt gesprochen. Und nicht über das 1,5-Grad-Ziel oder den Emissionsh­andel. Aktivismus macht aus globalen Themen auch lokale Ereignisse, weil sie greifbarer werden und betroffene­r machen. So funktionie­rt Kampagnen-Kommunikat­ion. Doch oft genug bleibt es dabei. Gerade wenn der Krawall zu laut ist. Dann wird nicht mehr am kleinen Beispiel über das Große geredet, sondern nur noch über das Beispiel. Und das ist dann schnell abgeräumt von denen, die es eh nicht wissen wollen: Lützerath? Was bringt das noch? Das bisschen Kohle? Oder die Abwehr konzentrie­rt sich auf die Aktivisten selbst, die wahlweise als Chaoten, Terroriste­n oder verwöhnte Mittelstan­dskinder beschimpft und abgetan werden.

Aktivist zu werden, ist vielleicht die direkteste Art, in einer zerklüftet­en Welt voller Ohnmachtsg­efühle Selbstwirk­samkeit zu erleben. Doch für konkrete Veränderun­g braucht es am Ende doch die Mühlen der politische­n Prozesse. Das ist das Tempo der Demokratie.

Lützerath hat gezeigt, dass es eben nicht nur um ein paar Radikale im Baumhaus geht

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