Rheinische Post Kleve

Balsam für die deutsche Fußballsee­le

Mit der Entscheidu­ng für Rudi Völler als Direktor der Nationalma­nnschaft vollzieht der DFB eine Kurskorrek­tur. Statt um Marketing und Zeitgeist soll es vor allem um Leistung und Sport gehen. Der 62-Jährige will die entstanden­de Kluft zwischen Fans und Pro

- VON DORIAN AUDERSCH

Der Ruhestand von Rudi Völler hat nicht lange gehalten. Die Bilder seines Abschieds in Leverkusen sind noch in lebhafter Erinnerung. Der Weltmeiste­r von 1990 wurde nach gut zwei Dekaden in verschiede­nen Funktionen beim Werksklub gebührend geehrt. Bei Bayer beendete er einst seine Karriere als Profi, sprang anschließe­nd auch mal als Interimstr­ainer ein, war aber die meiste Zeit Sportdirek­tor und zuletzt Sportgesch­äftsführer. Die Fans bereiteten zum Abschluss der vergangene­n Saison eine Choreograf­ie mit den besten Sprüchen der Klubikone vor. Nach dem Spiel ging er zu den Ultras in die Nordkurve, die nicht immer mit dem Wirken des Funktionär­s Völler einverstan­den waren, und ließ sich feiern. Es war ein emotionale­r, harmonisch­er und versöhnlic­her Nachmittag.

Nur rund 250 Tage währte Völlers neues Leben in der zweiten Reihe. Er wechselte in den Gesellscha­fteraussch­uss und sollte als Bayers Botschafte­r in Erscheinun­g treten, allerdings sehr dosiert, wie er selbst betonte. Diese Ämter lässt Völler vorerst ruhen, um als Direktor der Nationalma­nnschaft ins Rampenlich­t zurückzuke­hren – allerdings nicht, weil er es gesucht hätte.

„Gibt’s denn keinen anderen?“habe er intern gefragt, als immer mehr Finger bei der Frage nach einem Nachfolger für Oliver Bierhoff auf ihn zeigten. So erzählte es Völler am Freitag bei seiner Vorstellun­g. Den gab es offensicht­lich nicht und der 62-Jährige sprang in die Bresche. Das war schon im Jahr 2000 so. In größter Not des DFB übernahm Völler den Posten des Teamchefs. Wenn er gebraucht wird, kann er nur sehr schwer Nein sagen. Überrasche­nd führte er das Team damals bis ins gegen Brasilien verlorene WM-Finale 2002, nach dem Aus in der Vorrunde der EM 2004 war Schluss und der Weg des einstigen Weltklasse­stürmers führte zurück nach Leverkusen.

Völlers langjährig­e Weggefährt­en beschreibe­n ihn stets mit den gleichen Adjektiven. Ehrlich sei der gebürtige Hanauer, verlässlic­h, authentisc­h und gutmütig, in der Außenwirku­ng allerdings bisweilen impulsiv. Letzteres ist durch etwaige Interviews hinlänglic­h dokumentie­rt, die inzwischen Kultstatus genießen. In Leverkusen stellte sich Völler zudem oft vor kriselnde Trainer, die er wie ein menschgewo­rdener Blitzablei­ter vor allzu harscher Kritik schützte. Ein Mann für klare, gerne auch markige Worte, wenn ihm etwas nicht passt.

Wie er seinen bis zur EM 2024 befristete­n Job macht, wird die Zukunft zeigen. Klar ist, dass er als Gegenentwu­rf zu Bierhoff gilt, der mit seiner aalglatten Fokussieru­ng auf Marketing und Kommerz seinen Teil zur Entfremdun­g zwischen Fans und Mannschaft beigetrage­n hat. Diese Kluft zu verkleiner­n, sieht Völler als seine Mission. Ob die Profis wieder näher an der Basis und weniger in Luxushotel­s sein sollten, bezeichnet er zwar als „scheinheil­ige Diskussion“, aber er betonte bei seiner Vorstellun­g auch, dass in der Vergangenh­eit Fehler gemacht wurden,

unter anderem bei der Debatte um die „One-Love-Binde“während der sportlich wie politisch missglückt­en WM in Katar. Jetzt gelte es, die Fans wieder zu begeistern. „Das geht nur über Leistung“, betonte der ehemalige Nationalsp­ieler mit 90 Einsätzen für den DFB. Man könne die Zeit nicht zurückdreh­en, aber man könne viele Dinge verbessern.

Die Liste der Aufgaben ist lang, die Zeit bis zur EM im eigenen Land knapp. Die entscheide­nde Arbeit müssen freilich Bundestrai­ner Hansi Flick und die Nationalsp­ieler erledigen. Das ist Völler bewusst. Aber er wolle möglichst oft auf am DFBCampus in Frankfurt vor Ort sein und den Kontakt zu den Mitarbeite­rn pflegen.

Ein Menschenfä­nger ist er zweifellos. Wo er auftaucht, kommen Leute auf ihn zu, wollen Autogramme, ein Selfie oder einfach nur einen kurzen Plausch – und Völler nimmt sich die Zeit, egal ob beim Check-in an irgendeine­m Flughafen, auf dem Weg in den Mannschaft­sbus nach einem Spiel in Freiburg oder während Bayers PR-Reisen wie nach der vergangene­n Saison in Mexiko. Er wird überall erkannt. Mit der Personalie Völler reibt der DFB Balsam auf die durch Misserfolg und fehlende Identifika­tion geschunden­e deutsche Fußballsee­le – ein Mann der alten Schule als Brückenbau­er zwischen der durchgesty­lten Parallelwe­lt der Profis und dem Fan in der Kurve. Kann das klappen?

Der erste Reflex ist einfach: Als 62-Jähriger, der mit seinen Äußerungen zu Politik und Gesellscha­ft nicht unbedingt als progressiv eingestuft werden kann, ist er eine Fehlbesetz­ung für den Neustart. Auf den zweiten Blick bringt Völler indes vieles von dem mit, was der Job verlangt. Er kennt das Fußballges­chäft wie kaum ein Zweiter, genießt national wie internatio­nal große Anerkennun­g, hat reichlich Erfahrung als Funktionär und scheut sich – auch intern – nicht vor scharfkant­igen Analysen. „Rudi und ich kennen und sehr lange. Am Anfang haben wir öfter gestritten“, sagte DFB-Vize Hans-Joachim Watzke. Mittlerwei­le habe man jedoch ein Vertrauens­verhältnis gefunden. Diese kleine Brücke ist also immerhin schon gebaut.

„Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich entschloss­en habe. Ich werde nun mit sehr viel Freude und Elan rangehen“, betonte Völler. Eine Verlängeru­ng über die EM hinaus komme aber nicht infrage. „Das ist mein Plan und der Grund, warum ich es mache: Weil es die Heim-EM ist und wir die Gunst der Zuschauer zurückgewi­nnen wollen.“

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Rudi Völler stellte sich am Freitag als neuer Sportdirek­tor der Fußball-Nationalma­nnschaft der Männer den Fragen der Journalist­en.

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