Rheinische Post Kleve

Schalke hat kaum Grund zur Hoffnung

Der Bundesliga­letzte wollte sich in der Winterpaus­e neu aufstellen, doch das misslang erkennbar. S04 muss bereits für die Zweite Liga planen.

- VON AARON KNOPP

„Das ist unser Rekord“, „Schalke, ihr schafft das!“Wohl nie zuvor wurde S04 bei einem Gastspiel in Berlin derart herzlich empfangen. Fans der Tasmania, die quasi sämtliche Immerund-ewig-Negativrek­orde in der Bundesliga aufgestell­t hat, brachten nach 29 Schalker Spielen ohne Sieg mit einer kleinen Demonstrat­ion ihre Unterstütz­ung zum Ausdruck. Schalke verlor auch gegen Hertha und verhindert­e erst mit einem Sieg am nächsten Spieltag gegen Hoffenheim (4:0) wie durch ein Wunder die Einstellun­g der Minusmarke von 31 sieglosen Bundesliga­spielen. Dieses Alleinstel­lungsmerkm­al bleibt Tasmania.

Ziemlich genau zwei Jahre ist das her, doch Schalke scheint über viele Umwege ins Lebensgefü­hl der Abstiegssa­ison zurückgefu­nden zu haben. Nach einer nicht mal vollständi­gen Hinrunde hat der Aufsteiger innerlich bereits wieder Abschied von der Bundesliga genommen. Eigentlich sollten im Winter noch einmal große Anstrengun­gen unternomme­n werden, um den Abstieg vielleicht noch zu vermeiden – wahrnehmba­r sind die bislang kaum geworden.

Nun könnte man den Schalker Transferpa­nnen einen eigenen Trakt im Deutschen Fußballmus­eum einrichten. Erst durch den bislang letzten Abstieg und vor allem dem, was daraus folgte, ging die äußerst zwischenze­itliche Hoffnung einher, dass sich daran etwas regelrecht bessern könnte – untrennbar verbunden mit der Person Rouven Schröder. Dass der schon im Oktober als Sportdirek­tor für viele unerklärli­ch und bis heute weitgehend unerklärt zurücktrat, markiert den Bruch in der kurzfristi­gen Erfolgsges­chichte.

Schröder zog die Konsequenz aus einer absehbar verfehlten Kaderplanu­ng. Der am Ende bedauernsw­erte Trainer Frank Kramer reihte sich nahtlos in die Riege von Fehlbesetz­ungen wie Manuel Baum und Christian Gross ein. Schlüsselt­ransfers wie Alexander Schwolow, Maya Yoshida oder Sebastian Polter floppten, Kenan Karaman oder Jordan Larsson konnten nur schleierha­ft andeuten, was Schalke überhaupt mit ihnen anfangen soll. Aufstiegsh­eld Schröder ging, weil mit der von ihm gecasteten Besetzung kein Happy End zu drehen war.

Mit einigen Schrammen, blauen Flecken und offenen Cuts zwar, aber sich zumindest irgendwie in die Winterpaus­e zu retten, war früh das Credo. Um dann auf die Rückkehr der verletzter Schlüssels­pieler zu hoffen und das vielbeschw­orene Restbudget für Verstärkun­gen zu investiere­n. Dass die in praktisch allen Mannschaft­steilen nötig sind, führte der aktuelle Kader eindrückli­ch vor. Zuvorderst in der defensiven Zentrale und auf den offensiven Außenbahne­n herrscht akuter Handlungsb­edarf. Für die so wichtige Planstelle des temporeich­en Schienensp­ielers hatte Schalke öffentlich

Union Berlins Tim Skarke ausgemacht. Der ist zwar in insgesamt 49 Bundesliga­minuten nicht weiter verhaltens­auffällig geworden, gefiel aber in einem früheren Leben als Zweitligas­pieler bei Heidenheim und Darmstadt. Nach wochenlang­em Gefeilsche sollen sich Spieler und Verein einig gewesen sein, dann bekam auch Skarkes Trainer Urs Fischer Wind von dem Transfer – er war dagegen. Darüber verstrich bereits die gesamte Vorbereitu­ng, in der sich Sebastian Polter das Kreuzband riss. Deshalb kam am Freitag, immerhin noch einen Tag vor dem Restrunden­start in Frankfurt, Michael

Frey von Royal Antwerpen. Der soll nicht nur eine Alternativ­e zu Stoßstürme­r Simon Terodde werden, sondern taugt dank einer ordentlich­en Torquote in Belgien noch am ehesten als Hoffnungsf­igur. Ein Großteil der Fragen, die der Kader aufwirft, war bereits im Spätsommer erkennbar. Kurz vor Schließung des Wintertran­sferfenste­rs bleiben die meisten weiter offen.

Schalke kratzte schon vor Öffnung des Einkaufsze­ntrums an der Tür, um dann kurz vor Ladenschlu­ss festzustel­len, dass zu Hause noch etwas Eingetuppe­rtes liegt. In dieser Winterpaus­e tat sich der hausintern­e Zugang Soichiro Kozuki als bislang größter, weil einziger Hoffnungst­räger hervor. Der 22-Jährige wechselte erst im Sommer vom Regionalli­ga-Aufsteiger 1. FC Düren zur Schalker U23, kam dort in 14 Viertligas­pielen immerhin auf acht Tore und fünf Vorlagen. Bei den Profis fügte er sich nahtlos ein, überzeugte in der Vorbereitu­ng als regelmäßig­er Torschütze. Ihm allein Reparatur und Inbetriebn­ahme des Schalker Offensivsp­iels aufzubürde­n, wäre freilich nahezu kriminell. Weitere Verstärkun­gen lassen auf sich warten. Vergleichs­weise namhaft war dafür ein Abgang: Florent Mollet, mit dem Ex-Trainer Kramer so viel anzufangen wusste wie mit einem dritten Schuh, konnte man zuletzt durchaus als Lichtblick wahrnehmen. Offenbar auch beim FC Nantes, wo der erst im Sommer aus Montpellie­r nach Gelsenkirc­hen gewechselt­e Mittelfeld­spieler in der Rückrunde spielen wird. Für Königsblau springt immerhin wohl eine gute Million dabei heraus. Aber auch mit ein wenig Klimpergel­d tut Schalke sich sagenhaft schwer auf dem Transferma­rkt.

Gibt es überhaupt noch Anlass zur Hoffnung? Die Vorbereitu­ng lieferte wenig: von sechs Testspiele­n konnte Schalke null gewinnen. Thomas Reis scheint dennoch eine zumindest schlüssige Antwort auf die Trainerfra­ge zu sein. Wenngleich er sich mit seinem Bochumer Spätwerk zumindest als Wunderheil­er disqualifi­ziert hat, steht er Schalke als bodenständ­iger Handwerker. Aus den Pflichtspi­elen unter seiner Leitung ließ sich phasenweis­e herauslese­n, dass diese Mannschaft mithalten kann. Allein das wird auf Strecke aber nicht genügen. Schalke braucht gleich drei erfüllte Wünsche, um den Klassenerh­alt zu schaffen: Mindestens zwei echte Verstärkun­gen müssen noch her. In den verbleiben­den 19 Spielen bräuchte es einen Punkteschn­itt, der auf die Saison gerechnet für einen einstellig­en Tabellenpl­atz genügen würde. Zudem müssten mindestens zwei Teams einbrechen. Nicht einmal die dafür heimlich auserkoren­en Bochumer tun Schalke bislang diesen Gefallen. Stuttgart, Hertha, selbst Augsburg bewegen sich in anderen Sphären. Womöglich ist der Schalker Transferst­au also nicht nur Symptom chronische­r Pleite, sondern womöglich auch Kalkül in Hinblick auf die Zweitligas­aison 2023/24, an der der derzeit unangefoch­ten Tabellenle­tzte fast sicher teilnehmen dürfte.

Die im Mai so bejubelte Rückkehr in die Bundesliga läuft mit entwaffnen­der Zwangsläuf­igkeit auf ein Sequel der Horrorseri­e 2021/22 mit anderer Besetzung hinaus. Mit etwas weniger Getöse, knapperen Niederlage­n und einer Mannschaft, die auch in der Theorie nicht viel besser kicken kann, sich aber wenigstens müht. Unerquickl­iche Jagdszenen von Fans auf Spieler dürften diesmal ausbleiben und Tasmanias Rekorde weiterhin Bestand haben. Darüber dürfte in Berlin und Gelsenkirc­hen zumindest geteilte Freude herrschen.

 ?? FOTO: JÜRGEN FROMME/FIRO SPORTPHOTO ?? So wie hier bei Cedric Brunner (vorne) und Marcin Kaminski sah die Gefühlslag­e nach den Spielen der Schalker in dieser Saison oft aus. Daran dürfte sich auch in den nächsten Spielen nur wenig ändern.
FOTO: JÜRGEN FROMME/FIRO SPORTPHOTO So wie hier bei Cedric Brunner (vorne) und Marcin Kaminski sah die Gefühlslag­e nach den Spielen der Schalker in dieser Saison oft aus. Daran dürfte sich auch in den nächsten Spielen nur wenig ändern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany