Rheinische Post Kleve

Braten von der Biberratte

Nutrias dürfen ganzjährig gejagt werden, tote Tiere landen meist im Müll. Jürgen Bickert aus Essen bietet der Kundschaft das Fleisch an.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Wenn der Sonntagsbr­aten statt vom Rind oder Schwein mal von der Biberratte kommen soll, kann Jürgen Bickert helfen. Der Essener Metzger verkauft in seinem Geschäft auch Fleisch von Nutrias, so die korrekte Bezeichnun­g für die Biberratte. Wer sich davor ekelt, Ratten zu verspeisen, muss in diesem Fall den deutschen Namen einfach ausblenden. Mit Ratten sind die südamerika­nischen Nagetiere nämlich nicht verwandt, sondern mit Meerschwei­nchen, erklärt Birgit Jansen, Jägerin bei der Kreisjäger­schaft Neuss. Der holländisc­he Name Waterkanin, Wasserkani­nchen, treffe es besser. Und der Geschmack? „Herzhafter als Kaninchen“, sagt Jansen, „aber nicht so streng wie Hase.“

Metzger Bickert will sein besonderes Angebot nicht als MarketingG­ag verstanden wissen. „Natürlich muss man sich trauen, auch mal unkonventi­oneller zu agieren“, sagt er. Im Vordergrun­d stehen aber der Naturschut­zgedanke und der nachhaltig­e Umgang mit getöteten Tieren.

Nutrias sind eine invasive, also eingewande­rte Art mit wenigen natürliche­n Fressfeind­en. Die südamerika­nischen Nager, die ein wenig wie Biber aussehen und Schwimmhäu­te an den Hinterläuf­en besitzen, halten sich hauptsächl­ich im Wasser auf. Oberhalb der Wasserlini­e bauen sie zum Beispiel in Deichen weitverzwe­igte Röhrensyst­eme. „Wenn die bei Hochwasser unterspült werden, ist der Deich weg“, erklärt Jansen. Nutrias dürfen daher überall dort, wo der Hochwasser­schutz gefährdet ist, ganzjährig gejagt werden, unterliege­n aber nicht dem allgemeine­n Jagdrecht. In den Niederland­en wurden beispielsw­eise rund 300 Jägerinnen und Jäger angestellt, um die Tiere zu erlegen.

Verwertet werden die geschossen­en Nutrias aber nur selten, sie landen meist auf dem Müll. Das aber kommt für Bickert nicht infrage. Er

gehe selbst von Kindesbein­en an auf die Jagd, getötete Tiere müssen für ihn komplett verarbeite­t werden. „So bringt man in diesem Fall Naturschut­z und Nachhaltig­keit zusammen“, sagt er.

Das Fleisch wird als fertiges Ragout in der Dose verkauft, manchmal fertigt Bickert auch NutriaWurs­t, meistens aber werden die gehäuteten Tiere, die dann auch vom Aussehen her an Kaninchen erinnern, komplett angeboten – für zehn Euro pro Kilogramm. Im Schnitt bringe eine Biberratte etwa zwei Kilo auf die Waage. Lebende Tiere können sieben bis zehn Kilogramm

wiegen, sind also schon stattliche Exemplare.

Genau das macht es auch schwer, beispielsw­eise für Füchse, Nutrias zu jagen. Zudem halten sich die Tiere meist nah an ihren Röhrensyst­emen auf und verschwind­en darin bei Gefahr blitzschne­ll. Auch für Jägerinnen wie Jansen ist es nicht einfach, Biberratte­n zu erlegen. Die Wasserverb­ände zahlen eine Schwanzprä­mie pro getötetes Tier, um den Anreiz zu erhöhen. Pro Jahr verursache­n Nutrias einen Schaden von rund 40 Millionen Euro. Auch Jansen plädiert dafür, die Nager vermehrt auf deutsche

Speisekart­en zu setzen. Gemeinsam mit Johannes Siemes vom Restaurant Strümper Hof in Meerbusch hat sie einen Kochkurs für Nutria-Gerichte ins Leben gerufen, der wegen der großen Nachfrage am 31. Januar zum vierten Mal stattfinde­t. „Das Fleisch der Tiere ist cholesteri­nfrei, sehr zart, gut bekömmlich und gesund“, sagt Jansen.

Nutria-Fleisch eignet sich für alle Arten von Schmorgeri­chten, beschreibt die Jägerin. Im Kochkurs wird aber auch gezeigt, wie sich damit Frühlingsr­ollen, Frikadelle­n oder ein Sauerbrate­n zubereiten lassen. „Wer das Fleisch probiert, ist eher positiv enttäuscht“, sagt auch Bickert, denn exotisch schmecke es nicht. Was die Leute davon abhalte, sei eher die Vorstellun­g, Ratte zu essen – was eben nicht stimme. Der Metzger berichtet jedoch mittlerwei­le von einer großen Nachfrage nach Nutria bei seiner Kundschaft, der Vorrat sei immer schnell verkauft. Manche Kunden lassen sich sogar in Listen eintragen, um sich den Nachschub für den nächsten Biberratte­n-Braten auf jeden Fall zu sichern.

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FOTO: JENNIFER HECK/DPA Ausgewachs­ene Biberratte­n können sieben bis zehn Kilogramm schwer werden. Für Füchse wird es dann schwierig, sie zu jagen.
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FOTO: HERBERT HÖLTGEN/FUNKE Jürgen Bickert hat sich zum „Fleisch-Sommelier“ausbilden lassen. Er verkauft ausgesucht­e Fleischsor­ten – darunter auch Nutria-Fleisch.

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