Der Berg singt
Je weniger Schnee in den Alpen liegt, desto mehr Zeit bleibt den Urlaubern für Après-Ski. Dazu gehören: Bier, Marillenschnaps und sinnentleerte, sexistische Musik. Das ist offenbar ein unabänderliches Tiroler Naturgesetz.
Der Abend ist eingebrochen über Kaltenbach, dabei ist noch Nachmittag. Am Fuße der Talabfahrt, ein weißes Band in den grünen Bergen, hocken drei Kinder unter dem Tresen der Essstation. Sie essen, die Skisachen noch an, Leberkäse im Brötchen mit süßem Senf. Es schmeckt in etwa, das lässt sich nach eingehender selbstständiger Prüfung behaupten, wie von einer gut sortierten Tankstelle. Aber das macht nichts; außer den Kindern sind die meisten Konsumenten der Leberkässemmel nicht nüchtern.
Die Essstation ist die clevere Ausgliederung der Postalm, der größten Après-SkiHütte im Tal des Hochzillertals, dem „Place to be der Alpen“, wie man dort selbst findet. Mit der Postalm teilt sich die Essstation Inhaber und Musikgeschmack. Und so wird man beim Fast Food mit den Hits aus der Hütte berieselt. Die drei Kinder unter dem Tresen – die Semmeln sind verputzt –, wippen, tanzen und singen mit.
Über sein Mikrofon informiert der diensthabende DJ aus den Bergen die Angehörigen eines Hamburger Sportvereins, sich bitte zum Bus zu bewegen, letzte Abfahrt. Und er leitet über zum nächsten Song, nein, Hit! Er heißt: „Layla“.
„Ich hab nen Puff und meine Puffmama heißt Layla. Sie ist schöner, jünger, geiler. Lalalalalalala, Layla. Lalalala. Die wunderschöne Layla.“
Die Leberkäskinder wippen, tanzen und singen mit, ihre Eltern essen noch Pommes. Lalalalalalala, Layla. Als ich, der Reporter im Skianzug, zu ihnen schaue, mehr neugierig als skeptisch, verstummen sie. Einer der Jungen presst die Lippen zusammen und zieht die Mundwinkel hoch, als wollte er sagen: Das war verboten, oder?
Ski fahre ich, seitdem mich meine Eltern im Alter von drei Jahren auf zwei Bretter gestellt haben. Ich kann auf vieles verzichten, auf Fernreisen, auf Meer und Pool, aber auf das Skifahren nicht. Es ist ein in jeder Hinsicht kostspieliges Hobby geworden, für das angesichts des Klimawandels der Rechtfertigungsaufwand steigt.
Die Skiwelt, die ich kennengelernt habe, war eine rundherum heile. Es lag Schnee in den zumeist österreichischen Alpen, sogar abseits der Pisten auf Tannenwipfeln und, die Älteren erinnern sich, sogar im Tal. Der viele Zucker im Almdudler war lecker und keine Gesundheitsgefahr, der Mohn zwischen den Zähnen nach dem Germknödel egal. Der Après-Ski hieß Nachmittag und bestand darin, dass ich mit meinem Vater einen Melkwettbewerb an einer hölzernen Kuh bestritt. Wir gewannen gegen das andere Vater-Sohn-Gespann, aber der Sieg wurde uns aberkannt, weil mein Vater zu stark war.
Auch als Erwachsener verliert man manchmal, obwohl man sich wie der sichere Sieger fühlt. Etwa eine Illusion.
Das Lustige an der Diskussion über das Lied „Layla“von DJ Robin und Schürze, die wir im Frühjahr 2022 ertragen mussten, ist, dass sie vor allem von jenen geführt wurde, die mit solcher Art von Musik eher nicht in Kontakt treten. Weder freiwillig noch unfreiwillig. Sonst wäre ihnen ja aufgefallen, dass das Stück über die junge, schöne Puffmama Layla nicht die Ausnahme ist, sondern die Regel.
Es gibt offenbar ein unabänderliches Tiroler Naturgesetz, das besagt: Après-Ski besteht aus Bier, Marillenschnaps und sinnentleerter, sexistischer Musik.
„Geil, geiler, Anna-Lena. Dein geiles Hinterteil. Geiler Arsch. Geiler Blick. Geiles Stück.“(„Anna-Lena“, Honk!)
Die Musik, die am Ballermann gespielt wird, und jene in Après-Ski-Hütten ähnelt sich. Manche Alpen-Hits werden auf den Strand umgedichtet, häufiger ist es umgekehrt. Das Zielpublikum ähnelt sich in beiden Fällen: Besoffene. Die Künstler, die im Megapark auf Mallorca auftreten, sind im Winter in Ischgl, Sölden und Kaltenbach. Sie machen Saisonarbeit, wie viele Kellnerinnen und Kellner. Wo der Alkohol in Strömen fließt, haben auch sie Arbeit.
Die Anforderungen an diese Musik sind gering. Der Text muss so simpel sein, dass man ihn beim ersten Hören verstehen und mitsingen kann. Und er muss so simpel sein, dass man ihn auch noch nach sechs Bier mitsingen kann. Ein beliebter Trick hierbei ist ein „Döp döp döp“in diversen Ausführungen.
Das bedeutet übrigens nicht, dass es einfach wäre, in diesem Genre Hits zu produzieren.
Inhaltlich bewegt man sich bei AprèsSki-Hits ebenfalls in einem überschaubaren Rahmen. Meist geht es in Après-Ski-Hits um Anbahnung beim Après-Ski. Da sind alle spitz und willig und natürlich auch rattenscharf. Und nach zwei, drei Schnaps treibt es jeder mit jedem. Jedenfalls in den Hits. Das Objekt der Begierde ist meistens eine Frau. Mit Betonung auf Objekt.
„Layla“wurde 2022 in manchem Schützenzelt verboten, aber in Kaltenbach, im Rest des Zillertals, im Rest Tirols, überall läuft es rauf und runter. Dreimal in zwei Stunden, handgezählt auf dem Bierdeckel. Es ist einer der Hits des Winters, neben den klassischen chauvinistischen Songs. Fast überall werden Frauen in den Musiktexten auf ihre Äußerlichkeiten reduziert und tauchen bloß in sexualisierten Kontexten auf.
Es ist unerträglich.
Der Meister der Geschmacklosigkeit ist Mickie Krause. Seine Lieder geistern schon seit Jahren durch die Hütten. Jeder kennt sie, keiner mag sie, alle singen sie.
„Geh mal Bier holen, du wirst schon wieder hässlich. Ein, zwei Bier, und du bist wieder schön.
Denn dass du hässlich bist, das muss ja nicht sein.“
Oder Icke Hüftgold, der Produzent von „Layla“.
„Der Wal hustet laut, was kommt da denn raus? Es ist die fette Schwester von Klaus und Klaus. Auf die Frage, warum er sie gefressen hat, sagt er: Dicke Titten, Kartoffelsalat.“
Eine Diskussion über den Inhalt dieser Lieder erübrigt sich. Sie sind geschmacklos, frauenverachtend, sexistisch, anstandslos.
Wie kann es sein, dass sie trotzdem Fixpunkte der Nachmittagsunterhaltung wurden für nicht selten gut situierte Skifahrer (Snowboarder sind mitgemeint)? Wieso reihen sich alle in den Après-Ski-Hütten in den Chor des Ekelhaften ein, spätestens nach dem zweiten Naturradler? Liegt es an den DJs, die glauben, ihr Publikum wolle genau das hören? Oder am Publikum, das tatsächlich genau das hören will?
Es geht ja nicht darum, anderen den Spaß zu verderben. Es darf bierselig zugehen auf der Hütte, auch stumpf und sinnlos. AprèsSki ist kein Kamingespräch mit dem Kurienkardinal. Aber während weite Teile der Gesellschaft immer wachsamer zu werden scheinen, was sexualisierte Sprache betrifft, scheint der Teil der Skifahrer, die in den Postalmen dieser Welt feiern, ihre Gehirne an einen anderen Urlaubsort zu schicken.
Ich, der Reporter im Skianzug, gestehe, auch schon bei solchen Liedern mitgesungen zu haben. Diesmal aber, an der Essstation der Postalm in Kaltenbach, Hochzillertal, sah ich, wie der Witz verschwand. Ich lachte nicht mehr über den Schwachsinn, der aus den vielen Lautsprechern dröhnt. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Es ging mir wie den Kindern unter dem Tresen mit ihren Leberkässemmeln. Ich presste die Lippen zusammen.