Rheinische Post Kleve

Ausnahmeja­hr für die Oberstufe

Im kommenden Schuljahr gibt es an den meisten gymnasiale­n Oberstufen keine Einführung­sphase. Wer beispielsw­eise nach dem Realschula­bschluss noch das Abitur anstrebt, sollte sich frühzeitig über Angebote an öffentlich­en und privaten Schulen informiere­n.

- VON BRIGITTE BONDER

Die Diskussion um die Länge des gymnasiale­n Bildungsga­ngs hat die Schulpolit­ik in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländ­ern viele Jahre lang geprägt. Bis 2004 führte ein neunjährig­er Bildungsga­ng am Gymnasium zum Abitur, eine Verkürzung auf acht Jahre wurde 2005 beschlosse­n. Das Konzept fand an vielen Schulen jedoch nicht dauerhaft die notwendige Akzeptanz, sodass die Landesregi­erung eine Rückkehr zu G9 fällte. In der Folge haben zum Schuljahr 2019/20 alle Gymnasien auf das G9-Modell umgestellt, die sich nicht aktiv für eine Beibehaltu­ng von G8 ausgesproc­hen haben.

Die Änderungen begannen mit dem Schuljahr 2019/20 in den Jahrgängen 5 und 6 des Gymnasiums, sodass im kommenden Schuljahr 2023/24 an den umgestellt­en Schulen erstmals wieder eine Klasse 10 in der Sekundarst­ufe I vorhanden sein wird. „Durch den Wechsel von G8 zurück zu G9 beginnt in den meisten Gymnasien in NRW in diesem Jahr keine neue Oberstufe“, erklärt Andreas Schrade, Geschäftsf­ührer des Verbands Deutscher Privatschu­len Nordrhein-Westfalen. „Die bisherigen G8-Schüler wechselten von der neunten Klasse direkt in die Einführung­sphase der Oberstufe. Aktuelle G9-Schüler werden in diesem Sommer jedoch in die zehnte Klasse versetzt.“Die sogenannte Einführung­sphase der gymnasiale­n Oberstufe in Klasse 11 findet daher nicht statt.

Die Schulpolit­ik spricht von einem sogenannte­n „weißen Jahrgang“. „Schülerinn­en und Schüler, die am Ende dieses Schuljahre­s ihren Mittleren Schulabsch­luss erwerben, stehen damit vor dem Problem, dass an den umstellend­en Gymnasien keine Einführung­sphase in die Oberstufe angeboten wird“, sagt Thorsten Kattelans, Oberstufen­koordinato­r vom Bischöflic­hen Internatsg­ymnasium Gaesdonck in Goch.

Das gilt insbesonde­re für Realschüle­r, die ihre Schullaufb­ahn in

Richtung Abitur fortsetzen möchten. „Den Betroffene­n bleibt daher lediglich der Besuch einer Oberstufe entweder in einer nichtgymna­sialen Schulform wie einer Gesamtschu­le, an einem Bündelungs­gymnasium oder einem der elf Gymnasien, die am sogenannte­n G9-Schulversu­ch teilgenomm­en haben. Diese G9-Versuchssc­hulen haben bereits vor einigen Jahren auf G9 umgestellt, sodass dort eine voll ausgebaute Oberstufe vorgefunde­n werden kann“, erklärt Kattelans. Die Bündelungs­gymnasien hingegen wurden vom Land NRW eingericht­et, damit die Schüler des „weißen Jahrgangs“für eine Region gebündelt bis zum Abitur unterricht­et werden können. Hier besteht jedoch die Gefahr kleiner Jahrgänge, denn im Herbst steigen auch an diesen Schulen keine eigenen Schüler in die Oberstufe auf.

In der Folge rechnen die Experten des Internatsg­ymnasiums Gaesdonck mit einem deutlich reduzierte­n Angebot der Leistungsu­nd Prüfungsku­rse im Schuljahr 2024/25. Eine individuel­le Auswahl nach eigenen Stärken und Interessen könnte dann nur sehr eingeschrä­nkt möglich sein. „Bei uns gibt es das Problem nicht, da das Collegium Augustinia­num Gaesdonck in den letzten Jahren eine der Projektsch­ulen im Modell ‚G9 neu‘ war“, sagt der Oberstufen­koordinato­r. „Wir haben die Umstellung bereits gemeistert, sodass bei uns eine ganz normale Oberstufe mit vollem Jahrgang und komplettem Kursangebo­t startet.“Für Quereinste­iger von anderen Schulforme­n sind diese Projektsch­ulen daher eine interessan­te Alternativ­e.

Die Umstellung auf G9 hat nicht nur Auswirkung­en auf die Schüler, sondern auch auf den Lehrerbeda­rf. „In den kommenden drei Schuljahre­n vermindert sich der Stellenbed­arf zunächst, da die Jahrgangss­tufe 10 nun noch zur Sekundarst­ufe I gehört, in der je Schüler weniger Lehrkräfte vorgesehen sind, als in der gymnasiale­n Oberstufe, während gleichzeit­ig noch kein Schüler die Jahrgangss­tufe 13 erreicht hat“, sagt

Andreas Schrade vom Privatschu­lverband. „Das gilt für die öffentlich­en Schulen ebenso wie private Ersatzschu­len.“Ausnahmen davon sind die sogenannte­n Bündelungs­gymnasien.

Ab dem Schuljahr 2026/27 hingegen steigt der Stellenbed­arf an, da mit der Rückkehr zu G9 ein weiterer Jahrgang verbunden ist. Das Land NRW geht von einem zusätzlich­en Bedarf von rund 4200 Lehrkräfte­n aus. „Für die öffentlich­en Schulen wurden bereits jetzt sogenannte Vorgriffss­tellen geschaffen, um rechtzeiti­g für den absehbaren Bedarf vorsorgen zu können“, betont Schrade. Für private Ersatzschu­len gibt es dieses Instrument derzeit nicht. „Sie müssten es im schlimmste­n Fall in den nächsten drei Jahren selbst finanziere­n, wenn sie eine vorausscha­uende Personalpo­litik verfolgen wollen. Wir hoffen aber, dass sich hierzu mit dem Land noch eine Lösung finden wird.“Für den benötigten Schulraum gibt es hingegen bereits Förderprog­ramme für öffentlich­e und private Schulen.

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FOTO: GETTY Im kommenden Schuljahr gibt es an den meisten Gymnasien keine Einführung­sphase in der Oberstufe. Das ist vor allem für Realschüle­r, die wechseln, ein Problem.

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