Harmonie für einen Tag
Mit einem Aufruf zu noch engerer Zusammenarbeit haben Spitzenpolitiker aus Deutschland und Frankreich am Sonntag die 60-jährige Freundschaft beider Länder gefeiert. Eine Selbstverständlichkeit war das nicht.
Die deutsche Nationalhymne erklingt in der Pariser Universität Sorbonne. Kurz darauf folgt die Marseillaise, die französische Hymne. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel schütteln sich sehr lange die Hand. Das Publikum applaudiert. Mit einem emotionalen Rückblick auf die Geschichte und einem Aufruf zu noch engerer Zusammenarbeit in Zukunft feiern Spitzenpolitiker aus Deutschland und Frankreich am Sonntag die 60-jährige Freundschaft beider Länder. Nahezu das gesamte deutsche Kabinett ist anwesend, viele Parlamentarier aus beiden Ländern. Der deutschfranzösische Freundschaftsvertrag war am 22. Januar 1963 von Frankreichs Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im Pariser Elysée-Palast unterzeichnet worden. Der Vertrag gilt als bedeutendster Schritt auf dem Weg zur Aussöhnung der einstigen Kriegsgegner – und gilt bis heute fort.
„Danke, Herr Präsident – danke aus ganzem Herzen“, sagt Scholz an Macron gewandt. Auch den Franzosen dankt er: „Danke Ihnen, unseren französischen Brüdern und Schwestern, für Ihre Freundschaft“, sagt Scholz auf Französisch und nennt die Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich einen zentralen Teil der Meinungsfindung in der EU. „Der deutsch-französische Motor ist eine Kompromissmaschine – gut geölt, aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit.“Seinen Antrieb beziehe dieser „nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik. Sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und Interessenunterschiede immer wieder in gleich gerichtetes Handeln umzuwandeln.“Es sei normal, dass es wegen unterschiedlicher Strukturen der Politik und Wirtschaft sowie anderen historischen Erfahrungen immer wieder Differenzen gebe, erklärt der Kanzler mit Blick auf Meinungsverschiedenheiten etwa in der EUFinanzund Industriepolitik. Gerade deshalb seien Lösungen aber auch für andere akzeptabel. „Nur mit dem anderen an unserer Seite – als Freund und engstem Partner, als couple fraternel – hat auch unser eigenes Land eine gute Zukunft.“Hier nennt der SPD-Politiker etwa die Zusammenarbeit in der Pandemie oder zuletzt im Energiesektor.
Nun, so kann man es ausdrücken, an einem Tag, an dem die Harmonie im Vordergrund stehen soll. Wahr ist aber auch, dass viel diplomatisches
Porzellan kaputtgegangen ist im ersten Jahr von Scholz’ Amtszeit. Ein Ministerrat im Herbst wurde abgesagt. Bei der Verkündung, Marder-Schützenpanzer in die Ukraine zu liefern, preschte Macron voran. Hinter jeweils vorgehaltener Hand hieß es, dass die beiden Chefs miteinander nicht ganz so gut könnten: Scholz und Macron, das funktioniere eher leidlich. Unterschiedliche Positionen in Kernfragen wie Atomenergie, Verteidigung oder der Industriepolitik hätten die deutschfranzösische Achse tatsächlich ins Wanken gebracht. Als Anfang des Winters der Strom knapp zu werden drohte, warfen Frankreich und Deutschland sich gegenseitig vor, bei der Energiepolitik jeweils den falschen Weg eingeschlagen zu haben: Auf der einen Seite des Rheins gab es Probleme mit Atomkraftwerken, auf der anderen mit der Gasversorgung.
Mittlerweile haben sich beide Länder innerhalb der EU auf gemeinsame Gaseinkäufe geeinigt und beliefern sich außerdem gegenseitig mit Gas und Strom. Auch ist man sich im Grundsatz einig, dass das US-Subventionspaket „Inflation Reduction Act“der europäischen Wirtschaft schaden kann. Deutschland setzt in erster Linie auf Verhandlungen mit den USA, um Ausnahmeregeln durchzusetzen, aus Frankreich kamen harschere Töne. Doch mittlerweile hat man sich angenähert, will gemeinsam verhandeln.
Verbunden mit dem Festakt ist eine gemeinsame Kabinettssitzung, die aber nur wenige Ergebnisse brachte. Unter anderem vereinbarten die beiden Regierungen die Verlängerung einer WasserstoffPipeline von Frankreich nach Spanien bis nach Deutschland. Der Ukraine sagen sie „unerschütterliche Unterstützung“zu. Konkreteres gibt es auch am Abend bei der gemeinsamen Pressekonferenz nicht. Macron schließt eine Lieferung der französischen Kampfpanzer Leclerc in die Ukraine zwar nicht aus. Eine Bereitstellung dieser Kampfpanzer dürfe aber den Konflikt nicht eskalieren, die eigene Verteidigungsfähigkeit nicht schwächen und müsse eine realistische und effiziente Unterstützung der Ukraine darstellen. Dabei müsse die Frist bis zur Ausbildung der ukrainischen Besatzungen und der Lieferung der Panzer berücksichtigt werden. Er klingt ähnlich vage wie Scholz in der LeopardFrage. Doch beide betonen auch: Es wird weiterverhandelt.