Rheinische Post Kleve

Aktivisten verärgern Anwohner

Lützerath ist geräumt, viele Protestler campieren daher in umliegende­n Dörfern. Die Menschen empfinden die Situation als belastend.

- VON NICK DEUTZ

Bis vor wenigen Tagen hat Barbara Ziemann-Oberherr noch in einem „echten Paradies“gelebt. Gemeint ist ihre Heimat, das Dorf Keyenberg. „Hier herrschte vollkommen­e Ruhe, man hörte nur die Vögel im Garten zwitschern“, sagt die 62-Jährige. Doch dieses Paradies sei nun zerstört. Spätestens seit vorvergang­enen Samstag, als Tausende Demonstran­ten von Keyenberg aus zum Tagebau Garzweiler marschiert­en, um gegen die Räumung von Lützerath zu demonstrie­ren. Seither, sagt ZiemanOber­herr, sei alles anders. „Unser dörfliches Leben wird hier gerade komplett auf den Kopf gestellt.“

Keyenberg gehört wie die Nachbargem­einden Kuckum, Unterund Oberwestri­ch sowie Berverath zu den Dörfern, die – anders als Lützerath – vom Abriss verschont wurden. Ein Großteil der ehemals 850 Einwohner ist aber längst weggezogen, heute wohnen noch rund 100 Menschen in Keyenberg. Plus neuerdings Hunderte von Aktivisten, die nach der Räumung Lützeraths auf dem nicht mehr genutzten Dorfsportp­latz von Keyenberg ein Camp errichtet haben – und immer wieder mit den verblieben­en Einwohnern aneinander­geraten. Viele Menschen aus den umliegende­n Kohledörfe­rn hätten Angst, auch sie, sagt Ziemann-Oberherr.

Aus diesem Grund unterzeich­nete sie, gemeinsam mit weiteren Menschen aus der Umgebung, einen Offenen Brief, adressiert an den Polizeiprä­sidenten, den Landrat und den Erkelenzer Bürgermeis­ter. Darin schildern Anwohner, dass Aktivisten vermummt durch die Dörfer rennen, Scheiben einschlage­n, Wände beschmiere­n und Böller zünden. In mehreren Fällen sollen Menschen ihr großes Geschäft in Gärten verrichtet haben. Ein normaler Alltag sei in Keyenberg momentan gar nicht möglich, sagt Ziemann-Oberherr. Aus Sicherheit­sgründen habe sie bereits eine Überwachun­gskamera an ihrem Haus installier­en lassen.

Tatsächlic­h ist an diesem Vormittag die Polizei in Keyenberg, um ein von Aktivisten besetztes Einfamilie­nhaus

zu räumen. Ein Mann und eine Frau sind in ein leer stehendes Gebäude eingedrung­en, Sicherheit­skräfte von RWE hatten sie dabei beobachtet. Auch Ziemann-Oberherr erfährt schnell von der Hausbesetz­ung. Sogleich macht sie sich wütend zu Fuß auf den Weg zum Ort des Geschehens. Die Straßen von Keyenberg sind verwaist, ein Großteil der Häuser steht leer. Fast überall sind die Rollläden herunterge­lassen, Fenster und Türen haben die ehemaligen Besitzer mit Brettern vernagelt, und in den Vorgärten wuchert das Unkraut.

Der Einsatz im besetzten Haus dauert nicht lange. Die Aktivisten werden bereits nach kurzer Zeit von der Polizei aus dem Haus begleitet, sie leisten dabei keinerlei Widerstand. Wie ein Sprecher der Aachener Polizei berichtet, werden zwei Anzeigen wegen Hausfriede­nsbruchs erstattet. Ziemann-Oberherr schüttelt den Kopf, als sie die Aktivisten im Gespräch mit den Beamten sieht. „Wie kommt man auf die Idee, einfach ein Privatgrun­dstück zu betreten?“, fragt sie. Früher habe man zwar Seite an Seite für den Erhalt der Dörfer gekämpft, doch mittlerwei­le würden die Aktivisten zu viele Grenzen überschrei­ten. „Ich habe das Gefühl, das man uns aus den Dörfern ekeln will“, sagt Ziemann-Oberherr.

Ein Ort weiter, im Mönchengla­dbacher Stadtteil Wanlo, gibt es einen Menschen, der eine ganz andere Meinung zu dem Thema hat. Andreas Cichy, 60 Jahre alt, ist ein Befürworte­r der Klima-Demonstrat­ionen rund um Lützerath. Er habe zwar mit Bedauern zur Kenntnis genommen, dass es bei der Großdemo am vorvergang­enen Samstag auch zu Beschädigu­ngen und Beschmutzu­ngen in den umliegende­n Dörfern gekommen ist, doch dies sei bei mehreren Tausend Demonstran­ten nichts Außergewöh­nliches. „Es ist ein kleines Ärgernis, nicht mehr“, sagt Cichy, der seit rund 30 Jahren in Wanlo wohnt.

In dem kleinen Ort leben etwas mehr Menschen als in Keyenberg. Es gibt noch einen Kindergart­en, einen Blumenlade­n und einen Tierarzt. Hausbesetz­ungen habe es dort bislang nicht gegeben, sagt Cichy. Die Vorkommnis­se im Nachbardor­f sind für ihn auch nicht weiter dramatisch. Es komme ja nie wirklich jemand zu Schaden. „Das sind alles leerstehen­de Häuser, um die sich RWE nicht kümmert“, sagt Cichy. Er findet es gut, dass es so viele junge Leute gibt, die für ihre Rechte kämpfen und sich für ihre Zukunft einsetzen. Die Proteste seien ihre einzige Möglichkei­t, um auf die dramatisch­en Folgen der Klimakrise hinzuweise­n.

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FOTOS: JOCHEN TACK/IMAGO, DEUTZ (2) An und auf dem Sportplatz in Keyenberg leben Aktivisten in einem Camp.
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Barbara Ziemann-Oberherr
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Andreas Cichy

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