Wenn Menschen zu Maschinen werden
Die Choreografin Hélène Blackburn hat das Ballett „Coppélia“in der Rheinoper ins Heute katapultiert – beklemmend, finster, fabelhaft.
Wenn Menschen ihre Fitness einer Smartwatch anvertrauen und sich mit einem KI-gesteuerten Chatbot wie mit einem Freund unterhalten, dann ist es an der Zeit, das Ballettmärchen „Coppélia“zu überdenken. Nie war das Thema Mensch und Maschine aktueller.
Die frankokanadische Choreografin Hélène Blackburn hat die Geschichte vom jungen Mann, der sich in eine Puppe verliebt, radikal demontiert, auf ein Gerüst reduziert und in einem düsteren, oft kalt-blau schimmernden Bühnenbild verschraubt. Am Samstagabend zeigte das Ballett am Rhein nun die Uraufführung von „Coppélia X Machina“mit der Musik von Ana Sokolovic.
Das Ballett-Ensemble leistete ganze Arbeit, allen voran Orazio Di Bella als junger, neugieriger Mann, Wun Sze Chan als kompakte, athletische Puppe und Niklas Jendrics als charismatischer Maschinenmacher. Virtuos begleitet von der Besetzung im Orchestergraben, die die rhythmischen Muster und spannungsgeladenen Motive unter der Leitung von Patrick Francis Chestnut vertonte.
Blackburn hat den Tänzerinnen und Tänzern eine dynamische, teils eckige, teils geschmeidige Bewegungssprache mit wiederkehrenden Motiven verpasst und mit Ballett-Basics verlötet: ungelenk schlackernde Gliedmaßen wechseln mit sezierenden Breakdance-Moves, mit zackig gedrehten Köpfen, mit geschmeidigen Körperwellen, mit turboschnellen Armkreisen.
Da sinken die Schultern kraftlos nach vorn, als habe man den Stecker gezogen. Da wenden sich Köpfe wie von einer Fernbedienung gesteuert. Da knicken die Arme ab wie bei einer leblosen Puppe. Da werden wie in einer Montagehalle Handgriffe wiederholt. Unermüdlich, rastlos, emotionslos.
Man hat den Eindruck einer Evolutionsgeschichte im Zeitraffer: die Grenzen zwischen Menschen und Maschinen schwinden. Gleich zu Beginn hebt die Musik an wie zur Untermalung eines HitchcockThrillers: dramatisch, unheilversprechend.
Sind das noch Menschen, die sich im ersten Akt als hell gekleidete Wesen auf einem öffentlichen Platz bewegen? Sind es Arbeiter einer Fabrik, die einer Routine verfallen sind? Oder sind das schon Roboter? Spielt das überhaupt eine Rolle? In jedem
Fall ist es eine gesichtslose, namenlose Menge. Noch ist die Musik heiter und hell, erinnert an den „Coppélia“-Klassiker mit seinen slawischen Volkstänzen.
Eine gesichtslose Puppe fällt vom Himmel. Mit Freude wird sie aufgenommen,
gewiegt wie ein Baby. Doch sie kann nicht sitzen, nicht stehen, sinkt immer in sich zusammen. Noch.
Die so unterschiedlichen Wesen lernen voneinander, gerne in Paaren wie Doris Becker und Miquel
Pedro Martinez. Man sieht, wie sich Algorithmen erstellen, sich vervollkommnen. Sie richtet ihn auf, zeigt ihm Bewegungen. Er imitiert, boykottiert dann wieder, entwickelt ein Eigenleben, übernimmt die Führung in diesem bizarren Pas de
deux. Unheimlich ist das, genau wie die Geräusche der Tänzer, irgendwo zwischen Kichern, Geifern und Fauchen.
In der Menge immer wieder Orazio Di Bella und Wun Sze Chan. Er ein Mensch, sensibel, neugierig, natürlich, sie puppenhaft-mechanisch. Doch sie lernt, wird stärker. Am Ende des ersten Aktes dann der Cliffhanger: Aus der Tiefe des Raums kommt ein riesiges Wesen mit metallenen Beinen.
Der zweite Akt ist düsterer. Er spielt an einem Ort, an dem die Maschinen entstehen. Alles ist metallisch-grau und blau, auch die Trikots der Tänzer. Die Musik ist dunkler geworden. Jetzt sind es Wesen mit prothesenartigen Beinen und Armen, die die Welt bevölkern. Erst mühsam, dann immer geschickter und eleganter. Daneben beginnen die Tänzer auf Spitze ihr Werk. Nähmaschinengleich, im Staccato tippeln sie zwischen den aufragenden Stelzenläufern daher. Die Masse formiert sich, bewegt sich immer synchroner, monoton.
Blackburn hat sich für ihre Bearbeitung des Ballettstoffes bei zwei Materialien bedient: bei E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“(1816), einer düsteren Schauergeschichte, und beim komischen Ballettmärchen „Coppélia oder Das Mädchen mit den Glasaugen“(1870) mit der Musik von Léo Delibes. In beiden geht es um einen Forscher, der einer Maschine Leben einhauchen will, und einen jungen Mann, der sich in dieses puppenhafte Wesen verliebt.
Blackburn zerlegt das Ballettmärchen. Der junge Mann, der in die Puppe verliebt war, stirbt – wie im „Sandmann“. Blackburns „Coppélia“ist eine philosophische Abhandlung mit vielschichtigen, uneindeutigen, aber beeindruckenden Bewegungs- und Klangbildern. Die zentralen Fragen: Was ist der Mensch? Was unterscheidet am Ende des Tages noch Mensch von Maschine?
Die Choreografin bezieht sich für ihre Arbeit auf den Begriff des „uncanny valley“, des „unheimlichen Tals“. Er geht auf den japanischen Robotiker Masahiro Mori zurück. Menschen reagierten positiver auf Roboter, je ähnlicher die Roboter den Menschen seien, so Mori. Wenn aber die Maschinen nicht mehr vom Menschen zu unterscheiden seien, dann reagierten die Menschen mit Erschrecken. Diese Zurückweisung hat Mori als „unheimliches Tal“bezeichnet. Doch dieses Zurückschrecken gibt es in der „Coppélia X Machina“nicht.
Am Ende sind er und sie – Franz und Coppélia – vereint, verschmolzen mit der uniformen Masse, Mensch und Maschine entgrenzt. Dafür gab es Applaus, grenzenlos.