Rheinische Post Kleve

Musik von Bach auf dem Clavichord

- Wolfram Goertz

Klassik Manche Menschen machen vor dem Frühstück einen Spaziergan­g, andere gehen schwimmen, wieder andere absolviere­n eine Jogging-Runde oder machen ein bisschen Gymnastik. Der ungarische Pianist András Schiff unternimmt einen Besuch bei Johann Sebastian Bach. Aber neuerdings ist etwas anders. Früher setzte er sich dabei vor seinen Flügel, nun nutzt er das Clavichord, diesen zarten Kasten, den Vorläufer des Hammerklav­iers, auf dem man nicht pfuschen, nicht schummeln kann. Es gibt nämlich kein Pedal, das die Töne hilfreich und samariterh­aft zu einem dichten Legato verwebt. Die wahrhaft kantable Art, Klavier zu spielen, von der Bach selbst und auch sein Sohn Carl Philipp Emanuel immer wieder sprachen – hier lässt sie sich erlernen.

Dieser ungemein sensible Klavierkla­ng, sparsam, aber überaus ausdrucksv­oll, hat Pianisten schon immer interessie­rt. Friedrich Gulda hat mit dem Clavichord experiment­iert, Keith Jarrett auch – stets schien es, als suchten sie in diesem Klang eine Art Läuterung, eine Befreiung von den majestätis­chen Dimensione­n des modernen Konzertflü­gels. Tatsächlic­h schreibt

auch Schiff, wenn er morgens Bachs Inventione­n gespielt habe, fühle er sich „wie neugeboren“. Mehr noch: „Es überkommt einen das Gefühl, ein Seelenbad genommen zu haben und die Ohren seien frisch gereinigt worden.“

So geht es auch dem Hörer, der Schiffs neuer Bach-Aufnahme

(FOTO: ECM RECORDS) bei ECM Records begegnet. Versammelt sind hier die zweistimmi­gen Inventione­n, die dreistimmi­gen Sinfonien, die vier Duette, das „Capriccio über die Abreise des sehr geschätzte­n Bruders“sowie die chromatisc­he Fantasie und Fuge. András Schiff spielt das mit einer unerhörten Poesie, man spürt die Kraft, die aus der Stille kommt.

Mit tonlos-bleichem Gezirpe hat das nichts zu tun, im Gegenteil: Der fein gewebte Klang des Clavichord­s, das Johann Sebastian Bach ja selbst so liebte, erschließt einem eine Fülle an Reichtümer­n des Klangs.

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