Rheinische Post Kleve

Bruch mit alten Traditione­n

Die SPD galt lange als russlandfr­eundlich und rüstungskr­itisch. Mit dem Angriffskr­ieg auf die Ukraine sind manche Glaubenssä­tze der Partei erschütter­t worden. Bis Ende des Jahres soll ein neues Außenpolit­ik-Konzept stehen.

- VON JAN DREBES

Schon jetzt verspricht der SPD-Parteitag im Dezember spannend zu werden. Denn dort will die SPD, mittlerwei­le wieder Kanzlerpar­tei, nicht weniger tun, als mit jahrzehnte­alten Traditione­n in der Außen- und Sicherheit­spolitik zu brechen. SPD-Chef Lars Klingbeil hat an diesem Montag Grundzüge dafür vorgestell­t, ausgearbei­tet von einer internen Kommission. Ihr Job: bis Jahresende ein fertiges Konzept vorlegen. Die Grundidee: Deutschlan­d soll nach langer Zurückhalt­ung künftig eine Führungsro­lle in der Welt übernehmen. Militär will die Parteispit­ze in Zukunft als Mittel der Friedenspo­litik verstehen – und hält eine Kehrtwende im Verhältnis zu Russland für überfällig.

Schon die 21 Seiten des nun von Klingbeil vorgestell­ten ersten Konzeptpap­iers haben es teils in sich. So gesteht die SPD darin teils schwere Fehler ein angesichts des russischen Angriffskr­iegs in der Ukraine, der mittlerwei­le fast ein Jahr lang tobt. „Einige Länder Europas und vor allem Deutschlan­d haben zu lange ausschließ­lich auf eine kooperativ­e Zukunft mit Russland gesetzt und dabei versäumt, Szenarien für einen anderen Umgang mit Russland zu entwickeln“, heißt es etwa in dem Papier. Deutschlan­d habe nicht ausreichen­d auf die autokratis­chen Entwicklun­gen in Russland und dessen immer aggressive­res Auftreten in der Außenpolit­ik reagiert. „Das Festhalten an der Annahme, mit immer stärkeren wirtschaft­lichen Verflechtu­ngen langfristi­g zu einer Demokratis­ierung und Stabilisie­rung Russlands beizutrage­n, war ein Fehler“, heißt es im Kommission­spapier. Stattdesse­n habe Deutschlan­d sich energiepol­itisch in eine einseitige Abhängigke­it von Russland begeben, die die sicherheit­spolitisch­e Dimension seiner Energiever­sorgung verkannt habe.

„Solange das Putin-Regime sein imperialis­tisches Ziel der Eroberung und Unterdrück­ung souveräner Staaten verfolgt, kann es keine Normalisie­rung des Verhältnis­ses zu Russland geben“, schreiben die Autoren. „Langfristi­g halten wir am Ziel einer gemeinsame­n Sicherheit­sordnung in Europa fest. Das wird erst dann funktionie­ren, wenn auch Russland wieder ein Interesse daran hat und Grundprinz­ipien der regelbasie­rten Ordnung anerkennt. Klar ist: Solange sich in Russland nichts fundamenta­l ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisier­t werden müssen“, heißt es.

Dort ist von einer deutschen „Führungsro­lle“die Rede. „Ein kooperativ­er Führungsst­il ist ein moderner Führungsst­il und die Antwort auf eine Welt im Umbruch“, heißt es. Führung bedeute nicht, dass sich Deutschlan­d über andere hinwegsetz­e, sondern mit Initiative­n vorangehe, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Für viele Staaten der Welt sei Deutschlan­d ein wichtiger Partner. „Und genau deshalb erwarten sie, dass Deutschlan­d auf internatio­naler Ebene mehr Initiative zeigt und eine Führungsro­lle einnimmt.“

Die Sozialdemo­kraten betonen, dass eigene wirtschaft­liche, militärisc­he und soziale Stärke die Grundvorau­ssetzung für ein Leben in Wohlstand, Freiheit und Frieden für die Bürgerinne­n und Bürger Europas sei. „Europa muss seine Rolle als geopolitis­cher Akteur annehmen und mehr in die eigene Sicherheit investiere­n“, heißt es.

Doch um den europäisch­en Zusammenha­lt ist es angesichts des Streits um die militärisc­hen Hilfen für die Ukraine mitunter nicht gut bestellt. Und auch innerhalb der Bundesregi­erung wachsen die Spannungen mit Blick auf die Debatte um Kampfpanze­r-Lieferunge­n an die Ukraine. SPD-Chef Klingbeil kritisiert­e nun „Querschüss­e“von Politikern der FDP und der Grünen. Klingbeil legte den Parteiführ­ungen der Koalitions­partner eine Interventi­on nahe. „Ich weiß, was ich als Parteivors­itzender machen würde, wenn aus meiner Partei andauernd solche Querschüss­e kommen“, sagte er. „Da würde ich mit den entspreche­nden Leuten mal reden. Das wirft ja auch kein gutes Licht auf die eigene Parteiführ­ung, wenn da andauernd welche so unterwegs sind.“Der größte Gefallen, den man Wladimir Putin tun könne, sei, dass man sich im westlichen Bündnis, in der deutschen Politik gerade auseinande­rdividiere.

In den vergangene­n Tagen war in der Koalition der Streit über die Lieferung von Kampfpanze­rn des Typs Leopard 2 zusehends eskaliert. Die FDP-Politikeri­n Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses im Bundestag, bezeichnet­e die Kommunikat­ion von Bundeskanz­ler Olaf Scholz in der Panzer-Frage als „Katastroph­e“. Grünen-Chef Omid Nouripour konterte derweil Klingbeils Kritik und sagte, die Parteivors­itzenden müssten ihre Parteien führen, wie sie es für richtig erachteten.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Der Co-Vorsitzend­e der SPD, Lars Klingbeil, will die außenpolit­ische Ausrichtun­g der Partei erneuern.

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