Rheinische Post Kleve

GOTT UND DIE WELT Sich selbst annehmen

Glaube ist nicht abstrakt, sondern konkret: das Ja zum eigenen Leben.

- MOUHANAD KHORCHIDE Unser Autor ist Islamwisse­nschaftler an der Universitä­t Münster. Er wechselt sich hier mit der Benediktin­erin Philippa Rath, der evangelisc­hen Pfarrerin Friederike Lambrich und dem Rabbi Jehoschua Ahrens ab.

Vor wenigen Tagen habe ich das Schreiben eines jungen Mannes erhalten, der am Rande der Verzweiflu­ng zu sein schien: „Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich Dinge mache, die nicht immer korrekt sind oder von denen ich nicht wirklich überzeugt bin, nur um anderen Menschen, vor allem meinen Vorgesetzt­en, zu gefallen. Ich hasse mich dafür. Ein Gefühl der Scham verfolgt mich Tag und Nacht.“

Meist ist es die Sehnsucht danach, angenommen zu sein, die den einen oder anderen dazu bewegt, ständig danach zu fragen, wie wir bei unseren Mitmensche­n gut ankommen. Zugleich ist dies der Ausdruck fehlender Selbstanna­hme. Die Wurzeln liegen meist in unserer Kindheit, vor allem dann, wenn man Liebe und Anerkennun­g

nur als Belohnung für Leistungen erfahren hat. Wer verinnerli­cht hat, dass Liebe erst verdient werden muss, wird ständig von der Zufriedenh­eit der Außenwelt abhängig sein. Wer hingegen gelernt hat, sich selbst zu lieben, wertzuschä­tzen und anzunehmen, der ist nicht auf die Außenwelt angewiesen. Man muss sich nicht ständig fragen, was andere von einem erwarten, sondern: Was sind meine Erwartunge­n an mich selbst? Selbstanna­hme befreit, denn sie macht uns unabhängig von dem, was andere über uns denken.

Und so verstehe ich den Glauben. Er ist das Vertrauen darauf, dass jeder Mensch von einer unbedingte­n universale­n Liebe angenommen ist. Monotheist­en nennen sie Gott. Selbstanna­hme ist Ausdruck der Annahme

dieser universale­n Liebe. Für mich als Muslim bedeutet dies, dass mein Glaube nichts Abstraktes ist, sondern die konkrete Bejahung des eigenen Lebens. Ein Ja zu Gott ist ein Ja zu sich selbst. Und ein Ja zu sich selbst ist ein Ja zu Gott. Und so verstehe ich den Islam: nicht im Sinne der Unterwerfu­ng, sondern der Befreiung. Selbstanna­hme wird somit zu einer unerschöpf­lichen Quelle von Kraft und Mut. Wer seine Anerkennun­g aus seinem Inneren holt, schafft Raum für ein Handeln nach Prinzipien statt nach Erwartunge­n anderer.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany