GOTT UND DIE WELT Sich selbst annehmen
Glaube ist nicht abstrakt, sondern konkret: das Ja zum eigenen Leben.
Vor wenigen Tagen habe ich das Schreiben eines jungen Mannes erhalten, der am Rande der Verzweiflung zu sein schien: „Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich Dinge mache, die nicht immer korrekt sind oder von denen ich nicht wirklich überzeugt bin, nur um anderen Menschen, vor allem meinen Vorgesetzten, zu gefallen. Ich hasse mich dafür. Ein Gefühl der Scham verfolgt mich Tag und Nacht.“
Meist ist es die Sehnsucht danach, angenommen zu sein, die den einen oder anderen dazu bewegt, ständig danach zu fragen, wie wir bei unseren Mitmenschen gut ankommen. Zugleich ist dies der Ausdruck fehlender Selbstannahme. Die Wurzeln liegen meist in unserer Kindheit, vor allem dann, wenn man Liebe und Anerkennung
nur als Belohnung für Leistungen erfahren hat. Wer verinnerlicht hat, dass Liebe erst verdient werden muss, wird ständig von der Zufriedenheit der Außenwelt abhängig sein. Wer hingegen gelernt hat, sich selbst zu lieben, wertzuschätzen und anzunehmen, der ist nicht auf die Außenwelt angewiesen. Man muss sich nicht ständig fragen, was andere von einem erwarten, sondern: Was sind meine Erwartungen an mich selbst? Selbstannahme befreit, denn sie macht uns unabhängig von dem, was andere über uns denken.
Und so verstehe ich den Glauben. Er ist das Vertrauen darauf, dass jeder Mensch von einer unbedingten universalen Liebe angenommen ist. Monotheisten nennen sie Gott. Selbstannahme ist Ausdruck der Annahme
dieser universalen Liebe. Für mich als Muslim bedeutet dies, dass mein Glaube nichts Abstraktes ist, sondern die konkrete Bejahung des eigenen Lebens. Ein Ja zu Gott ist ein Ja zu sich selbst. Und ein Ja zu sich selbst ist ein Ja zu Gott. Und so verstehe ich den Islam: nicht im Sinne der Unterwerfung, sondern der Befreiung. Selbstannahme wird somit zu einer unerschöpflichen Quelle von Kraft und Mut. Wer seine Anerkennung aus seinem Inneren holt, schafft Raum für ein Handeln nach Prinzipien statt nach Erwartungen anderer.