Rheinische Post Kleve

CSU muss den Verlust von Mandaten fürchten

Der Bundestag ist zu groß, das Wahlrecht zu komplizier­t. Jetzt wagen sich die Parteien an Reformplän­e. Die Union sperrt sich.

- VON HOLGER MÖHLE

Hinten ist noch Platz, sehr viel Platz. Hunderte Abgeordnet­e sind an diesem Freitagmit­tag nicht da – eventuell schon auf dem Weg ins Wochenende. Oder sie verfolgen die Debatte aus ihren Büros. Worum geht es in diesen 82 Minuten? Um viel. Für knapp 140 Abgeordnet­e könnte ihre parlamenta­rische Existenz auf dem Spiel stehen.

Vor den Mitglieder­n des Deutschen Bundestage­s liegt ein Gesetzentw­urf zur Änderung des Wahlrechts, erste Lesung, eingebrach­t von den Fraktionen der Ampelkoali­tion. 736 Abgeordnet­e hat der Bundestag. Das Plenum dieser 20. Legislatur­periode ist der größte Bundestag der Geschichte, mit jeder Wahl durch Überhang- und Ausgleichs­mandate nochmals gewachsen. Deutschlan­d hat damit eines der größten nationalen Parlamente weltweit.

Aber das soll nun anders werden. Die Ampel-Fraktionen werden ihren Gesetzentw­urf in der Debatte gleich erklären, auch loben und würdigen. Die Vertreter vor allem der Unionsfrak­tion wollen den Vorschlag am liebsten zum Parlaments-Tüv schicken, schließlic­h muss gerade die CSU um einen massiven Mandatsver­lust fürchten, wenn die Ampel ihren Entwurf durchbring­t. CDU und CSU haben keinen eigenen Gesetzentw­urf zur Änderung des Bundeswahl­gesetzes vorgelegt. Sie gehen mit einem schlichten Antrag auf Verkleiner­ung des Bundestage­s in die Debatte, eine Art „Selbstverp­flichtung des Bundestage­s“, wie es Grünen-Wahlrechts­experte Till Steffen formuliert. Was die Union damit bewirke? „Gar nichts“, sagt Steffen. Alles bliebe, wie es ist.

Nach den Plänen der Ampel soll der Bundestag von heute 736 Abgeordnet­en künftig wieder auf eine Normgröße von 598 Mandatsträ­ger geschrumpf­t werden. Außerdem soll es künftig keine Überhang- und Ausgleichs­mandate mehr geben. Die Größe des Bundestage­s soll allein durch die bisherige Zweitstimm­e, die künftig Hauptstimm­e heißen soll, bestimmt werden. Dies kann zur Folge haben, dass Abgeordnet­e, die ihren Wahlkreis direkt gewinnen, in einem nächsten Bundestag trotzdem nicht mehr vertreten sind. CSU-Generalsek­retär Martin Huber sprach schon von „organisier­ter Wahlmanipu­lation“und ätzte, die Methoden der Ampelkoali­tion ähnelten denen von „Schurkenst­aaten“. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt fürchtet um die Wucht der Erststimme, schließlic­h gewinnt die CSU in Bayern regelmäßig alle Wahlkreise. Doch nach den Reformplän­en der Ampel dürfte sie nur noch so viele Abgeordnet­e in den Bundestag schicken, wie ihr Anteil am Zweitstimm­energebnis ist: 5,2 Prozent waren es 2021, bei 45 Direktmand­aten.

Für SPD-Innenpolit­iker Sebastian Hartmann ist die Reform ein Beleg dafür, dass „wir als Verfassung­sorgan reformfähi­g sind“. Es gehe auch darum, die „Privilegie­n einzelner Gruppen“abzubauen. 34 Überhangun­d 104 Ausgleichs­mandate dieses Bundestage­s seien einfach zu viel. Für die Union ärgert sich CDU-Wahlrechts­experte Ansgar Heveling über das „Kappungsmo­dell“der Ampel bei der Abgeordnet­e, obwohl sie ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben, am Ende nicht im Bundestag vertreten sein könnten. Was dies wohl noch mit „Bürgerstim­me“, wie die Erststimme heißen soll, zu tun habe, wenn der Wille des Bürgers dann nicht mehr umgesetzt werde?, fragt Heveling. Auch CDU-Mann Philipp Amthor ärgert sich: „Wahlkreise ohne Wahlkreiss­ieger haben diesen Namen nicht verdient.“FDP-Fraktionsv­ize Konstantin Kuhle hat dann für manchen Langzeit-Abgeordnet­en noch eine Botschaft parat: „Parlamenta­rische Demokratie ist ein Mandat auf Zeit.“

„Parlamenta­rische Demokratie ist ein Mandat auf Zeit“Konstantin Kuhle FDP-Fraktionsv­ize

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