Rheinische Post Kleve

Ein Gedenken an alle Opfer des Holocaust

Am Jahrestag der Auschwitz-Befreiung stand im Bundestag erstmals die Verfolgung Homosexuel­ler durch die Nazis im Fokus.

- VON JULIA STRATMANN

Was würde Mary Pünjer heute erzählen? Die Frau, die 1942 mit der Diagnose „aktive kesse Lesbierin“in einer Heilanstal­t von den Nationalso­zialisten ermordet wurde. Was würde Karl Gorath sagen? Der Mann, der 1942 im Konzentrat­ionslager Neuengamme erstmals den rosa Winkel tragen musste. Als Gorath 2003 starb, wollten nur wenige seine Geschichte hören. Viele Jahre später verleihen Schauspiel­erin Maren Kroymann und Schauspiel­er Jannik Schümann ihnen eine Stimme. Denn an der ersten Gedenkstun­de für die queeren Opfer des Nationalso­zialismus,

die am Freitag im Bundestag stattfand, konnten sie – 78 Jahre nach der Befreiung des Vernichtun­gslagers Auschwitz – nicht mehr teilnehmen.

Die vorgetrage­nen Lebensgesc­hichten von Pünjer und Gorath stehen exemplaris­ch für die Verfolgung sexueller Minderheit­en während des Nationalso­zialismus. „Für unsere Erinnerung­skultur ist es wichtig, dass wir die Geschichte­n aller Verfolgten erzählen. Ihr Unrecht sichtbar machen. Ihr Leid anerkennen“, sagte Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas (SPD). Antisemiti­smus und Antizigani­smus, Rassismus und andere Formen gruppenbez­ogener Menschenfe­indlichkei­t

seien nach wie vor ein Problem, sie nähmen sogar zu.

Ein Grund dafür, dass sich auch heute noch Menschen gezwungen sehen, ihre Identität zu verleugnen. Welche Auswirkung­en das haben kann, weiß Rozette Kats. Obwohl sie selbst keiner sexuellen Minderheit angehöre, kenne sie das Gefühl, sich verstecken und anpassen zu müssen. Als jüdisches Kind überlebte sie den Holocaust unter falschem Namen bei Pflegeelte­rn in Amsterdam, während ihre Familie in Auschwitz ermordet wurde. Ihr halbes Leben lange führte Kats ein Doppellebe­n. 1992 erhielt sie die Einladung zu einer Konferenz für jüdische Kinder, die während des

Krieges versteckt wurden. „Das war meine Befreiung.“

Seitdem hat sich ihr Leben nach eigenen Angaben deutlich verbessert. „Was ich als kleines Kind lernen musste, das mussten jedoch auch viele Angehörige sexueller und geschlecht­licher Minderheit­en vor und leider auch nach 1945 lernen“, so Kats. Sie kennt die Vorbehalte gegen verschiede­ne Opfergrupp­en, auch innerhalb der eigenen Reihen. Doch sie ist der Überzeugun­g: „Jeder Mensch, der damals verfolgt wurde, verdient achtungsvo­lle Erinnerung. Jeder Mensch, der heute verfolgt wird, hat Anspruch auf unsere Anerkennun­g und unseren Schutz.“

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FOTO: DPA Zeitzeugin Rozette Kats sprach bei der Gedenkstun­de.

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