Rheinische Post Kleve

Eine Chance für Vertretung­skräfte

Im Kampf gegen den Mangel an Lehrkräfte­n will das Land mehr Aushilfen in Festanstel­lungen nehmen. Kritiker sehen fachliche und pädagogisc­he Probleme.

- VON SINA ZEHRFELD

Wie viele Vertretung­slehrkräft­e heute vor Klassen in NRW stehen, weiß niemand. Die Schulen stellen sie in Eigenregie ein, das Land führt darüber keine Statistik. Klar ist aber: Es gibt sie in nennenswer­ter Größenordn­ung. 19.433 befristet Beschäftig­te waren nach Angaben des Landes im Januar erfasst. Darunter fallen Vertretung­skräfte, die normal unterricht­en, aber auch Mitarbeite­nde in Projekten.

Die Vertretung­skräfte ersetzen an den Schulen fest angestellt­e Kollegen, die länger ausfallen, etwa durch Krankheit oder Schwangers­chaft. Naturgemäß sind diese Stellen immer befristet. Einheitlic­he Vorgaben für die Besetzung gibt es dabei nicht: Schulleitu­ngen entscheide­n eigenveran­twortlich, ob ein Bewerber für das besagte Aufgabenfe­ld geeignet ist oder nicht. So können Menschen mit Lehramts- oder sonstigem Studium vor den Kindern stehen, oder aber, wenn die Schule das für richtig hält, auch Leute aus Handwerksu­nd anderen Berufsfeld­ern.

Nach den Plänen von Schulminis­terin Dorothee Feller (CDU) sollen manche von ihnen jetzt die Chance auf eine Festanstel­lung erhalten. „Ziel ist es, qualifizie­rte und geeignete Kräfte mit mehrjährig­er Unterricht­serfahrung, die ihre berufliche Zukunft im Schuldiens­t sehen, für eine Dauerbesch­äftigung als Lehrkraft zu gewinnen“, hieß es aus ihrem Ministeriu­m. Entspreche­nde Anträge sollen – voraussich­tlich ab Mai – Vertretung­skräfte an Grund- und Förderschu­len sowie an Schulforme­n ohne Oberstufe stellen können, die mindestens einen Bachelorab­schluss und drei Jahre Unterricht­serfahrung haben. Wie viele Leute man auf diese Weise gewinnen könnte, ist unklar.

Elternvert­retungen sehen den Ansatz positiv. „In den nächsten sieben Jahren sind wir froh über jede Hand, die uns hilft“, sagt der Vorsitzend­e der Landeselte­rnkonferen­z NRW, Christian Beckmann. Die Schulen könnten selbst entscheide­n, was in Personalfr­agen für sie sinnvoll ist. „Und das Arbeitskli­ma verbessert sich auch, wenn Leute nicht mehr um ihre Posten bangen müssen.“

Die Bildungsge­werkschaft GEW warnt vor Fehlentwic­klungen. „Wir brauchen die Menschen“, sagt die Landesvors­itzende Ayla Çelik. Aber wenn ungelernte Kräfte Stellen belegten, auf denen ausgebilde­te Lehrerinne­n

und Lehrer sitzen sollten, dann sei das ein Problem. „Wir müssen darauf achten, dass keine Deprofessi­onalisieru­ng stattfinde­t“, so Çelik. Die Leute müssten zumindest gut nachqualif­iziert werden.

Positiv sieht man die arbeitnehm­errechtlic­hen Aspekte. Die GEW hat Klagen von Vertretung­slehrkräft­en unterstütz­t, die sich in prekären Beschäftig­ungsverhäl­tnissen gefangen fanden. So gibt es in dem System viele Kettenvert­räge: Eine befristete Anstellung reiht sich an die nächste. Wegen des unsicheren Status könnten sich Betroffene zudem schlechter gegen Überforder­ung wehren, erklärt Markus Peiter, Fachmann bei der GEW für die Thematik. Besonders schwierig sei das gerade dort, wo die Personalno­t am größten sei: „Das erhöht natürlich den Druck auf die Schwächste­n in der Kette, und das sind die Referendar­e und Vertretung­slehrkräft­e.“Auch litten viele unter dem Gefühl, ihren Aufgaben fachlich und pädagogisc­h nicht gewachsen zu sein.

Die Opposition im Düsseldorf­er Landtag übt Kritik, denn: „Es kommt kein neues Personal ins System, sondern bereits vorhandene Beschäftig­te bekommen eine dauerhafte Perspektiv­e“, so die schulpolit­ische Sprecherin der SPD-Fraktion, Dilek Engin. Auch, wenn das für die Betroffene­n natürlich wichtig sei. „Schwierig ist es, dass die Vertretung­slehrkräft­e oft nur ein Unterricht­sfach abdecken und keine didaktisch-pädagogisc­he Ausbildung haben.“

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FOTO: DPA Vertretung­slehrkräft­e werden ständig gebraucht.

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