Der Verkehrssektor gefährdet die Klimaziele
Bei einem Koalitionsgipfel stehen der schnellere Ausbau der Infrastruktur und die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen im Fokus.
Die Union hat nach dem ergebnislosen Koalitionsausschuss zu schnelleren Planungsverfahren und Klimazielen im Verkehrssektor ein Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gefordert. VizeFraktionschef Ulrich Lange (CSU) erklärte, Deutschland brauche neue Autobahnen ebenso wie die zügige Sanierung des Straßen- und Schienennetzes. „Es ist wirklich schwach, dass sich SPD und FDP von den Grünen die ideologische Bremse reinhauen lassen“, sagte Lange.
Die vierstündige Beratung des Koalitionsausschusses ging am Donnerstagabend ohne konkrete Beschlüsse zu Ende. Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP waren auf Drängen der Grünen zusammengekommen, um nach Kompromissen im monatelangen Streit über die Beschleunigung von Planungsverfahren im Verkehrssektor und der bisher ungenügenden Umsetzung der Klimaschutzziele zu suchen.
Die Koalition muss neben der Planungsbeschleunigung nach den Vorgaben der Europäischen Union ein Klimaschutzsofortprogramm auf den Weg bringen, also Ziele festlegen, wie sie bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität erreichen will. Im Verkehrssektor ist die Lücke besonders groß. Die Grünen werfen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor, hier ambitionslos und unverbindlich zu sein und den Koalitionsvertrag zu ignorieren.
Position der FDP
Wissing beharrt darauf, nicht nur den Ausbau des Schienennetzes, sondern auch der Straßeninfrastruktur und insbesondere der Autobahnen zu beschleunigen. Es gehe nicht darum, welche Projekte schneller vorankommen sollten, sondern lediglich um das Wie. Wenn Straßen und Autobahnen ausgeklammert würden, werde Deutschlands ökonomische Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel gesetzt, die auf schneller Just-in-time-Produktion fuße. Mehr als 80 Prozent des
Güterverkehrs, der in Zukunft weiter zunehmen werde, werde über die Straße abgewickelt, da könne man diesen Bereich nicht einfach herausnehmen. Auch rot-grüne Landesregierungen wie die in Niedersachsen seien für den Ausbau der Autobahn 20. In Berlin gehe es um die Stadtautobahn (A100). Wissing will, dass für Bau und Sanierung von bestimmten Autobahnen wie diesen ein „überragendes öffentliches Interesse“festgestellt wird, sodass sie schneller vorankommen.
Position der Grünen
Die Grünen sind zwar auch für die Planungsbeschleunigung, wollen aber aus Klima- und Umweltschutzgründen Prioritäten setzen: Bei Brückensanierungen und dem Ausbau der Infrastruktur der klimafreundlicheren Bahn wollen sie aufs Tempo drücken, der Straßenausbau habe dagegen keine Priorität mehr. Hier werde man hart bleiben, zumal im Verkehrssektor die Klimaziele drastisch verfehlt würden, hieß es am
Freitag. Die Zustimmung der Grünen zur Planungsbeschleunigung werde es auch nur dann geben, wenn ein glaubwürdiges Konzept Wissings zum schnelleren Kohlendioxid-Abbau vorliege. Die Industrie müsse wegkommen von der Just-intime-Produktion und wieder mehr auf die Lagerhaltung setzen.
Umstritten sind auch Pläne von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), bis zum Jahr 2030 schrittweise auf Biokraftstoffe zu verzichten. Darüber wurde dem Vernehmen nach am Donnerstag im Kanzleramt aber nicht gesprochen.
Position der SPD Sie neigt dazu, dem Streit zuzuschauen, steht der FDP aber näher als den Grünen: Im Zweifel haben die Wettbewerbsfähigkeit und der Erhalt von Arbeitsplätzen für die Sozialdemokraten Vorrang vor Klimaschutz. Allerdings hatte Bundeskanzler Olaf Scholz im Wahlkampf sein Konterfei mit der Aufschrift „Klima-Kanzler“plakatieren lassen. Auch Scholz und die
SPD hatten sich zum Pariser Klimaziel von höchstens 1,5 Grad Celsius Erderwärmung bekannt. Nicht nur die Union, auch die Grünen fordern von Kanzler Scholz ein Machtwort: Er soll die FDP auf Klimaschutzkurs bringen.
Wann weiter beraten wird – nicht einmal darüber gab es nach dem Treffen im Kanzleramt Klarheit. Immerhin: Die Koalition wolle an einem „Gesamtpaket“arbeiten, hieß es am Freitag. Eine mögliche Kompromisslinie wäre, sich bei der Planungsbeschleunigung auf eine Liste mit ausgewählten Infrastrukturprojekten zu konzentrieren. Viel Zeit bleibt nicht: Der Bundeskanzler hat die Devise ausgegeben, die Schnelligkeit beim Bau der Terminals für Flüssiggas (LNG) auf andere Infrastrukturprojekte zu übertragen. Es gehe um ein neues „DeutschlandTempo“, so Scholz. Die LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin wurden in wenigen Monaten teils ohne Genehmigungen errichtet.