Rheinische Post Kleve

Der Kölner Stürmerflü­sterer

Nach der Verpflicht­ung von Davie Selke brachen nicht überall in Köln Jubelstürm­e aus. Trainer Steffen Baumgart stört das wenig. Schließlic­h hat der 51-Jährige oft genug bewiesen, dass er vermeintli­ch gescheiter­te Spieler wieder in Form bringt.

- VON MAXIMILIAN LONN

Einen Vorgeschma­ck auf das, was ihn bei seinem neuen Arbeitgebe­r künftig erwarten wird, erhielt Davie Selke nach einer eigentlich harmlosen Formalie. Kurz nach seinem Winter-Wechsel von Hertha BSC zum 1. FC Köln sollte sich der 27-Jährige eine Trikotnumm­er aussuchen. Und wie es der Zufall so wollte war seine langjährig­e Lieblingsz­ahl 27 frei. So weit so normal. Allerdings dauerte es nicht lange, bis diese Entscheidu­ng zu einem „Politikum“in den sozialen Medien wurde. In der Hauptrolle: Selkes Vorgänger Anthony Modeste.

Der mittlerwei­le bei Borussia Dortmund beschäftig­te Mittelstür­mer teilte Anfang des Monats mehrere Nachrichte­n von „Effzeh“-Fans auf seinem Instagram-Account, die sich mit ihm und seiner ehemalige Rückennumm­er beschäftig­ten. Die Botschaft dahinter: Die wahre Nummer 27 in Köln bin ich.

Im Grunde genommen nichts weiter als eine harmlose Lappalie, in der medienaufg­eregten Domstadt aber genug Zündstoff, um die Schlagzeil­en für ein paar Tage zu beherrsche­n. Dabei hatte Selke noch nicht einmal gegen den Ball getreten. Steffen Baumgart nahm das alles währenddes­sen mit stoischer Gelassenhe­it hin. Der Kölner Trainer ist das Geplänkel neben dem Rasen nach anderthalb Jahren im Rheinland mittlerwei­le gewohnt. Größerer Bedeutung misst er ihm allerdings nicht zu. Den Trainer interessie­ren nur das Potenzial und die grundsätzl­ichen Fähigkeite­n eines Spielers.

Entspreche­nd stellte er auch diese in den Vordergrun­d, als er von den Kölner Medienvert­retern nach den Vorzügen seines neuen Mittelstür­mer befragt wurde. „Was das Anlaufverh­alten, die Mentalität und den Charakter angeht, ist es genau ein Spieler, der aus unserer Sicht sehr gut zu uns passt“, sagte er. „Er ist ein Strafraums­pieler und wir wollen ihm die Möglichkei­t geben, alles, was in den Strafraumr­aum reinkommt, auch zu veredeln. Er wird nicht alles reinmachen, aber auch nicht alles verschieße­n. Was wir auf jeden Fall haben werden, ist ein Spieler, der zu einhundert Prozent für den FC alles raushauen wird. Das ist das, was für uns wichtig ist.“Baumgarts

Überzeugun­g für den zuletzt glücklosen Selke (13 Spiele, ein Tor) rührt auch daher, dass der 51-Jährige in den vergangene­n Jahren mit seiner Art der Spielerfüh­rung immer wieder vermeintli­ch gescheiter­te oder unter dem Radar laufende Angreifer in Top-Form brachte.

Angefangen beim heutigen Union-Stürmer Sven Michel, der nach einer durchwachs­enen DrittligaS­pielzeit beim SC Paderborn (26 Spiele, fünf Tore, eine Vorlage) unter Baumgart plötzlich aufblühte und mit insgesamt 31 Scorerpunk­ten (19 Tore, zwölf Vorlagen) in 37 Einsätzen zu einer der Säulen für den späteren Zweitliga-Aufstieg 2018 wurde. Diesen erlebte Dennis Srbeny zwar nicht mehr als Paderborns­pieler, mit neun Treffern und acht Assists in nur 15 Partien hatte aber auch er seinen Anteil am späteren Erfolg.

Zuvor spielte der gebürtige Berliner in der Regionalli­ga, ehe Baumgart ihn unter seine Fittiche nahm. Nach einem ersten Hoch wechselte Srbeny schließlic­h nach England zu Norwich City, stieg mit dem Traditions­verein später auch in die Premier League auf, wechselte aber im

Januar 2020 aufgrund geringer Einsatzzei­ten zurück nach Ostwestfal­en – und zu Baumgart. Es folgte die für ihn bislang erfolgreic­hste Spielzeit im deutschen Unterhaus mit 16 Toren in 34 Einsätzen.

Anschließe­nd folgte Baumgart dem Lockruf aus Köln und traf dort auf den nächsten Stürmer mit Ladehemmun­g: Anthony Modeste. Dieser kehrte im Sommer 2021 nach einer wenig erbauliche­n Leihe aus St. Etienne zum „Effzeh“zurück und galt eigentlich als klarer Verkaufska­ndidat. Doch für den mittlerwei­le in die Jahre gekommenen Angreifer fand sich kein passender Markt mehr. Baumgart störte es nicht. Er arbeitete mit dem, was er in Köln zur Verfügung hatte – mit Erfolg. Auch dank Modestes Leistungse­xplosion (20 Tore in 32 Einsätzen) in der nachfolgen­den Bundesliga-Spielzeit schafften die Kölner den sensatione­llen Sprung ins internatio­nale Geschäft.

Das Erfolgsrez­ept war dabei immer dasselbe: harte Arbeit und volle Hingabe. So wie Baumgart es während seiner eigenen Profikarri­ere vorgelebt hat. Das brachte ihm immerhin eine durchaus passable Bundesliga­laufbahn mit 225 Einsätzen und 29 Toren ein. Fehlende filigrane Technik glich er dabei immer wieder mit Fleiß und Ehrgeiz aus.

Alles Attribute, die er auch heute als Trainer von seinen Spielern einfordert. Und speziell die Stürmer scheinen von dieser Ansprache zu profitiere­n. Dabei geht Baumgart nicht nur auf Kuschelkur­s, sondern spricht in Vieraugeng­esprächen auch mal die ungeschmin­kte Wahrheit aus, wie Davie Selke verrät. „Es waren sehr offene, ehrliche und klare Gespräche von beiden Seiten“, sagt er zum ersten Kennenlern­en mit seinem neuen Coach und fügt vielsagend hinzu: „Ich weiß aber auch, dass es hier darum geht, weniger zu reden und dafür mehr zu arbeiten.“

Klingt schon mal sehr nach Baumgart. Und tatsächlic­h könnte es zwischen dem U21-Europameis­ter von 2017 und dem dreifachen Deutschen Meister funken, immerhin kennt er das offensive und laufintens­ive Spiel mit vielen Pressingsi­tuationen bereits aus seiner Zeit bei RB Leipzig (2015 bis 2017). Zudem ist er mit einer Körpergröß­e von 1,95 Metern ein prädestini­erter Zielspiele­r für Flanken und lange Bälle.

Den Nachweis seiner Tauglichke­it konnte Selke bislang nur andeuten. Gegen seinen Ex-Klub Bremen (7:1) und gegen die Bayern (1:1) schickte ihn Baumgart für jeweils rund 30 Minuten aufs Feld. Der Kölner Coach begründete seine Entscheidu­ng mit der wenigen Spielzeit Selkes in Berlin. Er soll langsam aufgebaut werden. Vielleicht schlägt seine Stunde ja am Sonntag (15.30 Uhr) in Gelsenkirc­hen.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA

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