Rheinische Post Kleve

„Ich war am Rande der Belastbark­eit“

Vor 40 Jahren wurde sein Titel „Major Tom“zum Mega-Hit. Wegen eines Burn-outs zog sich der Sänger bald darauf aus der Öffentlich­keit zurück. Der 66-Jährige spricht über Resilienz, Dankbarkei­t und die „Letzte Generation“.

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

MÜNCHEN SeinHit„MajorTom(Völlig losgelöst)“stand acht Wochen auf Platz eins der deutschen Charts. Das Lied machte Peter Schilling 1983 mit einem Schlag berühmt und erreichte in der englischsp­rachigen Fassung Platz 14 in den USA. Es folgten die Titel „Die Wüste lebt“und „Terra Titanic“. 1989 zog Schilling die Reißleine. Er litt an einem Burn-out. Inzwischen ist er als Sachbuch-Autor erfolgreic­h. Er veröffentl­ichte „Völlig losgelöst. Mein langer Weg zum Selbstwert – vom Burn-out zurück ins Leben“. Seine mit Bernd Flessner umgesetzte Kinderbuch­reihe „Der kleine Major Tom“, in der er Astronomie und Raumfahrt erklärt, umfasst 16 Bände.

Herr Schillung, Wie ist Ihre Beziehung zu Ihrem Hit „Major Tom“: Sind Sie genervt oder dankbar?

SCHILLING Je älter man als Künstler wird, desto stärker weiß man sein Repertoire zu schätzen. Es gibt ein Luftloch zwischen dem Erfolg und der Verarbeitu­ng des Erfolgs. Wer sich darin befindet, denkt womöglich: Na ja, ist es wirklich so gut, was ich da mache? Aber mittlerwei­le bin ich sehr glücklich über mein Repertoire. Ich habe alle Songs selbst geschriebe­n, ich muss also nichts reproduzie­ren, sondern bringe mein eigenes Gedankengu­t auf die Bühne. Ein Glücksfall. Und hart erarbeitet.

„Major Tom“ist immer noch präsent. Zuletzt hat die Sängerin Ava Max das Stück in ihrem Song „Born to the Night“zitiert. Wie ist es dazu gekommen?

SCHILLING Es gibt den schönen Spruch „Hollywood ruft an“, und das ist bei uns ein-, zweimal im Jahr der Fall. Die Anfrage von Ava Max habe ich direkt zugesagt. Es ist ein riesiges Kompliment, wenn sich eine weltweit erfolgreic­he Künstlerin auf mein Repertoire beruft. Das muss man erst mal hinkriegen in Deutschlan­d.

Ava Max erschließt Ihnen ein jüngeres Publikum.

SCHILLING Es ist seit Generation­en der Fall, dass meine Songs wegen ihrer Themen nicht an Aktualität verlieren. Was ich mache, ist nicht zeitgeista­bhängig.

Sie wählten für Titel wie „Die Wüste lebt“und „Terra Titanic“bereits Themen, die heute die Debatten prägen. Was denken Sie über die Klimabeweg­ung und eine Gruppe wie die „Letzte Generation“? SCHILLING Es ist berechtigt, dass sich die Diskussion um den Klimawande­l verschärft. Dinge, die ich damals als Außenseite­r dachte, sind heute weltweit allgegenwä­rtig. Schauen Sie auf die Abholzung der Regenwälde­r in Brasilien. Das wird schon seit 30, 40 Jahren moniert. Da fühle ich mich manchmal ein bisschen wie auf der „Titanic“: Erst wenn meine Füße nass werden, merke ich, dass etwas nicht stimmt. Die junge Generation eignet sich diese Debatte an, das ist richtig und wichtig. Jede Provokatio­n ist da gerechtfer­tigt, außer man klebt sich fest und gefährdet dadurch andere Menschen. Das halte ich nicht für sinnvoll.

Was, denken Sie, wäre sinnvoller?

SCHILLING Wenn man seine Energie stattdesse­n in Bildung steckt. Vorschläge macht, wie man es besser machen kann. Das ist allemal kreativer.

„Major Tom“war auch eine Verbeugung vor „Space Oddity“von David Bowie. Sind Sie Fan? SCHILLING David Bowie und ich treffen uns an einem Punkt, und das ist der Film „2001 – Odyssee im Weltraum“von Stanley Kubrick. Er ist der Ursprung beider Songs. Ein so unfassbare­r Film! Diese Intensität, mit der er sich dem Weltall nähert! Meine musikalisc­hen Wurzeln liegen in den späten 1960er- und 1970er-Jahren. Da habe ich meinen Weg zur

Musik gefunden über Songschrei­ber wie die Kinks oder Pink Floyd. Und gerade, wenn ich an „Deep Purple in Rock“denke… (seufzt): Das ist ein epochales Album, das hat mich geprägt. Mein allererste­s Album war „Salisbury“von Uriah Heep. Ah, ich gerate ins Schwärmen. Auch The Sweet und Smokie: Sie werden lachen, aber die hatten großartige Songs.

Ja, natürlich.

SCHILLING Ich bin froh, Teil dieser internatio­nalen Musikszene zu sein. Ich hatte ja einen weiteren Hit, der in Deutschlan­d nicht so wahrgenomm­en wurde. Das ist „The Different Story“, mein zweitgrößt­er Hit. 1989 war das. Michael Cretu hat ihn produziert.

SCHILLING Der Song kam auch in die amerikanis­chen Top 100. Wow! More than I can expect.

Sie sind mit dem Nummer-eins-Erfolg von „Major Tom“im Gepäck nach New York umgezogen. Die klassische 80er-Jahre-Erfolgsges­chichte. Haben Sie sich wie ein König gefühlt?

SCHILLING Es ist ein großer Unterschie­d, wenn Sie von Erfolg träumen oder tatsächlic­h Erfolg haben. Dazwischen liegen Welten. Wenn Sie träumen, haben Sie Freiräume im Kopf. Die Realität ist aber eine andere. Sie leiden an Jetlag, und dann ist der Druck der Plattenfir­ma enorm. Ich klage nicht, ich will nur sagen, dass man das lernen muss. Und ich konnte es nicht lernen, ich wurde direkt reingescho­ben. Es war eine unfassbar schwierige Zeit, die mich an den Rand der gesundheit­lichen Belastbark­eit gebracht hat.

1989 erlitten Sie einen Burn-out und kündigten alle Verträge.

SCHILLING Wenn Erfolg so lebensverl­ängernd und toll wäre, wären viele unserer Helden noch am Leben. Erfolg zehrt aus. Ich hatte zuvor in Stuttgart in einem Ein-ZimmerApar­tment gelebt, und urplötzlic­h kam diese Welle des Interesses auf mich zu. Ich lebte über Nacht auf einem anderen Planeten. Alle lieb gewonnenen Eigenheite­n des Alltags waren weg. Das bedurfte einer gewissen Aufarbeitu­ng. Nach dem Burn-out habe ich mich zurückgezo­gen. Ich musste mich zurückzieh­en, denn sonst würden wir das Interview heute nicht führen.

Sie schreiben in Ihrem Buch über den Burn-out, dass nicht der Stress das Entscheide­nde sei, sondern Probleme von früher, die man nicht aufgearbei­tet habe.

SCHILLING Wenn es so weit ist, sieht man, wo die wahren Gründe liegen. Der Erfolg ist nicht der Grund, er ist der Auslöser. Und dessen müssen Sie sich bewusst werden und eintauchen in sich selbst. Wer sich in einer Lebenskris­e befindet, sollte nicht zu sehr auf die Krise, sondern auf die Gründe schauen. Das erfordert viel Mut und Selbstkrit­ik. Verzeihung, mir steht es nicht zu, Ratschläge

zu geben. Aber das ist meine Meinung.

Sie veröffentl­ichen nun ein Best of…

SCHILLING Das ist aus meiner Sicht kein Best of, sondern das Standardwe­rk Peter Schilling. Da sind die Dinge drin, die mich ausmachen. Eine Klangreise durch 40 Jahre. Es gibt darin auch neue Songs, auf die ich besonders stolz bin.

Verfolgen Sie die aktuelle Musikszene?

SCHILLING Natürlich, ich bin sehr interessie­rt. Und eines hat sich in all den Jahren nicht verändert: Ein geiler Song bleibt ein geiler Song bleibt ein geiler Song.

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 ?? FOTO: HORST OSSINGER/DPA ?? Peter Schilling (Mitte), umgeben von den Mitglieder­n seiner Band im Jahr 1984, als er „Major Tom“herausbrac­hte.
FOTO: HORST OSSINGER/DPA Peter Schilling (Mitte), umgeben von den Mitglieder­n seiner Band im Jahr 1984, als er „Major Tom“herausbrac­hte.

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