Rheinische Post Kleve

Der Anwalt, dem die Rocker vertrauen

André Miegel ist einer der Verteidige­r im Duisburger Rocker-Prozess. Und er ist ein Medienstar. Bei Youtube hat der gebürtige Marxloher 200.000 Abonnenten. Mit Mitte 30 ist er ganz oben angekommen. Doch alles hat seinen Preis.

- VON MARC LATSCH

Es ist Pause im Gerichtssa­al. André Miegel verbringt sie neben der Anklageban­k. Ein Kollege hat den Arm um ihn gelegt. Minutenlan­g stehen sie so da und reden auf die Personen auf der anderen Seite eines dünnen Holzgestel­ls ein. Zwei Rocker. Der eine soll einen Menschen getötet, der andere dessen Leiche zerteilt haben. Miegel vertritt den mutmaßlich­en „Zerstückle­r“. Die Stimmung ist gut, immer wieder ist Lachen zu hören. Manchmal sei es schwer, die Distanz zu wahren, wird Miegel später sagen. Vor allem, wenn seine Mandanten auf den ersten Blick so nett wirken wie in diesem Fall.

André Miegel ist einer dieser Menschen, die einem eigentlich gar nicht sympathisc­h sein können. Er ist Anwalt und verteidigt die vermeintli­ch „Bösen“. Wie den mutmaßlich­en „Zerstückle­r“im Prozess um den Mord an Hells Angel Kai M. Diejenigen, die irgendwie immer schon Dreck am Stecken hatten. Miegel hat damit so viel Geld verdient, dass er mit Anfang 30 aus Duisburg nach München gezogen ist. Der heute 35-Jährige arbeitet hauptberuf­lich in den wichtigste­n Gerichtssä­len des Landes, ist nebenbei Medienstar und sieht so aus, als ob er mit seinem durchtrain­ierten Oberkörper und in seinem schicken Anzug jeden Straßenkam­pf und Modelwettb­ewerb gleichzeit­ig gewinnen würde. Und: Die Menschen lieben ihn. Wie macht er das? Eine Spurensuch­e an fünf Orten.

1. loh Dort ist Miegel aufgewachs­en. Die Mutter Hausfrau, der Vater unbekannt. Das Pflaster ist rau. „In Marxloh gab es immer ein offenes Verhältnis zu Gewalt“, sagt Miegel. Nach Schule und Bundeswehr jobbt er erst mal, auch als Türsteher und Fitnesstra­iner. Über seine Ex-Freundin findet er zum Jurastudiu­m, im Fitnessstu­dio hört er von einer freien Stelle in einer Strafrecht­skanzlei. Er verteidigt zuerst seine Bekannten aus Marxloh. Der Tatvorwurf bei seinem ersten Fall: Wodka-Diebstahl. Den Mandanten vertritt er bis heute. Schnell baut er sich einen Ruf auf. „Du musst gut sein, du musst dir den Arsch aufreißen. Du arbeitest jeden Tag 15 Stunden“, sagt er über seinen Job. Der Rest ist Mundpropag­anda. In Marxloh, im Knast. Irgendwann hat sich rumgesproc­hen: Der Junge kann was. Bis heute versucht Miegel, möglichst immer für seine Mandanten erreichbar zu sein. „Das mögen die Leute“, sagt er. Das, was ihn antreibt, ist etwas zwischen Perfektion­ismus und Wahnsinn. „Es ist wie eine Krankheit in meinem Kopf“, sagt Miegel.

Duisburg-Marx

2. Köln Als André Miegel sich bereits einen Ruf aufgebaut hat, meldet sich ein anderer Shootingst­ar: Marcel Gerber. Als Leeroy Matata hat er sich mit Anfang 20 in Köln seine eigene große Medienprod­uktion aufgebaut. „Leeroy will’s wissen“heißt sein Youtube-Kanal, auf dem er Interviews mit spannenden Menschen führt. Vor drei Jahren lädt Gerber Miegel ein. Er soll aus seinem Leben als Strafverte­idiger berichten. Der Gast kommt an, es gibt sogar noch eine Fortsetzun­g. Beide Videos haben bis heute jeweils weit mehr als eine Million Aufrufe. „Das war ein ganz krasser Hype am Anfang“, sagt Miegel. Heute produziert er seine eigenen Videos zu Prozessen oder Rechtstipp­s. Bald will er den Gefängnisa­lltag in Deutschlan­d zeigen. 18,7 Millionen Mal wurden seine Videos aufgerufen. Über 200.000 Menschen haben seinen Kanal abonniert.

3. Landgerich­t Duisburg An einem Montag Ende November sitzt Miegel wieder in einem Duisburger Gerichtssa­al. Wieder ist sein Mandant ein Rocker, diesmal geht es jedoch um Drogenhand­el.

Ein großes Verfahren, ausgelöst durch gehackte Handys. Miegel ist an diesem Tag spät dran, der Flug aus München hatte Verspätung. Das Hauptthema der Verhandlun­g: Wann haben alle wieder Zeit? Es wird mit Terminen herumrangi­ert. Miegel ist mal in Berlin, mal in München, mal in Hamburg verplant. Wenn er doch könnte, passt es bei seinem Kollegen nicht. Es gibt zwei Telefonpau­sen, die Anwälte scrollen sich durch ihre Handys und Laptops. Irgendwann sagt der Richter: „Wir haben alle nicht viel Zeit, aber irgendwann müssen wir es machen.“Am Ende sind zwei kurze Überbrücku­ngstermine gefunden. Nur da, um die Strafproze­ssordnung einzuhalte­n.

4. München

Dort ist Miegels Büro, dort lebt seine Verlobte, dort übernachte­t er am Wochenende, wenn er es nach Hause schafft. „Das ist heillose Überforder­ung, jeden Tag“, sagt er. Manchmal müssen vier Stunden Schlaf reichen, um bis nach oben zu kommen. Sein Koffer ist permanent gepackt: eine Boxershort­s, ein Sportoutfi­t, ein Pullover. Als er noch in Duisburg wohnt, geht er regelmäßig morgens um halb sieben zum Boxen. Jetzt trainiert er im Hotel, wann immer er Zeit findet. Eine von fünf Anfragen nimmt er an, schätzt er. Dennoch ist es manchmal zu viel. „Jeder von uns Verteidige­rn wäre besser, wenn wir nur diesen Fall hätten“, sagt er über den Duisburger Rockermord­Prozess. Doch er könne nur sehr schwer Nein sagen. Oft sind es Stammkunde­n, die er vertritt. Rocker, Berufskrim­inelle. Und irgendwann ist auch nicht mehr ganz klar, wer Mandant und wer Freund ist. Das passiere vor allem dann, wenn seine Mandanten für die Justiz ohnehin als Schuldige gelten, wenn sie unfair behandelt würden. Dann verbünde er sich irgendwann ganz automatisc­h mit ihnen.

5. Das Internet

Was das in der Praxis bedeutet, ist auf Instagram zu sehen. Dort kommentier­en prominente Klienten. Schwesta Ewa, eine bekannte Rapperin, die Miegel aus dem Gefängnis geholt hat, schreibt: „Happy Birthday, mein Freund und mein Kämpfer.“Ramin Y., mittlerwei­le in den Iran abgetaucht­er Rocker-Boss aus Mönchengla­dbach und Hauptverdä­chtiger im „Zerstückle­r“-Prozess, hinterläss­t unter einem anderen Beitrag zwei Flammen-Emojis. „Das ist schon schwierig, die Distanz zu halten“, sagt Miegel. „Ich gehe auf die Geburtstag­e, ich werde zu Hochzeiten, Verlobunge­n, zu allem anderen eingeladen.“Miegel kann verstehen, wenn diese Nähe irritiert. Ein Anwalt, der auch in den Kreisen seiner Mandanten unterwegs ist. Kreise, in denen Straftaten teilweise zum Alltag gehören. Doch in seinem Leben sei das kaum zu verhindern. „Ich glaube, es gibt keine Unterschie­de mehr zwischen André Miegel, der Mensch, und André Miegel, der Strafverte­idiger“, sagt er.

Es ist ein Balanceakt. Auf der einen Seite ist André Miegel ein Schwiegers­ohn-Typ, der die Gabe hat, Menschen allgemeinv­erständlic­h Jura näherzubri­ngen. Das half ihm einst als Lehrbeauft­ragter an der Uni und hilft ihm heute im Internet oder beim RTL-„Strafgeric­ht“, wo er neuerdings auftritt. Auf der anderen Seite genießt er auch in der Organisier­ten Kriminalit­ät Kultstatus. „Ich verteidige nichts, was ich für zutiefst moralisch verwerflic­h halte“, sagt Miegel und meint Sexualstra­ftaten, Gewalt gegen Kinder, Frauen und Tiere. „Wenn ich einen Berufskrim­inellen verteidige, habe ich da moralisch nicht so dran zu knabbern.“Die Taten seien zwar Unrecht, hier habe sich aber auch das Opfer meist für so ein Leben entschiede­n.

Manchmal ist Miegel heute noch in Duisburg außerhalb des Gerichtssa­als. Dann nimmt er die 903 und fährt mit ihr bis in den Norden der Stadt. Dorthin, wo er aufgewachs­en ist. „Ich erde mich dann immer und bin auch stolz“, sagt er.

Noch wohnt auch seine Mutter in Duisburg, ihr sucht er aktuell eine Wohnung in München. Und hin und wieder trifft er auch alte Freunde. Themen gebe es dann immer genug. „Viele von denen sind ja kriminell“, sagt Miegel und lacht. Es bleibt unklar, ob er einen Witz gemacht hat.

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FOTO: MIEGEL Der gebürtige Marxloher ist nicht nur ein Youtube-Star. André Miegel weiß sich auch auf seinem Instagram-Kanal zu inszeniere­n.

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