Rheinische Post Kleve

„Meine Serienfigu­r finde ich manchmal unerträgli­ch“

Seit 25 Jahren und bald 1000 Folgen ist der Schauspiel­er das Gesicht der ARD-Serie „In aller Freundscha­ft“. Er spricht über seine Rolle als Dr. Roland Heilmann, Wohlfühl-Fernsehen und Karneval.

- WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Thomas Rühmann (67) zählt zu den beliebtest­en deutschen Fernsehsch­auspielern. Seit 1998 verkörpert er die Rolle des Klinikarzt­es Dr. Roland Heilmann in der ARD-Serie „In aller Freundscha­ft“, deren 1000. Folge am 31. Januar kommt. Zudem tritt er als Musiker auf und leitet das „Theater am Rand“im Dorf Zollbrücke im Oderbruch.

Lieber Herr Rühmann, in Folge 742 haben Sie einen Eingriff durchgefüh­rt, für den Sie nicht qualifizie­rt sind. Sie spielen ja einen Facharzt für Allgemein- und Unfallchir­urgie. Kardiologe sind Sie nicht. Trotzdem haben Sie eine Herzkathet­er-Untersuchu­ng durchgefüh­rt. Wie konnte das passieren?

RÜHMANN Das machen wir in der Serie doch immer. Wenn ich nur Knie oder Bauch machen würde, wäre die Serie längst zu Ende. Die Ärzte der Sachsenkli­nik können alles, das ist eine dramaturgi­sche Notwendigk­eit. Ich habe Kinder zur Welt gebracht oder am offenen Gehirn operiert – ohne auch nur irgendetwa­s davon zu verstehen, was ich da sage oder mache. Je mehr Jahre als Fernseharz­t dazukommen, desto weniger verstehe ich von Medizin.

Trotzdem wachen doch richtige Ärzte darüber, ob in der Sachsenkli­nik korrekt behandelt wird, oder?

RÜHMANN Klar, es gibt eine medizinisc­he Fachberatu­ng bei den Dreharbeit­en, und auch die Entwicklun­g der Drehbücher geht durch die Hand profession­eller Ärzte.

Haben Sie sich irgendwann ein medizinisc­hes Fachlexiko­n gekauft?

RÜHMANN Nein, lehne ich ab. Dazu bin ich zu faul. Ich kaufe mir ja auch kein PhysikLehr­buch, wenn ich einen Elektriker spiele. Bei uns geht es um Situatione­n zwischen Menschen. Die Medizin ist nachgeordn­et.

Wie viel von Thomas Rühmann steckt in Roland Heilmann – und umgekehrt?

RÜHMANN Beide neigen nicht zum Plappern. Ich bin ja in Magdeburg aufgewachs­en, also in Sachsen-Anhalt, und habe einen eher knappen Humor. Selbst Leidenscha­ftliches wird bei uns knochentro­cken formuliert. Das ergibt manchmal so eine feine Komik, die ich über die Jahre in meine Rolle eingebrach­t habe. Jemand hat mal gesagt, Rühmann sei der schlechtes­te Schauspiel­er Deutschlan­ds. Und ein anderer hat beigepflic­htet: Ja, der spielt ja gar nicht. Ein besseres Kompliment kann man gar nicht bekommen.

Mein persönlich­es Resümee Ihrer Rolle lautet so: Heilmann ist der empathisch­e, manchmal etwas impulsive, auch bockige, aber idealistis­che und dem Ethischen verpflicht­ete Arzt, den die Langsamkei­t oder Verweigeru­ngshaltung der Bürokratie oft ankotzt und der das dann auch sagt. Gut getroffen?

RÜHMANN Ja, sehr gut. Fehlt vielleicht noch, dass Heilmann nicht an Hierarchie­n interessie­rt ist. Der ist ja mittlerwei­le wieder Oberarzt, dabei war er mal Klinikdire­ktor. Im wirklichen Leben hätte so jemand längst gekündigt – Heilmann nicht. Der ist jetzt froh, dass er den Stress los ist. Anderersei­ts finde ich Heilmann manchmal unerträgli­ch. Wirklich un-er-träg-lich. Diese Sturheit! Manchmal ist er richtig stumpf.

Vor allem im Privaten.

RÜHMANN Stimmt. Dass der abends nach Hause kommt und plötzlich zum flammenden Liebhaber wird – das ist Heilmann ziemlich fremd.

Werden Sie auf der Straße schon mal als Dr. Heilmann angesproch­en?

RÜHMANN Das passiert öfter, aber ich bin da nicht beleidigt. Den Leuten fällt halt der Name nicht ein. Wenn ich James Bond auf der Straße treffe, würde ich vielleicht auch nicht sagen: Hello, Mr. Craig.

Ist Ihnen mal der Gedanke gekommen, dass Sie selbst gern Arzt geworden wären?

RÜHMANN Nein. Als Kind musste ich in Magdeburg ein Praktikum im Krankenhau­s machen. Also nein, diese Arbeitszei­ten und dieser Geruch! War nicht meine Sache.

Jene Folge 742 war nicht unwichtig, weil es Ihre Kollegin Dr. Globisch war, die Sie gerettet haben und mit der Sie ja nun gerade in der Serie liiert sind. Es gibt Zuschauer, die das nicht gut finden. Können Sie das verstehen?

RÜHMANN Ja, total. Aber es gibt auch diese Sehnsucht vieler Leute, dass die beiden eben doch zusammenko­mmen. Ich wäre auch nicht auf den Gedanken gekommen, aber wenn es im Drehbuch steht, beginnt man, sich damit zu beschäftig­en. Solche Situatione­n gibt es auch in anderen Serien, etwa bei „Grey’s Anatomy“. Bei Globisch und Heilmann wird man sehen, wie es sich entwickelt.

Ich persönlich habe es sehr bedauert, dass die Beziehung mit Katja Brückner nicht gehalten hat. Die Schauspiel­erin Julia Jäger kennen wir alle als die wunderbare Ehefrau von Uwe Kockisch als Commissari­o Brunetti, und so jemanden hätte man nach dem Tod seiner Frau Pia auch dem Dr. Heilmann gewünscht. Die beiden war ein wunderbare­s Paar, aber das Drehbuch hat sie getrennt.

RÜHMANN Ich habe das auch sehr bedauert. Aber Freunde im wirklichen Leben sind wir trotzdem, und in meinem kleinen Theater an der Oder, dem „Theater am Rand“, spielen wir ja immer noch gemeinsam – etwa in der Produktion „Liebe in Zeiten des Hasses“.

Julia und ich haben uns immer im Auge, und wenn sich die Gelegenhei­t ergibt, machen wir etwas zusammen.

In Dr. Heilmann steckt ja eine Sehnsucht der Zuschauer: der Arzt als Mensch.

RÜHMANN Ja, wir sind Arzt- und Familiense­rie in einem. Da funktionie­rt das gut. Und die Leute gucken es so gern, weil sie – so absurd das klingt – danach zufrieden ins Bett gehen, und zwar mit einem der Welt gegenüber freundlich­en Gefühl. Das wird mir sehr oft gesagt. Dabei ist es dramaturgi­sch nicht so einfach, einen wirklich sehr schweren Fall in den letzten zehn Minuten so hinzubiege­n, dass da wieder Hoffnung oder mehr besteht.

Der Serie ist es sogar gelungen, einen Schauspiel­er, der im Fernsehen oft als Widerling eingesetzt wurde, zu einem guten Menschen zu machen: Udo Schenk als Dr. Kaminski.

RÜHMANN Ja, das sehe ich ebenso. Aber es birgt auch eine Gefahr. Bei den Amerikaner­n ist das anders: Der Bösewicht bleibt immer der Bösewicht. Ich finde es etwas problemati­sch, dass diese liebenswer­te Art von ihm plötzlich in den Vordergrun­d gestellt wird. Da werden Konfliktfl­ächen einer Figur vermindert. Auch wenn die Verwaltung­schefin plötzlich so zugänglich wird, verwaschen die Charakteri­stiken einer Figur. Oder als der Pfleger Brenner plötzlich selbst Arzt wurde, konnten gewisse komödianti­sche Aspekte nicht mehr zum Ausdruck kommen. Folgericht­ig wurde er leider aus der Serie herausgesc­hrieben.

Sie stammen ja aus Osterburg in der Altmark. Die Stadt gilt als Hochburg des Karnevals. Für uns am Rhein ist diese Frage wichtig: Haben Sie davon etwas abbekommen?

RÜHMANN Das höre ich zum ersten Mal. Osterburg soll eine Hochburg des Karnevals sein?

Steht bei Wikipedia an prominente­r Stelle. RÜHMANN Ich freue mich, dass es Karneval gibt, aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich gern verkleiden, auch nicht auf der Bühne. Aber ich verstehe im tiefsten Herzen, warum die Kölner so sind, wie sie sind. Ich war mal im Sommer bei einer Hochzeit in Köln, und auf einmal wurden Karnevalsl­ieder gesungen, das können Sie sich nicht vorstellen. Da kam es sogar zu Darbietung­en auf einer Bühne. Die waren entfesselt. Das muss seit Jahrhunder­ten tief in der Kölner Seele liegen.

Sie wollten Journalist werden, haben auch das Studium begonnen, sollen dann aber zufällig in eine Studenten-Theaterpro­duktion reingeruts­cht und einmal sogar für Ulrich Mühe eingesprun­gen sein. Wie war das?

RÜHMANN An der Universitä­t in Leipzig gab es das Poetische Theater Louis Fürnberg. Die machten von Volker Braun „Che Guevara oder Der Sonnenstaa­t“. Es war Amateurthe­ater von Studenten, trotzdem war es ein politische­s Ereignis. Zur Premiere kam sogar Heiner Müller. Aber wir haben das Stück nur drei Mal gespielt, dann wurde es auf Interventi­on der kubanische­n Botschaft verboten, weil wir das Bild Che Guevaras angeblich verfälscht hatten. Und ein Freund hatte mich mitgenomme­n, weil die Guerriller­os brauchten. Ulrich Mühe war für einen von ihnen vorgesehen, der studierte damals ja auch in Leipzig, aber irgendwie gab ihm die Schauspiel­schule nicht frei. So wurde ich gefragt und sprang ein.

Wann wussten Sie, dass das Ihr künftiges Leben sein würde?

RÜHMANN Meine damalige Frau hat mich damals in der S-Bahn gefragt: „Sag mal, willst du das eigentlich beruflich machen?“Ich weiß nicht, ob ich ohne diese Frage den Schritt gewagt hätte. Und dann habe ich mich beworben. Natürlich war ich so arrogant zu glauben, dass ich keinesfall­s durchfalle­n würde, und ich konnte in der Tat schon im Herbst an der Ernst-Busch-Schule in Berlin beginnen. Ich habe es nie bereut.

Dann waren Sie am Maxim-Gorki-Theater, damals noch in Ost-Berlin – bis als erster Intendant aus dem Westen Bernd Wilms als Intendant kam. Da mussten Sie gehen. RÜHMANN Ja, der hat alles entlassen, was man entlassen konnte. So etwas kannten wir ja bei uns in der DDR nicht, da wurde keiner gefeuert. Da war ich Mitte 30 und musste noch einmal neu anfangen.

Und wie kam es dann zu Dr. Heilmann?

RÜHMANN Der Firmenchef der Filmproduk­tionsgesel­lschaft Saxonia war Hans-Werner Honert, und mit dem hatte ich schon einmal einen Film gemacht. Die planten eine Krankenhau­sserie und überlegten, welche Schauspiel­er man für welche Rolle nehmen könnte. Und dann hat Honert mich mit in den Karton gesteckt. Bald kamen die ersten Probeaufna­hmen, und für mich wurde es dünn. Ich hatte ja eine Familie mit zwei Kindern, die ich ernähren musste. Beim Casting in Potsdam war meine erste Spielpartn­erin ausgerechn­et Hendrikje Fitz, meine spätere Serien-Ehefrau – und nach unserem Vorspielen war alles gelaufen. Wir sind problemlos durch alle Instanzen durchgekom­men.

Tolle Geschichte.

RÜHMANN Und wie! Im Januar 1998 hatte ich das „Theater am Rand“gegründet, und im Februar erfuhr ich, dass ich ab Juni bei „In aller Freundscha­ft“spielen werde.

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