Rheinische Post Kleve

WG mal anders

Vom Projekt „Wohnen für Hilfe“profitiere­n Studierend­e und Senioren gleicherma­ßen. Auch in NRW gibt es bereits Teilnehmer. Ein Bericht über zwei Männer, die in solch einer außergewöh­nlichen Gemeinscha­ft wohnen.

- VON NINA SCHWARZER

Vor etwas mehr als drei Jahren steht Daniel Skrentny kurz vor dem Beginn seines Studiums an der Technische­n Hochschule Köln. Wie viele seiner Kommiliton­en sucht der angehende Student aus Hessen nach etwas, was in der Millionens­tadt rar und heiß begehrt ist: Wohnraum zu einem fairen Preis. Inmitten der Suche stößt seine Mutter auf das Wohnprojek­t „Wohnen für Hilfe“.

Zur gleichen Zeit, knapp 200 Kilometer entfernt, findet auch Wolfgang Lewerenz’ Tochter das Wohnprojek­t. Ihr Vater hatte den Wunsch geäußert, jemanden in das freie Zimmer unter dem Dach einziehen zu lassen. Schließlic­h lebt er allein. Der Gedanke, einem jungen Menschen helfen und bei sich aufnehmen zu können sowie in einem Notfall nicht allein zu sein, gefiel ihm.

So bewerben sich beide Männer, zwischen denen 70 Lebensjahr­e liegen, auf die Teilnahme an einem Projekt, das ebenso simpel wie vielverspr­echend ist: „Wohnen für Hilfe“basiert auf gegenseiti­ger Unterstütz­ung zweier Personengr­uppen. Auf der einen Seite sind dies Menschen, die sich Unterstütz­ung und Gesellscha­ft im Alltag wünschen. Auf der anderen Seite ist es ein junger Mensch, der während seiner Ausbildung möglicherw­eise kein großes Budget für Mietzahlun­g hat, dafür allerdings die Zeit und Motivation, für andere Menschen da zu sein.

Vertreten ist „Wohnen für Hilfe“in mehreren deutschen Städten. In jeder Stadt wird das Projekt von einem eigenen Träger unterstütz­t, der die genauen Konditione­n für das Wohnprojek­t festlegt. In Köln läuft die Vermittlun­g über eine Kooperatio­n der Stadt mit der Universitä­t zu Köln und der Seniorenve­rtretung.

Auch die Wohnpartne­rschaft von Wolfgang und Daniel wurde vom Kölner Träger des Wohnprojek­ts begleitet und ist eine von insgesamt 122 Wohnpartne­rschaften im Raum Köln. Während einer Hausbesich­tigung und einem ausgiebige­n Gespräch wurde Wolfgang als wohnrauman­bietende Person von Heike Bermond und Sandra Wiegeler vom Kölner Träger über dessen Wünsche, Vorstellun­gen und Bedürfniss­e befragt. Ein ebensolche­s Gespräch wurde auch mit Daniel geführt, um sicherzust­ellen, dass beide zueinander und zu den Herausford­erungen des Projektes passen.

Auf Daniels Gespräch folgte ein Vermittlun­gsvorschla­g und ein erstes Kennenlern­en. Lange haben Wolfgang und Daniel zusammenge­sessen und sich unterhalte­n, erzählen sie. Dann war schnell klar, dass sie das Projekt gemeinsam wagen wollten. Und so zog Daniel eine Woche später für eine Probephase

bei Wolfgang ein. Aus der Probephase wurde eine nunmehr mehr als drei Jahre andauernde Wohnpartne­rschaft. Als sie sich an die Anfangszei­t zurückerin­nern, dreht sich Wolfgang lächelnd zu Daniel und sagt: „Du kamst und bliebst hier.“Daniel lacht und ergänzt: „Ich bin gekommen, um zu bleiben.“Bei ihnen habe es einfach gepasst.

Das gemeinsame Zusammenle­ben wird von einem Kooperatio­nsvertrag geregelt, welcher in Zusammenar­beit mit dem Kölner Träger

des Projekts und in Anbetracht der individuel­len Bedürfniss­e der beiden Parteien erstellt wurde. Daniel beteiligt sich an den Nebenkoste­n und leistet pro Quadratmet­er seines Zimmers eine Stunde unterstütz­ende Arbeit im Monat. Doch der Fokus liegt für beide auf dem Miteinande­r, so betont Daniel: „Es ist wirklich eine Win-Win-Situation, deswegen ist das Projekt ja auch so schön. Es profitiert nicht nur eine Seite. Es geht ja auch hauptsächl­ich nicht um Profit, sondern auch darum, dass man nicht mehr einsam ist.“

Seit der Anfangspha­se haben die beiden viel zusammen erlebt. Wolfgang ist mittlerwei­le 93 Jahre alt. Und auch, wenn nun ein Pflegedien­st zu ihrer WG hinzugesto­ßen ist, schätzen die beiden Mitbewohne­r die gemeinsame Zeit noch immer sehr. Sie spielen Dame und Halma, essen zusammen und auch ein gemeinscha­ftliches Nickerchen im Wohnzimmer muss ab und an sein.

Frei von Herausford­erungen ist ihr Zusammenle­ben jedoch nicht. Immerhin unterschei­det sich ihre Wohnpartne­rschaft stark von typischen WGs. Um Generation­enkonflikt­en vorzubeuge­n, sei es wichtig, gemeinsame Interessen zu finden, miteinande­r zu sprechen und gegenseiti­ges Verständni­s aufzubring­en. Es sei ein tolles Projekt, aber man müsse ein Mensch dafür sein. Wolfgangs Erfahrunge­n als Lehrer und seine Erinnerung­en an seine eigene Studienzei­t haben ihm dabei geholfen. Und so feiern die beiden Mitbewohne­r mit dem großen Altersunte­rschied zwar nicht wöchentlic­h große WG-Partys, aber zu Karneval wird gemeinsam Bier getrunken. Auch Daniels Brüder sowie seine Freundin sind stets willkommen. Und Daniels restliches Umfeld ist von Wolfgang absolut begeistert: „Meine Freunde feiern ihn“.

Außerdem fühle man eine andere Art von Verantwort­ung füreinande­r. Besonders in der Corona-Pandemie habe sich dies gezeigt. Ihr Wohnkonzep­t sei ein Geben und Nehmen und ihr Verhältnis sehr familiär. Selbst, wenn es vielleicht nicht die typische WG-Erfahrung ist, möchte Daniel die Zeit mit Wolfgang nicht missen. Neben Halma und Dame habe er viel von seinem Mitbewohne­r gelernt, der trotz Rückschläg­en und Verlusten stets lebensfroh geblieben sei.

Sowieso ist Daniel längst nicht mehr nur ein Mitbewohne­r für Wolfgang. Er sei gut integriert in seiner Familie und zu seiner Urenkelin und seinen sechs Enkeln ist nun mit Daniel noch ein weiterer Enkel hinzugekom­men, hält der Rentner fest. Und der Student stimmt ihm zu: „Ich seh dich auch schon wie meinen dritten Opa, obwohl du ja gar nicht so ein Opa bist, du bist ja eigentlich topfit.“

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FOTO: NINA SCHWARZER Eingespiel­tes Team: Wolfgang Lewerenz (l.) und Daniel Skrentny.

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