Rheinische Post Kleve

Die Grenzen des Kostüms

Mexikaneri­n mit Sombrero ja, Kardinal sowieso, Häuptling mit Federn aber nicht? Dürfen Schlager über „Indianer“noch gespielt werden? Die Debatte um politische Korrekthei­t im Karneval strengt an. Wichtig ist sie dennoch.

- VON JULIA RATHCKE

Es gibt derzeit 21 Möglichkei­ten, den Zorn der Debattenfü­hrer auf sich zu ziehen. So viele Varianten jedenfalls bietet der Kostümgroß­händler Karnevalsw­ierts unter der Kategorie „Indianer“– von „Sexy Kiki“über „Häuptling Kiowa“bis hin zur rosafarben­en Kindervari­ante. Die riesige Zahl der Alternativ­en und die Gelegenhei­t, nach drei Corona-Sessionen endlich wieder richtig Karneval zu feiern, machen es allerdings nicht unbedingt einfacher. Denn das Bemühen um Sensibilis­ierung, die Frage nach der politische­n Korrekthei­t und letztlich der Vorwurf der Cancel Culture hat im Jahr 2023 die bunte Welt der Karnevalsg­esellschaf­ten erreicht.

Schon vor der Pandemie kamen hier und da Diskussion­en auf: Eine Hamburger Kita etwa bat 2019 alle Eltern darum, ihre Kinder nicht in Indianer- oder Scheichkos­tüme zu stecken. Gemeinsam sollte bei der Auswahl des Kostüms darauf geachtet werden, „dass durch selbiges keine Stereotype bedient werden“, so die Begründung, weil man auf eine kultursens­ible, diskrimini­erungsfrei­e und vorurteils­bewusste Erziehung Wert lege. Darauf folgte vor allem: Protest und Häme. Wohl auch darin begründet, dass es in Medien vielfach als Verbot kommunizie­rt und dann auch so aufgefasst wurde.

Ein jüngeres Beispiel bot Moderator und Schlagersä­nger Florian Silbereise­n, gegen den wegen des Umdichtens einer Liedzeile nun Strafanzei­ge gestellt wurde. Silbereise­n hatte in der Mitte Januar im MDR ausgestrah­lten Abschiedss­how für Sänger Jürgen Drews den Song „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“mit der Zeile gesungen: „Erinnerst du dich, wir haben zusammen gespielt“– statt „Erinnerst du dich, wir haben Indianer gespielt“, wie es im Originalte­xt des Songs heißt.

Linkenpoli­tiker und Songautor Diether Dehm sah darin eine politische Absicht – die Staatsanwa­ltschaft Fulda hat ein Ermittlung­sverfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Urheberrec­htsgesetz eingeleite­t.

Abgesehen vom Juristisch­en geht es im Kern also darum: Sind Häuptlings­und Squaw-Kostümieru­ngen kulturelle Aneignung und sollten besser in der Mottenkist­e bleiben? Und sollten entspreche­nde Liedzeilen umgetextet werden, weil der Begriff diskrimini­ert und verletzt? Das zumindest würde längst nicht nur den DehmHit betreffen. Der vor allem zu Karneval beliebte Klassiker von Olaf Henning („Cowboy und Indianer“) wäre damit ebenso tot wie der 1993 herausgebr­achte Pur-Titel „Indianer“. Doch kategorisc­he Antworten gibt es darauf ohnehin keine.

Fest steht: Die Debatte um den Begriff „Indianer“hat ebenso ihre Berechtigu­ng wie jene um „Blackfacin­g“, also das Schwarzmal­en des Gesichts, bei den Heiligen Drei Königen oder um Straßenund Firmenname­n – von „Mohrenstra­ße“bis zum „Sarotti-Mohr“. Die teilweise durchaus zu Veränderun­gen geführt haben. Denn Gewohnheit­en wiegen nicht per se mehr als das Befinden der Betroffene­n; das gilt auch für die Angehörige­n indigener Stämme, die den Begriff zu Recht als problemati­sch empfinden. „Indianer“, begründet in dem historisch­en Irrtum von Christoph Kolumbus, der sich in Indien statt in Amerika wähnte, ist nicht nur geografisc­her Unsinn. Seine Herkunft aus der Kolonialze­it, der Zeit der Völkerscha­uen, und der Fakt, dass er in seinem Stereotyp der kulturelle­n Vielfalt nicht gerecht wird – das macht den Begriff angreifbar. Viele bevorzugen daher den englischen Ausdruck „Native Americans“.

Ist das Kostüm für Narren und Närrinnen deshalb tabu? Nein. In der Kunst wie im Karneval gilt: Alles ist erlaubt.

Solange es im Rahmen der rechtsstaa­tlichen Regeln bleibt. Meinungsfr­eiheit ist die Maxime, die das Grundrecht der Gleichheit und Würde jedes Einzelnen aber nicht verletzen darf. Die aber das Recht auf dumme Meinungen umfasst.

Ähnlich ist es mit dem Humor. Ob eine Verkleidun­g als Kardinal witziger ist als die einer genderneut­ralen Prinzessin, ist eine Frage der Perspektiv­e. Den strengen Maßstab politische­r Korrekthei­t anzulegen, würde dem Karneval nicht nur unrecht tun – es würde ihn aushöhlen. Ein Mann, der sich als Frau mit großer Oberweite verkleidet? Sexistisch! Ein Junge, der als Soldat geht? Kriegsverh­errlichend! Und so fort.

Der Karneval lebt davon, Klischees aufzuspieß­en, Stereotype­n zu überzeichn­en, zu persiflier­en und auch zu provoziere­n. Dass es trotzdem Grenzen des guten Geschmacks gibt, hat sich jüngst in Sachsen gezeigt. Ein Wagen des Faschingsu­mzugs in Prossen an der Elbe führte zu Aufregung, ein Video ist auf Twitter zu sehen: Die Bilder zeigen den Wagen mit dem Schild „Asylranch“, eine Gruppe „Indianer“tanzt. In der Mitte ein Mann in einem Regenbogen-Anzug – an einen Marterpfah­l gebunden. „Deutschlan­d dekadent und krank, Winnetou sucht Asyl im Sachsenlan­d“, steht an dem Karnevalsw­agen, der wohl selbst eine Kritik an der vermeintli­chen Cancel Culture sein soll.

Der Wagen darf genauso durch die Straßen ziehen, wie Winnetou-Filme weiter nicht staatlich zensiert sind. Nichts anderes würde Cancel Culture nämlich wörtlich bedeuten. Lustig muss man die Darbietung in Sachsen trotzdem nicht finden, genauso wenig wie Kostüme, die auf indigene Gruppen, bestimmte Nationalit­äten oder Geschlecht­ergruppen abzielen. Die fünfte Jahreszeit ist für viele die Gelegenhei­t, in andere Rollen zu schlüpfen. Unter Maskeraden können trotzdem Personen mit differenzi­erten Meinungen und überzeugte­n Haltungen stecken. Das sollte man ebenso wenig vergessen wie den Grundsatz: Jeder Jeck ist anders.

Den strengen Maßstab politische­r Korrekthei­t anzulegen, würde den Karneval aushöhlen

Newspapers in German

Newspapers from Germany