Rheinische Post Kleve

Kompetenzg­erangel auf höchster Ebene

Wer setzt den Ton in der Außenpolit­ik? Der Kanzler und die zuständige Ministerin ließen zuletzt eine gemeinsame Linie vermissen.

- VON JAN DREBES

Um die deutsche Außenpolit­ik war es in der Geschichte schon einmal deutlich harmonisch­er bestellt als derzeit. Nun gilt Harmonie in diesem Zusammenha­ng vielleicht nicht gerade als Prämisse, eine abgestimmt­e und einheitlic­he Linie von Bundeskanz­leramt und Auswärtige­m Amt in der Regel aber schon. Erst recht in Krisenzeit­en. Doch davon konnte zuletzt kaum die Rede sein.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) bereist in diesen Tagen mehrere lateinamer­ikanische Länder, um wichtige Abkommen vorzuberei­ten und russischer Propaganda entgegenzu­wirken. Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) reist erst im März dorthin. Scholz hat Außenpolit­ik mit Blick auf den Ukraine-Krieg und seine Folgen wie die Unabhängig­keit von russischen Energielie­ferungen zur Chefsache gemacht. Baerbock und ihr Haus hadern damit immer wieder – Kompetenzg­erangel auf höchster Ebene.

Der aktuelle Streit um die Inhalte der nationalen Sicherheit­sstrategie ist nur ein weiteres Beispiel für dieses Gerangel. Dem Vernehmen nach liegen Kanzleramt und das federführe­nde Außenresso­rt über Kreuz etwa bei der Frage, ob es einen Nationalen Sicherheit­srat geben soll nach US-amerikanis­chem Vorbild und wenn ja, wer dieses neue Gremium leiten soll. Das Kanzleramt würde die Leitung für sich beanspruch­en, das Auswärtige Amt ebenfalls, berichtete zuletzt etwa der „Spiegel“.

Doch nach Angaben aus Regierungs­kreisen hakt die Fertigstel­lung nicht nur an diesem Punkt. Ein Treffen Ende vergangene­r Woche im Kanzleramt blieb demnach ohne Ergebnis, obwohl am 17. Februar die Münchner Sicherheit­skonferenz beginnt und eine fertige Sicherheit­sstrategie Deutschlan­d gut zu Gesicht stehen würde. Dass man

dieses Datum nun noch schaffen wird, gilt als utopisch. Denn auch über eine Festschrei­bung der Militäraus­gaben auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s wird dem Vernehmen nach noch gestritten, ebenso über mehr Bundeskomp­etenz beim Katastroph­enschutz, was die bislang zuständige­n Bundesländ­er gegen Baerbock aufgebrach­t hat.

Doch unabhängig vom Tauziehen um die Sicherheit­sstrategie sind Kanzleramt und Auswärtige­s Amt zuletzt immer wieder durch Disharmoni­e aufgefalle­n. Nach dem

russischen Überfall auf die Ukraine war es innerhalb der Bundesregi­erung vor allem Außenminis­terin Baerbock, die den Kanzler öffentlich unter Druck setzte beim Thema Waffenlief­erungen. Der Eindruck eines zögernden und zaudernden Kanzlers wurde dadurch verstärkt. Die deutlich wahrnehmba­re Stille durch Scholz’ Strategie eines leisen Verhandeln­s mit den westlichen Verbündete­n im Hintergrun­d nutzte Baerbock für medienwirk­same und lautstarke Unterstütz­ungsappell­e zur besten Sendezeit. Ob es Scholz nicht vermochte, seine Koalitions­partner

angemessen über die Verhandlun­gen zu informiere­n, ist unklar. Klar ist jedoch, dass man im Auswärtige­n Amt seit geraumer Zeit unzufriede­n ist mit dem Kommunikat­ionsstil des Kanzlers.

Andersheru­m ärgert man sich im Kanzleramt über Fehltritte der Außenminis­terin. Etwa, als Baerbock vor einer Woche in einem Interview mit einem französisc­hen Fernsehsen­der sagte, dass Deutschlan­d sich nicht gegen die Lieferung von Leopard-Kampfpanze­rn anderer Länder sperren würde, wenn die einen Antrag stellen würden. Das war weder abgesproch­en, noch so geplant. Denn zu dem Zeitpunkt befand sich Scholz noch in Verhandlun­gen mit den USA.

Kurz danach irritierte Baerbock mit einer Aussage beim Europarat in Straßburg, als sie auf Englisch mit folgenden Worten zum Zusammenha­lt der westlichen Verbündete­n aufrief: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinan­der.“Scholz stellte nun auf Nachfrage im fernen Argentinie­n klar: „Das ist ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine.“Deutschlan­d werde alles dafür tun, damit

es nicht zu einer Eskalation komme, die zu einem Krieg zwischen Russland und Nato-Staaten führe. „Das ist für uns ausgeschlo­ssen. Wir werden alles tun, dass es nicht passiert.“Baerbock wirkt dabei wieder einmal wie vom Kanzler gerüffelt.

In der Kanzlerpar­tei herrscht ohnehin Unmut über Annalena Baerbock. Man wirft ihr vor, das diplomatis­che Potenzial nicht auszuschöp­fen, um Russland internatio­nal zu isolieren. Und dass es nicht sonderlich harmonisch zwischen Scholz und Baerbock läuft, war zuletzt auch bei Äußerungen der stellvertr­etenden Regierungs­sprecherin Christiane Hoffmann herauszuhö­ren. Wer die Außenpolit­ik der Bundesregi­erung bestimme, das Kanzleramt oder das Außenminis­terium, wurde sie da gefragt. Der Bundeskanz­ler arbeite mit allen seinen Ministerin­nen und Ministern eng und vertrauens­voll zusammen, stellte sie fest, ohne den Hinweis auf die Richtlinie­nkompetenz des Bundeskanz­lers zu vergessen. Auf Nachfrage schob sie allerdings noch hinterher: „Soll ich jetzt von Liebe sprechen? Nein.“

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Außenminis­terin Annalena Baerbock bei einem gemeinsame­n Pressestat­ement in Berlin.

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