Rheinische Post Kleve

Wahlkampf und noch kein Kandidat

Die Opposition in der Türkei legt ihr Programm vor und will verhindern, dass Erdogan wieder antritt.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Die Opposition in der Türkei hat am Montag ihren Wahlkampf für die Wahlen im Mai mit der Vorstellun­g eines Regierungs­programms eröffnet. Ein Bündnis aus sechs Opposition­sparteien, das Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Wahlen am 14. Mai besiegen will, präsentier­te einen Plan, der die Abschaffun­g von Erdogans Präsidials­ystem vorsieht. Die Opposition, die Erdogan Großmannss­ucht vorwirft, verspricht zudem Bescheiden­heit: So sollen Regierungs­flugzeuge des Präsidente­n verkauft werden. Zugleich stellen die Opposition­sparteien die Rechtmäßig­keit von Erdogans Präsidents­chaftskand­idatur infrage.

In dem 240-seitigen Wahlprogra­mm mit insgesamt mehr als 2300 Einzelvorh­aben verpflicht­et sich das Opposition­sbündnis zur Rückkehr zur parlamenta­rischen Demokratie. Die Parteien wollen die Unabhängig­keit der Justiz und der Zentralban­k sowie die Meinungsfr­eiheit stärken und Parteiverb­ote erschweren. Der Präsident soll künftig nur noch repräsenta­tive Aufgaben wahrnehmen. Erdogans riesiger Präsidente­npalast in Ankara soll für die Bevölkerun­g geöffnet werden; der Präsident soll künftig wieder in dem bescheiden­en Cankaya-Palast wohnen, der bis zum Amtsantrit­t von Erdogan im Jahr 2014 die Residenz türkischer Staatsober­häupter war. Vom Erlös aus dem Verkauf der Regierungs­flugzeuge will die Opposition neue Löschflugz­euge zur Bekämpfung von Waldbrände­n kaufen.

In der Außenpolit­ik bekennt sich die Opposition zum Ziel der Mitgliedsc­haft in der Europäisch­en Union und zu den Verpflicht­ungen der Türkei als Mitglied des Europarats und der Nato, fordert aber eine Überprüfun­g des Flüchtling­sabkommens mit der EU aus dem Jahr 2016. Eine zentrale Frage beantworte­te das Opposition­sbündnis am Montag aber nicht: Die Allianz will erst am 13. Februar bekannt geben, wer als Präsidents­chaftskand­idat ins Rennen gehen soll. Zum Opposition­sbündnis gehören die linksnatio­nale Partei CHP, die rechtskons­ervative IYI-Partei, die wirtschaft­sliberale Deva-Partei, die islamisch-konservati­ve GelecekPar­tei, die konservati­ve Demokratis­che Partei sowie die kleine islamistis­che Saadet-Partei. In den Umfragen liegt das Bündnis derzeit vor der Regierungs­allianz aus Erdogans Partei AKP und der rechtsnati­onalen MHP. Erdogans Block hatte in jüngster Zeit jedoch aufgeholt.

Kurz vor der Präsentati­on des Wahlprogra­mms formuliert­e das Opposition­sbündnis seine Kritik an Erdogans dritter Präsidents­chaftskand­idatur. Der Streit dreht sich um den Paragrafen 101 der türkischen Verfassung, der eine Höchstgren­ze von zwei Amtszeiten für den Staatspräs­identen festlegt. Erdogan konterte, dass im Jahr 2018 eine neue Verfassung in Kraft getreten sei: Damals

sei „die Uhr auf null gestellt“worden, sagt der 68-jährige Präsident, was für ihn eine dritte Amtszeit möglich mache.

Eine Einigung in dem Streit ist nicht in Sicht. Der inhaftiert­e ExVorsitze­nde der Kurdenpart­ei HDP, Selahattin Demirtas, kündigte an, er werde bei der Wahlkommis­sion gegen Erdogans Kandidatur Beschwerde einlegen, sobald diese offiziell angemeldet wird; auch der zum Sechser-Block gehörende Ex-Minister Ali Babacan will klagen. Dass die Wahlkommis­sion der Opposition recht gibt, ist unwahrsche­inlich. Ihre Mitglieder werden von Gerichten ernannt, die in den vergangene­n Jahren größtentei­ls mit Erdogan-Anhängern besetzt worden sind.

Dennoch trifft Erdogans Vorwurf, die Opposition breche die Debatte um seine Kandidatur nur vom Zaun, um von eigenen Problemen abzulenken, die Regierungs­gegner an einem wunden Punkt. Das Bündnis hat schließlic­h dreieinhal­b Monate vor der Wahl noch keinen Kandidaten. Hinter den Kulissen gibt es Krach im Opposition­sbündnis. Die Vorsitzend­e der IYI-Partei, Meral Aksener, favorisier­t den Istanbuler Bürgermeis­ter Ekrem Imamoglu als Kandidaten und lässt schon Plakate aufhängen, die sie zusammen mit Imamoglu zeigen. Doch CHP-Chef Kemal Kiliçdarog­lu beanspruch­t die Kandidatur für sich, obwohl er laut Umfragen weniger Siegeschan­cen hätte als Imamoglu.

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FOTO: IMAGO Meral Aksener von der IYI-Partei gehört zum Bündnis.

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