Wahlkampf und noch kein Kandidat
Die Opposition in der Türkei legt ihr Programm vor und will verhindern, dass Erdogan wieder antritt.
Die Opposition in der Türkei hat am Montag ihren Wahlkampf für die Wahlen im Mai mit der Vorstellung eines Regierungsprogramms eröffnet. Ein Bündnis aus sechs Oppositionsparteien, das Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Wahlen am 14. Mai besiegen will, präsentierte einen Plan, der die Abschaffung von Erdogans Präsidialsystem vorsieht. Die Opposition, die Erdogan Großmannssucht vorwirft, verspricht zudem Bescheidenheit: So sollen Regierungsflugzeuge des Präsidenten verkauft werden. Zugleich stellen die Oppositionsparteien die Rechtmäßigkeit von Erdogans Präsidentschaftskandidatur infrage.
In dem 240-seitigen Wahlprogramm mit insgesamt mehr als 2300 Einzelvorhaben verpflichtet sich das Oppositionsbündnis zur Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie. Die Parteien wollen die Unabhängigkeit der Justiz und der Zentralbank sowie die Meinungsfreiheit stärken und Parteiverbote erschweren. Der Präsident soll künftig nur noch repräsentative Aufgaben wahrnehmen. Erdogans riesiger Präsidentenpalast in Ankara soll für die Bevölkerung geöffnet werden; der Präsident soll künftig wieder in dem bescheidenen Cankaya-Palast wohnen, der bis zum Amtsantritt von Erdogan im Jahr 2014 die Residenz türkischer Staatsoberhäupter war. Vom Erlös aus dem Verkauf der Regierungsflugzeuge will die Opposition neue Löschflugzeuge zur Bekämpfung von Waldbränden kaufen.
In der Außenpolitik bekennt sich die Opposition zum Ziel der Mitgliedschaft in der Europäischen Union und zu den Verpflichtungen der Türkei als Mitglied des Europarats und der Nato, fordert aber eine Überprüfung des Flüchtlingsabkommens mit der EU aus dem Jahr 2016. Eine zentrale Frage beantwortete das Oppositionsbündnis am Montag aber nicht: Die Allianz will erst am 13. Februar bekannt geben, wer als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen soll. Zum Oppositionsbündnis gehören die linksnationale Partei CHP, die rechtskonservative IYI-Partei, die wirtschaftsliberale Deva-Partei, die islamisch-konservative GelecekPartei, die konservative Demokratische Partei sowie die kleine islamistische Saadet-Partei. In den Umfragen liegt das Bündnis derzeit vor der Regierungsallianz aus Erdogans Partei AKP und der rechtsnationalen MHP. Erdogans Block hatte in jüngster Zeit jedoch aufgeholt.
Kurz vor der Präsentation des Wahlprogramms formulierte das Oppositionsbündnis seine Kritik an Erdogans dritter Präsidentschaftskandidatur. Der Streit dreht sich um den Paragrafen 101 der türkischen Verfassung, der eine Höchstgrenze von zwei Amtszeiten für den Staatspräsidenten festlegt. Erdogan konterte, dass im Jahr 2018 eine neue Verfassung in Kraft getreten sei: Damals
sei „die Uhr auf null gestellt“worden, sagt der 68-jährige Präsident, was für ihn eine dritte Amtszeit möglich mache.
Eine Einigung in dem Streit ist nicht in Sicht. Der inhaftierte ExVorsitzende der Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas, kündigte an, er werde bei der Wahlkommission gegen Erdogans Kandidatur Beschwerde einlegen, sobald diese offiziell angemeldet wird; auch der zum Sechser-Block gehörende Ex-Minister Ali Babacan will klagen. Dass die Wahlkommission der Opposition recht gibt, ist unwahrscheinlich. Ihre Mitglieder werden von Gerichten ernannt, die in den vergangenen Jahren größtenteils mit Erdogan-Anhängern besetzt worden sind.
Dennoch trifft Erdogans Vorwurf, die Opposition breche die Debatte um seine Kandidatur nur vom Zaun, um von eigenen Problemen abzulenken, die Regierungsgegner an einem wunden Punkt. Das Bündnis hat schließlich dreieinhalb Monate vor der Wahl noch keinen Kandidaten. Hinter den Kulissen gibt es Krach im Oppositionsbündnis. Die Vorsitzende der IYI-Partei, Meral Aksener, favorisiert den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu als Kandidaten und lässt schon Plakate aufhängen, die sie zusammen mit Imamoglu zeigen. Doch CHP-Chef Kemal Kiliçdaroglu beansprucht die Kandidatur für sich, obwohl er laut Umfragen weniger Siegeschancen hätte als Imamoglu.