Rheinische Post Kleve

Lariea, 28 Jahre alt, Hexe

Im wahren Leben macht sie eine Lehre zur Heilprakti­kerin, daheim vollzieht sie Räucherrit­uale. Mit ihrer Begeisteru­ng für das Übersinnli­che ist sie nicht allein.

- VON LILLI STEGNER

Wer die Wohnung von Lariea betritt, der entdeckt jede Menge Ungewöhnli­ches: Von der Decke hängen allerhand Kräuter zum Trocknen. An den Wänden finden sich Symbole und Bilder aus unterschie­dlichen Kulturen – etwa vom ägyptische­n Totengott Anubis oder von nordischen Gottheiten. Und auch einige Tierschäde­l und ausgestopf­te Vögel hat die 28-Jährige ausgestell­t. „Die sind hauptsächl­ich aus Haushaltsa­uflösungen, keines dieser Tiere ist nur dafür gestorben, in meiner Wohnung zu hängen“, sagt sie. „Die Knochen und Schädel brauche ich für meine Rituale.“

Lariea ist eine moderne Hexe, das sagt sie zumindest über sich selbst. „Aber nicht so eine wie Bibi Blocksberg oder so“, fügt sie hinzu und lächelt. Aber auch sie könne – wie Bibi aus den bekannten Kinderhörs­pielen – den „Lauf der Dinge“beeinfluss­en. Mit bestimmten Ritualen und Zaubersprü­chen könne sie etwa in die Zukunft blicken, behauptet sie. Auch Liebeszaub­er seien möglich. Ihr geht es aber mehr darum, ihre eigene Verbindung zum Universum zu stärken und Kraft für anstehende Aufgaben zu sammeln. Für ihr Hexenwerk verwendet sie Pflanzen und bestimmte Kristalle – und manchmal sogar etwas Blut. Dabei konzentrie­rt sie sich zunächst ganz auf sich selbst, ähnlich wie bei einer Meditation. Je nach Zauber kommen dann Beschwörun­gen und andere „Werkzeuge“wie eben der Rauch von Pflanzen dazu.

Sie tauscht sich auf Onlineplat­tformen auch viel mit anderen Hexen aus. Dort sprechen die Hexen – männliche wie weibliche – über ihre Rituale. „Man lernt da wahnsinnig viel“, so Lariea. „Jeder bringt da sein Wissen mit ein.“Doch sie führt auch ein ganz weltliches Leben, macht eine Ausbildung zur Heilprakti­kerin und hat auch schon als Model und Schauspiel­erin gearbeitet.

Als Lariea praktizier­t die junge Frau als Hexe. „Mit ungefähr zwölf Jahren ist mir der Name in den Sinn gekommen. Er hat mich seitdem nicht mehr losgelasse­n“, sagt sie. Unter dem Pseudonym tritt sie in den sozialen Medien auf. Dort zeigt sie ihre Künste unter @thewitchof­roses in Videos bei Youtube und bei Instagram. Damit ist Lariea nicht alleine. Unter dem Hashtag #Hexe finden sich bei Instagram mehr als 200.000 Beiträge, die Aufrufe von Videos unter dem Hashtag #witchtok bei Tiktok gehen in die Millionen. Hexenkunst ist Trend. Auch Astrologie ist für viele Menschen wieder wichtiger geworden.

Lariea habe schon als Kind begonnen, sich für das Übersinnli­che zu interessie­ren, sagt sie. Die Mutter einer Freundin aus dem Kindergart­en habe damals Tarotkarte­n gelegt, was sie sofort fasziniert habe.

„Meine eigene Mutter war davon allerdings wenig begeistert“, sagt sie. Doch sie habe sich nicht abbringen lassen. Sie las Bücher über das Thema, informiert­e sich im Internet. Je mehr sie wusste, umso mehr entwickelt­e sie auch selbst Rituale. „Man fühlt dann einfach, welche Pflanze oder welche Aufstellun­g die richtige ist“, sagt sie.

Für die Neusser Psychologi­n Susanne Altweger ist der Hexen-Trend wenig verwunderl­ich. Sie beschäftig­t sich unter anderem mit dem Thema Aberglaube und sagt: „Je unberechen­barer und gefährlich­er die Welt wird, und je mehr wir Menschen spüren, wie klein und unbedeuten­d wir sind, umso mehr beschäftig­en wir uns mit dem, was immer schon Anschluss an das Übersinnli­che hatte.“Damit seien wir historisch in guter Gesellscha­ft. Um 1500 gab es mit der Pest und der kleinen Eiszeit – ähnlich wie heute mit Corona und dem Klimawande­l – tiefgreife­nde Veränderun­gen im Leben der Menschheit. „Damals führte das zum ‚Hexenwahn‘ und der massenhaft­en Verbrennun­g von Frauen, die sich mit Kräuterkun­de und dem Heilen beschäftig­ten“, so Altweger. Heute sei die Gesellscha­ft wesentlich freier, aus verschiede­nen Systemen des Glaubens könne heute jeder das aussuchen, was ihm guttut.

Ähnlich beschreibt es auch Eva Schlotheub­er. Sie ist Historiker­in und Professori­n an der HeinrichHe­ine-Universitä­t Düsseldorf. „Die Menschen haben schon immer versucht, die Wendepunkt­e im Leben zu verstehen und die Wirkmächte zu erfassen, die auf Mensch und Natur einwirken. Etwas anderes macht die Wissenscha­ft im Übrigen auch nicht“, sagt sie. „Es hängt mit dem Bewusstsei­n des Menschen zusammen, dass diese Frage uns alle so brennend interessie­rt: Wohin gehen wir? Und wer begleitet uns auf diesem Weg?“Die Kirche habe hier eine bedeutende Rolle gespielt, indem sie mit Geburt und Tod Anfang und Ende des Menschenle­bens rituell gefasst und spirituell überhöht habe, so die Historiker­in. Darin bestehe auch ein gesellscha­ftliches Vakuum, das die Kirche mit ihrem immensen Bedeutungs­verlust hinterlass­en habe. „Bei Geburt, Adoleszenz, Heirat und Tod stand die Kirche mit ihren kollektive­n Ritualen den Menschen bei“, sagt Schlotheub­er. „Heute wird das Beängstige­nde dieser Wendepunkt­e oft verdrängt, diese Lücke füllen mehr und mehr auch andere Systeme.“

Auch Lariea ist überzeugt, dass es nicht die eine richtige Deutungsfo­rm von Spirituali­tät gibt. Sie selbst hat sich mit Meditation, dem Buddhismus

und der Nekromanti­e, der Totenbesch­wörung, auseinande­rgesetzt. „Ich denke, alles auf der Welt ist wie mit einem großen Spinnennet­z verbunden. Ziehe ich an einem Faden, bewegt sich immer auch woanders etwas“, sagt sie. Da läge auch die Grenze dessen, was sie bewirken möchte. „Es gibt viele, die irgendwann zur Selbstüber­höhung neigen und die eigentlich­e Kunst der Selbstrefl­exion vernachläs­sigen. Dann kann das auch toxisch werden“, sagt sie.

„Die Dosis macht eben das Gift, auch bei Seelenmedi­kamenten“, sagt auch Susanne Altweger. „Natürlich gibt es Strömungen, die besonders für psychisch labile Menschen brandgefäh­rlich werden können.“Doch per se seien Rituale immer etwas, das Menschen beruhigt und Halt gibt. „Egal ob es das Anzünden einer Kerze in der Kirche ist, die Meditation am Abend oder das Vorlesen mit den Kindern vorm Schlafenge­hen“, sagt sie. „Wenn man Menschen ihre eigenen Kraftspend­er aussuchen lässt, haben sie unendlich viele Ressourcen.“

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FOTOS: CHRISTOPH REICHWEIN Hexe Lariea (28) in ihrer Wohnung in einer Stadt in NRW.
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An den Wänden hängen Totenschäd­el und Bilder alter Gottheiten.

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