Rheinische Post Kleve

Das große Aufräumen im All

Das Start-up Vyoma will 2024 Satelliten auf die Reise schicken, die Weltraumsc­hrott erkennen – und so für Ordnung im Orbit sorgen.

- VON JANA MARQUARDT

Weltraumsc­hrott wird zu einem immer größeren Problem: Mehr als 360 Millionen Trümmertei­le alter Objekte schwirren nach Schätzunge­n von Experten um die Erde und könnten jederzeit mit Raumschiff­en oder Satelliten zusammenzu­stoßen. Deshalb möchte die europäisch­e Weltraumag­entur Esa gemeinsam mit einem Schweizer Start-up bald Roboter ins All schicken, die diesen Müll einsammeln. Dafür muss sie aber erst einmal herausfind­en, wo dieser sich genau befindet, wie schnell er unterwegs ist – und ob er taumelt oder rotiert.

Ein Start-up aus Darmstadt hat sich genau das zur Aufgabe gemacht: Vyoma will das Google Maps des Weltraums entwerfen, wie Geschäftsf­ührer Christoph Bamann sagt. Der Luft- und Raumfahrti­ngenieur hat das junge Unternehme­n im August 2020 mit seinen ehemaligen Kommiliton­en Stefan Frey und

Luisa Buinhas gegründet und einen Plan ausgearbei­tet.

Und der sieht so aus: Vyoma bringt in den kommenden zwei Jahren zwölf Satelliten mit großen Teleskopen ins All, die immer wieder ihre Umgebung scannen. Sie erkennen Trümmertei­le ab einer Größe vom einem Zentimeter, erfassen, wie und in welcher Geschwindi­gkeit sie sich bewegen, und speichern alles ab. So entsteht eine große Datenbank, die alle gefährlich­en Objekte erfasst. An ihr kann man nicht nur ablesen, wo sich die einzelnen Teile derzeit befinden, sondern auch, wo sie morgen oder in einer Woche sein werden.

„Die Vorhersage­n sind ziemlich genau, weil unsere Satelliten mehrmals pro Tag ein Objekt beobachten“, sagt Bamann. Das sei viel mehr, als Teleskope am Boden leisten könnten – allein schon, weil deren Beobachtun­gen regelmäßig unterbroch­en würden. Die Erklärung hierfür ist einfach: Die Erde dreht sich um sich selbst, und die bodengestü­tzten Scanner können deshalb Objekte ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr wahrnehmen. Außerdem erfassten sie bislang nur Teile, die deutlich größer als einen Zentimeter sind.

Doch warum ist es überhaupt notwendig, kleinere Trümmer zu beobachten? Können die überhaupt gefährlich werden? „Ja, allerdings“, sagt Bamann. Der Weltraumsc­hrott sei so schnell im All unterwegs, dass eine Kollision mit einem Raumschiff oder Satelliten fatale Folgen hätte. Schon ein zentimeter­großer Trümmer reiche dafür aus: „Das wäre in etwa so, als würde auf der Erde ein Auto in einen Lkw krachen“, sagt der Vyoma-Gründer.

Fest steht: Bedarf für ein Google

Maps des Weltraums gibt es in jedem Fall. Bislang werden Trümmertei­le ab fünf Zentimeter­n nämlich nur vom US-amerikanis­chen Weltraumüb­erwachungs­system erfasst. Die Esa will sich laut Bamann aber nicht nur auf die Daten der Amerikaner verlassen, sondern lieber eigene erheben. Und nicht nur sie möchte Vyoma als Kunden gewinnen, sondern auch Unternehme­n aus der Privatwirt­schaft: „Wir errichten mit unseren zwölf Satelliten eine Art Zaun um die Erde und können so zuverlässi­g Gefahren einschätze­n“, sagt Bamann. Das dürfte für viele Firmen, die mit Satelliten arbeiten, ein schlagende­s Argument sein.

Ein weiteres seien die Kosten. Während sie für bodengestü­tzte Sensoren laut Vyoma zwischen 2500 und 90.000 US-Dollar im Monat lägen, koste die Überwachun­g des Start-ups im Weltall für denselben Zeitraum voraussich­tlich nur ein paar Hundert Euro. Das liege daran, dass mit den nur zwölf Satelliten so viele Daten auf einmal erhoben werden könnten. Trotz allem verschling­en die Vorbereitu­ngen viel Geld. Deshalb sind nach zwei Finanzieru­ngsrunden – die jüngste gab es im Sommer 2022 – noch weitere geplant. Vyoma konnte bislang unter anderem Happiness Capital und die in Berlin ansässige Risikokapi­talgesells­chaft Atlantic Labs von sich überzeugen und laut Bamann Kapital im niedrigen achtstelli­gen Bereich einsammeln. Genauere Zahlen möchte er nicht nennen, nur so viel: Das Start-up benötige deutlich weniger als 100 Millionen Euro für sein Vorhaben.

Wenn alles gut geht, startet der erste Satellit 2024 ins All. Mindestens fünf Jahre soll er dann dort oben bleiben – bis er nicht mehr funktionst­üchtig ist. Und was passiert dann damit? „Wir wollen selbst natürlich keinen zusätzlich­en Weltraumsc­hrott verursache­n“, sagt Bamann. Deshalb wird der Satellit in eine andere Umlaufbahn gelenkt, sinkt langsam ab – und verglüht schließlic­h in der Erdatmosph­äre.

„Wir errichten mit unseren Satelliten eine Art Zaun um die Erde“Christoph Bamann Geschäftsf­ührer von Vyoma

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