Der Gentleman hinter der Bande
Harold Kreis ist neuer Eishockey-Bundestrainer. Für den erfahrenen wie beliebten 64-Jährigen ist es die Krönung seiner Laufbahn. Doch die Aufgabe wird nicht einfach, denn die Ziele sind groß.
Die Worte konnten kaum groß genug sein bei der Pressekonferenz des Deutschen EishockeyBunds (DEB) am Montag in München. Er spüre eine „Passion und die Begeisterung fürs Eishockey, da brennt was“, sagte Sportdirektor Christian Künast. „Charakterlich und moralisch unantastbar“, befand Vizepräsident Andreas Niederberger. Und der so gelobte Harold Kreis sprach von einer „Riesenfreude und Riesenehre, die ich mit sehr viel Ehrgeiz, Respekt und Demut angehen werde“. Die Ehre? Kreis übernimmt den Posten als Bundestrainer.
Überraschen konnte das kaum, der 64-Jährige galt nach dem Abgang von Toni Söderholm im November zum SC Bern als Topkandidat. Trotzdem ließ sich der DEB Zeit, ehe er nun den erfahrenen wie beliebten Kreis vorstellte. Und der ist eine logische Wahl, aber keine ausgefallene wie bei seinen Vorgängern. Für Marco Sturm und Toni Söderholm war das Nationalteam der Beginn ihrer Trainerkarrieren. Das war mutig vom DEB, aber er wurde belohnt. Sturm impfte den Spielern Selbstvertrauen ein, mehr zu können und zu wollen. Das Ergebnis: Olympiasilber 2018. Danach ging er nach Nordamerika. Es folgte mit Söderholm die nächste Überraschung; er entwickelte das Team taktisch weiter: Kein Außenseiter-Eishockey mehr, aktiv sein, Puckbesitz. Das sorgte für historisch gute WMVorrunden und das Halbfinale 2021. Doch im Herbst fand auch Söderholm den Klubbetrieb attraktiver.
Von Kreis ist das nicht zu erwarten. Er ist 64 Jahre alt, hat in Deutschland und der Schweiz genug Anerkennung und Titel gewonnen. Für ihn ist der Bundestrainerposten kein Anfang, sondern die Krönung. Schon nach Sturms Abgang 2018 liebäugelte er damit, der DEB fragte an, doch die Düsseldorfer EG lehnte ab. Dort trainierte Kreis damals. Bei einer DEG ohne viel Geld, aber mit jungen Spielern. Kreis führte sie in drei seiner vier Saisons in die Play-offs. Weil er stets eine Einheit formte, die über ihre Verhältnisse spielte.
Mittlerweile ist er in Schwenningen, und wird das vorerst weiter tun. Erst wenn die Saison der Wild Wings vorbei ist, geht es zum DEB. Für Co-Trainer Alexander Sulzer gilt das Gleiche in Bremerhaven. Könnte also eng werden vor der WM im Mai in Finnland. Aber die Ziele sind groß: Viertelfinale und Olympia-Qualifikation. Kreis reagiert darauf verhalten, er habe „die Ziele zur Kenntnis genommen“. Sie seien auch realistisch, aber versprechen kann man nichts in einer Sportart, in der man immer erst kurz vor dem Turnier weiß, wer nach den Play-offs noch genug im Tank hat. Kreis‘ Vorteil: Die Liste potenzieller WM-Fahrer ist länger geworden. Generell habe sich die DEB-Auswahl „sehr gut entwickelt“, auch was „Überzeugung und Selbstvertrauen“angehe. Man gehe in kein Spiel mehr, um nicht zu hoch zu verlieren. Das ist auch sein Anspruch, mit einer aktiven Spielweise.
Als Bundestrainer muss er natürlich auch die generelle Entwicklung des deutschen Eishockeys vorantreiben. Aber zunächst wird es darum gehen, den Geist der Vorgänger fortzuführen und die Spieler für die WM zu begeistern. Da kommt es ihm entgegen, dass er zwar nicht als taktischer Innovator gilt, aber als „Gentleman“– was man nicht mit fehlender Durchsetzungskraft verwechseln sollte. Kreis ist stets höflich, aber weiß, was er will: „Ich komme schnell zur Sache.“Er gilt als Experte für Menschenführung, hält Seminare vor Fußball-Trainern, vor Managern. Gruppendynamik, Konfliktmanagement, Verantwortung und Selbstvertrauen sind seine Themen. Besonders wichtig bei einem Team, das eben nicht das ganze Jahr zusammen ist. Da geht es darum, schnell eine funktionierende Kabine zu haben. Das kann Kreis.
Ob das reicht, um an die jüngsten Erfolge anzuknüpfen, steht aber in den Sternen. Zuletzt war von manchem Nationalspieler zu hören, dass er gern wieder einen jungen und innovativen Mann hätte wie Sturm und Söderholm. Nun wirkt Kreis‘ Denke deutlich jünger als 64, aber er kommt natürlich aus einer anderen Generation. Auch deswegen ist der 38-jährige Sulzer dabei. Ist das die richtige Kombination, um die erfolgreiche Entwicklung der vergangenen Jahre fortzuführen? Einen ersten Eindruck wird die WM im Mai liefern.