Rheinische Post Kleve

Der Schmerz vergeht nicht

Vor einem Jahr wurden bei Kusel eine Polizistin und ein Polizist mit Kopfschüss­en getötet. Der Täter wurde wegen zweifachen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Doch vor Ort ist die Betroffenh­eit immer noch groß.

- VON WOLFGANG JUNG UND BIRGIT REICHERT

(dpa) Am Kreuz auf der Anhöhe weht ein eisiger Wind. Schneebede­ckt und friedlich liegt die Landschaft da – an jenem Ort, an dem vor einem Jahr ein schrecklic­hes Verbrechen geschah: Eine junge Polizistin und ein junger Polizist wurden an der abgelegene­n Straße nahe Kusel in der Westpfalz im Dienst erschossen. Zu ihrem Gedenken stehen weiße Engel vor dem Kreuz auf einer Steinplatt­e, wie auch ein Herz mit betenden Händen und der Aufschrift „Es bleibt die Erinnerung“. Daneben wurden lila blühende Winterheid­e und rosa Rosen aus Stoff abgelegt.

Besucher haben Spuren im Schnee hinterlass­en. So auch bei der ein paar Hundert Meter entfernten größeren Gedenkstät­te, die auf einem Parkplatz angelegt wurde. „Ich weiß von etlichen, die da hingehen“, sagt der Bürgermeis­ter der Stadt Kusel, Jochen Hartloff (SPD). „Man sieht auch, dass da oft frische Blumen sind.“Neben vielen weißen Engeln und Blumen flackern dort auch Laternen mit Kerzen.

Rückblick: 31. Januar 2022, kurz nach vier Uhr am Morgen. Auch damals war es eine Nacht um den Gefrierpun­kt, Schneerege­n fiel. Den Polizeiang­ehörigen kam ein geparkter Kastenwage­n verdächtig vor, sie entdeckten im Laderaum gewilderte Hirsche und Rehe. Nur Augenblick­e später waren eine Polizeianw­ärterin (24) und ein Polizeikom­missar (29) tot. Per Kopfschuss getötet von einem heute 39-Jährigen, der mit der Tat die gewerbsmäß­ige Jagdwilder­ei verdecken wollte – so urteilte im November das Landgerich­t Kaiserslau­tern. Der Saarländer wurde wegen zweifachen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Zudem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest, sodass eine Entlassung nach 15 Jahren Gefängnis als ausgeschlo­ssen gilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Die Tat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst.

Zum Jahrestag ist der Schmerz besonders groß. „Das waren unsere Mitarbeite­r“, sagt der Leiter der Polizeiins­pektion Kusel, Christoph Maurer. „Wir denken täglich an sie.“Auf dem Gelände der Dienststel­le erinnert eine Gedenkstät­te an die Opfer – an einem Ort, an dem jeder vorbeikomm­e. „Damit drücken wir Verbundenh­eit aus. Wir wollen

auch nichts verdrängen, wir wollen auch nichts vergessen, wir wollen nur einen Weg finden, wie wir mit der Thematik umgehen können“, so Maurer.

Die Polizei Kusel werde am Jahrestag ein Gedenken in ihrer Dienststel­le organisier­en, sagt der Leiter. Eine offizielle polizeiint­erne Veranstalt­ung mit Landesinne­nminister Michael Ebling (SPD) soll es an diesem Dienstag an der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz auf dem Hahn geben. Nach Ansicht der Gewerkscha­ft der Polizei hat die Tat das Bewusstsei­n für die Gefahr einer

Gewalteska­lation bei Kontrollen geschärft. „Den Kolleginne­n und Kollegen ist seit der Tat noch einmal mehr ins Bewusstsei­n gerückt, dass sie immer vom Schlimmste­n ausgehen müssen und auch schlimmste Dinge passieren“, sagt die rheinland-pfälzische Landesvors­itzende Sabrina Kunz. Jede Routinesit­uation könne sich zu einer gewalttäti­gen Auseinande­rsetzung entwickeln.

Bei der Polizei sei es nach der Tat zwar zu keiner Kündigungs­welle gekommen. „Was wir aber erleben, ist, dass nicht nur jüngere, sondern auch lebensälte­re Kolleginne­n und

Kollegen sich fragen, ob sie unter diesen Umständen weiterhin Polizeiarb­eit machen können“, sagt Kunz. Dies habe jedoch nicht unmittelba­r mit den Morden in Kusel zu tun. „Es geht vielmehr darum, dass man sich im Dienst vieles gefallen lassen und gleichzeit­ig in Teilen unter sehr widrigen Umständen arbeiten muss.“

Auch nach der Verurteilu­ng des 39-Jährigen laufen im Saarland weiter Ermittlung­en gegen den Mann – wegen des Verdachts der Jagdwilder­ei und Verstößen gegen das Waffengese­tz. Es handele sich um eine Vielzahl von Fällen mit Tatort im Saarland, aber auch beispielsw­eise in Baden-Württember­g und in Bayern, teilt Staatsanwä­ltin Ellen Kaas mit. Die Tatvorwürf­e bezogen sich vor allem auf den Zeitraum 2021 bis Januar 2022. Das sei die Zeit gewesen, in der der Beschuldig­te über keinen Jagdschein und keine waffenrech­tliche Erlaubnis verfügt habe. Die Ermittlung­en dauerten an.

Weitere Verfahren meist gegen Personen aus dem näheren Umfeld des 39-Jährigen betreffen Kaas zufolge ganz überwiegen­d Verstöße gegen das Waffenrech­t, stehen aber – nach jüngstem Kenntnisst­and – mit der Tatnacht in Kusel in keinem Zusammenha­ng. In einigen dieser Verfahren sei von der Staatsanwa­ltschaft Saarbrücke­n bereits ein Strafbefeh­lsantrag gestellt oder Anklage erhoben worden.

Die Staatsanwa­ltschaft Kaiserslau­tern hatte im vergangene­n Jahr mitgeteilt, dass die näheren Umstände, wie der 39-Jährige an die Tatwaffen kam, Gegenstand eines Ermittlung­sverfahren­s gegen die Ehefrau seien. Es gehe um den Verdacht der fahrlässig­en Tötung und des Verstoßes gegen das Waffengese­tz. „Die Ermittlung­en sind abgeschlos­sen. Die Staatsanwa­ltschaft wird über ihre abschließe­nde Entscheidu­ng im Lauf des Monats Februar informiere­n“, heißt es jetzt.

In Kusel ist die Betroffenh­eit nach dem Gewalttod der Polizisten noch spürbar. „Natürlich war das damals ein Schock. Das ist schon etwas, über das man hier immer wieder spricht“, sagt Bürgermeis­ter Hartloff. „Man merkt, es ist präsent.“Dass die Stadt nun mit diesem schlimmen Ereignis verknüpft sei, zeige: „Dass so etwas auch hier passieren kann. Es kann überall passieren. Das ist der Weltenlauf.“

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FOTO: HARALD TITTEL/DPA Ein Holzkreuz, Engelfigur­en und Blumen erinnern an der Gedenkstel­le auf einem Parkplatz bei Kusel an die 24-Jährige und den 29-Jährigen, die vor einem Jahr im Dienst getötet wurden.

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