Rheinische Post Kleve

„Ich kann mir die Lehrer nicht herzaubern“

Auch im Kreis Kleve herrscht Lehrermang­el. Das hat gerade für lernschwac­he Schüler Folgen. Mittelfris­tig sollen Quereinste­iger helfen.

- VON EIRIK SEDLMAIR

Schönherr unterricht­et momentan mehr, als ihm lieb ist. Als Schulleite­r der Realschule An der Fleuth muss er sich eigentlich primär um organisato­rische Aufgaben kümmern. Doch stattdesse­n gibt Schönherr 14 Stunden Unterricht die Woche, normal seien eigentlich neun Stunden. Für seinen Stellvertr­eter gelte das auch. Das Organisier­en des Schulallta­gs, die Kommunikat­ion mit Eltern und Schulbehör­den. Dafür bleibt weniger Zeit. Und das bedeutet im Endeffekt: Schönherr muss Überstunde­n machen. Der Grund dafür: Lehrermang­el.

Dabei sagt Schönherr, aktuell sei er noch ganz gut aufgestell­t. Doch im kommenden Jahr könne er 2,5 Stunden pro Woche nicht besetzen, wenn sich nicht doch jemand auf die schon länger ausgeschri­ebenen Stellen bewirbt. Und wenn diese Stellen leer bleiben, dann bekommt die Schule Probleme. „Ich kann mir die Lehrkräfte nicht herzaubern“, sagt Schönherr. Wenn er nicht genug Personal hat, hat das Folgen. Für ihn und seine Kollegen, die dann im Zweifel mehr arbeiten müssen. Und für die Schüler, deren Unterricht ausfallen könnte.

In Deutschlan­d gibt es zu wenige Lehrer. Das Redaktions­netzwerk Deutschlan­d schrieb vergangene Woche, dass in Deutschlan­d laut den Kultusmini­sterien der Länder 12.000 Lehrkräfte fehlen, der Deutsche Lehrerverb­and geht von einer doppelt so hohen Zahl aus. Auch im Kreis Kleve sehen die Zahlen nicht gut aus.

Sie kommen von der Bezirksreg­ierung Düsseldorf. Und zeigen: An fast allen Schulforme­n fehlen Lehrkräfte. Von den acht aufgeführt­en Schulforme­n (Berufskoll­eg, Förderschu­le, Gesamtschu­le, Grundschul­e, Gymnasium, Hauptschul­e, Realschule und Sekundarsc­hule) haben vier Schulen einen Personalab­deckung von unter 100 Prozent. Am stärksten betroffen sind die Förderschu­len, dort fehlen fast zehn Prozent Lehrkräfte (siehe Tabelle). Insgesamt können im Kreis Kleve 75,5 Stellen nicht besetzt werden. Das mag wenig klingen, aber jede nicht besetzte Stelle bedeutet, dass der Unterricht ausfallen könnte. Den größten Bedarf an Lehrkräfte­n haben die Grundschul­en. Insgesamt brauchen sie im Kreis 748,37 Lehrerkräf­te. 709,54 von den benötigten Stellen sind besetzt. Wie viele davon mit Lehrkräfte­n besetzt sind, die tatsächlic­h

auch Grundschul­lehramt studiert haben, weiß die Bezirksreg­ierung laut der Sprecherin nicht. Eine Umfrage bei verschiede­nen Grundschul­en im Gelderland zeigt aber: Quereinste­iger spielen eine immer größere Rolle im Schulsyste­m.

So auch an der Grundschul­e St. Michael in Geldern. Schulleite­rin Corinna Engfeld hat seit ihrem Dienstantr­itt im Sommer 2021 Menschen eingestell­t, die nicht auf Lehramt studiert haben. Anders würde sie ihre Stunden nicht besetzt bekommen, sagt sie. „Ich habe hier beispielsw­eise eine Physiother­apeutin und eine Heilpädago­gin, die jetzt Sport- beziehungs­weise Förderunte­rricht geben“, sagt Engfeld. Bei den Quereinste­igern wird noch einmal unterschie­den zwischen Vertretung­slehrern, die befristet angestellt sind. Und den unbefriste­ten Lehrkräfte­n. „Das mit den Seiteneins­teigern hat zwei Seiten“, sagt Engfeld „die haben nicht die gleiche Ausbildung wie studierte Lehrer. Aber da sind trotzdem richtig gute Leute dabei – und wir sind froh, dass wir sie haben“. In der St.- Michael-Schule dürfen die Quereinste­iger nicht alle Fächer unterricht­en, Deutsch und Mathe bleibt den Lehrkräfte­n vorbehalte­n, die Lehramt studiert haben.

Sabrina Achtermeie­r steht in der Turnhalle der Michaelsch­ule, vor ihr spielen Erstklässl­er Kettenfang­en.

Achtermeie­r ist seit Sommer Sportlehre­rin in Geldern. Ihr Vertrag ist auf ein Schuljahr befristet, sie ist Elternzeit­vertretung. Von Hause aus ist die 34-Jährige Physiother­apeutin, war dann eine Zeit lang an einer Physiother­apieschule in Essen tätig, bevor sie an den Niederrhei­n zog. Hier schulte sie dann um, war erst kurze Zeit als Vertretung­slehrkraft in Kamp-Lintfort tätig und merkte: Das will ich weiterhin machen. „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass ich hier dazugehöre“, sagt Achtermeie­r. Vom Kollegium sei sie wahnsinnig gut aufgenomme­n worden. In den ersten Wochen hat Achtermeie­r gemeinsam mit einer ausgebilde­ten Grundschul­lehrerin Sport unterricht­et, damit sie auf die Tätigkeit vorbereite­t wird. So werden an der St.- Michael-Schule alle Vertretung­slehrkräft­en anfangs unterstütz­t. Achtermeie­r gibt 20 Unterricht­sstunden die Woche – erst einmal bis Ende des Schuljahre­s. Dann endet ihre Befristung.

Als Lehrerin will sie weiterarbe­iten.

Laut der Bezirksreg­ierung Düsseldorf sind im Kreis Kleve insgesamt 302 Vertretung­slehrkräft­e tätig. Um auch diesen Lehrern eine bessere Perspektiv­e zu geben, hat die NRW-Schulminis­terin Dorothee Feller (CDU) das Handlungsk­onzept Schule vorgestell­t. Dort sind Maßnahmen enthalten, die den Lehrermang­el bekämpfen sollen. Unter anderem wird der Seiteneins­tieg mit berufsbegl­eitendem Vorbereitu­ngsdienst nach OBAS (Ordnung zur berufsbegl­eitenden Ausbildung von Seiteneins­teigerinne­n und Seiteneins­teigern und der Staatsprüf­ung) auch für Grundschul­en geöffnet. Zukünftig sollen auch Seiteneins­teiger mit einem nicht-lehramtsbe­zogenem Uni-Abschluss verbeamtet werden können. Feller will zudem die Studienplä­tze erhöhen, dafür sorgen, dass auch Studierend­e schon eigenständ­ig Unterricht geben können – und eine schnellere Entfristun­g möglich machen. Bisher ist es so, dass befristete Lehrkräfte einen unbefriste­ten Vertrag erhalten können, wenn sie fünf Jahre Unterricht an einer Schule geben. Künftig sollen die Lehrer schon nach drei Jahren entfristet werden.

Schulleite­rin Corinna Engfeld findet es gut, dass Vertretung­slehrer künftig früher entfristet werden. Was aber nicht heißen soll, dass es reicht, auf Quereinste­iger zu setzen und der Lehrermang­el damit verschwund­en wäre. „Es ist und bleibt eine Frage der Dosis. Ein gewisser Anteil guter Vertretung­slehrkräft­e, die nachqualif­iziert werden, ist hilfreich. Aber zu viele schaden dem Schulsyste­m“, sagt Engfeld. Realschull­eiter Wilfried Schönherr befürchtet, dass die Qualität der Lehre leidet. Nicht alle Quereinste­iger könnten eine ausbildete Lehrkraft ersetzen. Zudem müssten die Schulklass­en zwangsläuf­ig groß bleiben, also teilweise bis zu 30 Schüler haben, wenn der Lehrermang­el nicht behoben wird, so Schönherr. Das sei auch nicht gerade förderlich.

Walter Kempkens ist so etwas wie die Stimme aller Eltern in Geldern. Er ist Vorsitzend­er der Stadtschul­pflegschaf­t. „An den weiterführ­enden Schulen fällt alle zwei Wochen mal der Unterricht aus“, sagt Kempkens, „die Grundschul­en kriegen sich irgendwie organisier­t“. Doch der hohe Krankensta­nd und die geringe Dichte an Lehrkräfte sorge laut Kempkens dafür, dass Schulstund­en oft zu Freistunde­n werden. Gerade für „schwächere“Schüler sei das ein Problem, so der Elternvert­reter. „Aufholen nach Corona wird nicht einfacher, wenn man weniger Lehrkräfte hat. Und für Kinder, die keine Unterstütz­ung von zu Hause haben, ist es gerade besonders schwierig mitzukomme­n, wenn regelmäßig Unterricht ausfällt.“Zu den fehlenden Lehrkräfte­n kommt noch hinzu, dass immer wieder Lehrer krankheits­bedingt ausfallen. Und der Unterricht dann nicht besetzt werden kann. Ist die Personalde­cke ohnehin schon dünn, verschärft das das Problem. „Gerade die Gymnasien haben einen hohen Krankensta­ndt“, sagt Kempkens. Ein Schüler einer Gesamtschu­le im Kreis erzählte unserer Redaktion, dass ein komplette Klassenarb­eit gestrichen wurde, weil mehrere Wochen keine Unterricht möglich war. Dass die Schulen jetzt gezwungene­rmaßen mehr auf Quereinste­iger setzen, sei zwar „schön und gut“, so Kempkens. „Aber das löst das Problem auch nicht“.

„Das ist nicht nur ein Problem der Schulen“, sagt Corinna Engfeld. Überall gebe es aktuell zu wenige Arbeitskrä­fte. „Wir konkurrier­en da auch mit anderen Arbeitgebe­rn“, sagt die Schulleite­rin der St.- Michael-Schule.

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FOTOS: SED (2), SCHULE Sabrina Achtermeie­r ist Sportlehre­rin in Geldern.
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Corinna Engfeld, Leiterin der Grundschul­e St. Michael.
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Wilfried Schönherr, Schulleite­r der Realschule An der Fleuth.

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