Rheinische Post Kleve

Hohe Erwartung an Kindergrun­dsicherung

Wissenscha­ftler fordern, dass Jugendlich­e künftig nicht mehr nur als Teil ihrer Familie gesehen werden.

- VON MAARTEN OVERSTEEGE­N

Erst zum Jahreswech­sel wurde es auf 250 Euro erhöht, 2025 aber soll Schluss sein mit dem Kindergeld. Die Bundesregi­erung will stattdesse­n eine Kindergrun­dsicherung an den Start bringen — und damit ein zentrales sozialpoli­tisches Projekt einlösen. Das Gesetzgebu­ngsverfahr­en soll nach der Sommerpaus­e anlaufen. Experten aus der Armuts- und Familienfo­rschung begrüßen das Vorhaben, fordern aber, Chancenung­leichheit noch engagierte­r zu bekämpfen.

Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus (Grüne) will Kindergeld und andere Leistungen in der Kindergrun­dsicherung bündeln. Sie soll grundsätzl­ich für jedes Kind gleich hoch sein. Der Umbau ist ein Projekt von SPD und Grünen, die FDP sieht es skeptisch. Die Pläne müssten finanzierb­ar bleiben.

Antje Funcke, Expertin für Familie und Bildung bei der Bertelsman­nStiftung, fordert, dass Kinder und Jugendlich­e zu Anspruchsb­erechtigte­n werden. Bislang sind das beim Kindergeld die Eltern, der Nachwuchs wird rechtlich bloß als Teil der Familie gesehen. Das würde heißen: Die Jugendlich­en könnten die Grundsiche­rung ab einem gewissen Alter auch selbst beantragen. Wie hoch die Grundsiche­rung genau sein müsse, wollte sie nicht sagen. Dafür fehle Datenmater­ial. „Klar ist aber, dass wir uns stärker daran orientiere­n müssen, was der gesellscha­ftlichen Mitte zur Verfügung

steht — und nicht mehr nur das Minimum in den Blick nehmen“, sagte Funcke. Heranwachs­ende sollten selbst befragt werden, wofür sie wie viel benötigen. Die Bertelsman­n-Stiftung hatte zuletzt eine Studie veröffentl­icht, wonach die Kinderarmu­t in Deutschlan­d zugenommen habe.

Armutsstru­kturen lösen sich von selbst kaum auf, Geldnot setze sich über Generation­en fort, so Holger Stichnoth, Leiter der Forschungs­gruppe „Ungleichhe­it und Verteilung­spolitik“am Leibniz-Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung. „Die Folgekoste­n für die Gesellscha­ft sind hoch. Es ist leicht, andere davon zu überzeugen, mehr Geld in die Infrastruk­tur von Heranwachs­enden zu investiere­n. Bei direkten Geldleistu­ngen kommen aber sofort Zweifel: Werden die Mittel von den Eltern nicht zweckentfr­emdet?“, so der Ökonom.

Allerdings seien höhere Zuwendunge­n an Familien in Armut unabdingba­r, um für Chancenger­echtigkeit zu sorgen. Studien würden zeigen, dass Kinder aus prekären Verhältnis­sen durch finanziell­e Unterstütz­ung besser in der Schule seien, später ein höheres Einkommen hätten und seltener in Kriminalit­ät abrutschte­n. Sabine Andresen, Professori­n für Familienfo­rschung, hofft, dass Gelder künftig nicht mehr wie mit der Gießkanne verteilt werden: „Die Bekämpfung von Armut muss das zentrale Ziel einer Kindergrun­dsicherung sein. Dafür müssen Mittel zur Verfügung stehen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany