Rheinische Post Kleve

Wenn die Impfung aufs Herz schlägt

US-Forscher konnten im Blut von Patienten Komplikati­onen nachweisen, die mehrfach vor allem bei jungen Männern aufgetrete­n sind.

- VON JÖRG ZITTLAU

Das Forscherte­am um Lael Yonker vom Massachuse­tts General Hospital in Boston hat ein ausführlic­hes immunologi­sches Blutprofil von 16 Jugendlich­en erstellt, bei denen es im Anschluss an eine Corona-Impfung zu einer Herzmuskel­entzündung – auch Myokarditi­s genannt – gekommen war. Die Mediziner wollten der Komplikati­on auf den Grund gehen, die mehrfach bei Geimpften aufgetrete­n war. Dabei zeigte sich eine deutliche Erhöhung des Troponinwe­rts, wie sie typischerw­eise auftritt, wenn infolge einer Herzmuskel­schädigung vermehrt Eiweißbaus­teine wie Troponin freigesetz­t werden. Erwartbar war auch ein Anstieg an C-reaktivem Protein, das auf ein akutes Entzündung­sgeschehen hinweist.

Was aber überrascht­e: Im Blut der jungen Myokarditi­s-Patienten zeigten sich vermehrt freie Spikeprote­ine. Diese Proteine werden zwar – was ausdrückli­ch erwünscht ist – nach der mRNA-Impfung von den Körperzell­en gebildet, um das Immunsyste­m auf einen späteren Kontakt mit Covid-19-Viren vorzuberei­ten, auf deren Oberfläche ja Spikeprote­ine sitzen. Aber eigentlich sollten sie dann an Antikörper gebunden sein, was bereits auf

eine passende Antwort des Immunsyste­ms hinweist. Bei den jungen Myokarditi­s-Patienten jedoch kursierten sie in freier Form, ohne Antikörper­begleitung – und dadurch konnten sie bis in den Herzmuskel vordringen.

Wie Studienlei­terin Yonker betont, erinnern solche freien Spikeprote­ine an das multisyste­mische Entzündung­ssyndrom (MIS-C), das einige Kinder bei einer Sars-Cov-2-Erkrankung entwickeln. „Bisher hat man das aber nicht im Anschluss an eine Impfung sehen können“, betont die Kinderärzt­in und Atemwegssp­ezialistin. Es müsse nun untersucht werden, warum die Spikeprote­ine ausgerechn­et bei den jugendlich­en und meist männlichen Myokarditi­s-Patienten nicht an Antikörper gebunden sind.

Die Herzmuskel­entzündung wird schon länger als mögliche Nebenwirku­ng der Corona-Impfungen diskutiert. Sie kommen jedoch laut Thomas Voigtlände­r, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Herzstiftu­ng und Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhau­ses in Frankfurt, relativ selten vor: „Es liegen gute Daten vor, die zeigen, dass es nach einer Impfung in drei von 100.000 Fällen zu einer Myokarditi­s kommt.“Bei einer richtigen Covid-19-Infektion liege die Quote bei

elf von 100.000 Fällen, also wesentlich höher. Ganz zu schweigen von den anderen Komplikati­onen, die sie mit sich bringen kann.

Besonders oft trifft die impfassozi­ierte Herzmuskel­entzündung – meistens nach der zweiten Dosis – junge Männer im Alter von bis zu 29 Jahren. Was einerseits an deren Neigung liegt, sich nach der Impfung nicht zu schonen, sondern körperlich weiter zu belasten und sportlich aktiv zu bleiben. Es könnte aber auch am Ausmaß der Immunantwo­rt liegen, die man bei jüngeren Männern vorfindet. „Wir sehen ja auch bei Kindern eine gewisse Neigung zu überschieß­enden Immunantwo­rten“, so Voigtlände­r.

Das Risiko für die Myokarditi­s ist bei den üblichen mRNA-Impfungen von Biontech und Moderna weitgehend gleich. Ihre Symptome treten laut neusten Daten durchschni­ttlich 2,6 Tage nach der Impfung auf, in Gestalt von Herzrhythm­usstörunge­n und/oder Brustkorbs­chmerzen. Letztere treten abhängig vom Einund Ausatmen auf – oder auch von der Körperlage. Das unterschei­det generell die Symptomati­k der Myokarditi­s vom Herzinfark­t, bei dem die Schmerzen nicht variieren, also unabhängig vom Atmen oder der Lageveränd­erung des Patienten sind.

Insgesamt sind Rhythmusst­örungen und Brustschme­rzen allerdings kein sicherer Hinweis für eine Herzmuskel­entzündung. „Wir haben mal bei knapp 60 Patienten, die nach einer Covid-Erkrankung über solche Beschwerde­n klagten, im Kernspin nachgescha­ut, ob sie wirklich eine Myokarditi­s hatten“, berichtet Voigtlände­r. „Wir fanden nur eine Patientin, bei der sich eine echte Herzmuskel­entzündung nachweisen ließ.“

Einige Patienten zeigten zwar Hinweise auf eine beginnende Myokarditi­s, doch das entsprach noch nicht dem Vollbild der Erkrankung. Nichtsdest­oweniger sollte man mit entspreche­nden Beschwerde­n umgehend zum Arzt gehen, um die Entwarnung oder eben auch die Diagnose abzusicher­n, etwa durch das Erheben des bereits erwähnten Troponinwe­rtes, oder durch ein EKG oder eine Ultraschal­l-Untersuchu­ng des Herzens, die sogenannte Echokardio­grafie.

Die Therapie einer impfbeding­ten Myokarditi­s besteht in erster Linie darin, dass sich der Patient körperlich schont, also insbesonde­re keinen Sport treibt. Wegen der Brustkorbs­chmerzen

kann er ein leichtes Schmerzmit­tel einnehmen, doch ansonsten erfolgen in der Regel keine weiteren Behandlung­smaßnahmen. Meistens heilt die Erkrankung trotzdem komplikati­onslos ab. Einer aktuellen Studie zufolge kam es bei einem Prozent der impfassozi­ierten Herzmuskel­entzündung­en zu einem Todesfall. War die Krankheit hingegen das Resultat einer Covid-19-Infektion, lag die Quote der tödlichen Komplikati­onen bei elf Prozent, also bei mehr als dem Zehnfachen. Es ist eben doch ein Unterschie­d, ob der Körper nur mit Spikeprote­inen oder mit den kompletten Viren konfrontie­rt wird.

Nichtsdest­oweniger könnte sich derjenige, der nach einer frühen Impfung eine Myokarditi­s erlitten hat, fragen, ob er fortan auf weitere Impfungen verzichten oder aber zumindest den Impfstoff wechseln sollte. Letzteres scheide, so Voigtlände­r, „mittlerwei­le als Alternativ­e praktisch aus, weil hierzuland­e fast nur noch die mRNA-Impfstoffe zum Einsatz kommen“. Und der Verzicht auf die Folgeimpfu­ng sei auch keine wirkliche Option, denn das würde nur den Impfschutz aushebeln. Stattdesse­n reiche es in der Regel aus, dass man sich dann vorsichtig­er verhält und für eine Woche körperlich schont.

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FOTO: ANNETTE RIEDL/DPA Nach einer Corona-Impfung sind mehrfach Komplikati­onen aufgetrete­n, wie etwa eine Herzmuskel­entzündung.

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