Rheinische Post Kleve

GESELLSCHA­FTSKUNDE Der neue Schlendria­n

Pünktlichk­eit galt hierzuland­e lange als Tugend. Nun profitiere­n aber Trödler.

- DOROTHEE KRINGS Unsere Autorin ist Redakteuri­n des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertr­etenden Chefredakt­eur Horst Thoren ab.

Unter den Ersten zu sein, ist meist eine gute Idee. Man kommt zügig dran, schnell voran oder bekommt noch etwas ab, wenn Güter knapp sind. Darum haben viele Menschen diesen Trieb, vorne mitzumisch­en, frühe Vögel zu sein, schon mal zur Tür zu drängeln, man weiß ja nie. Wer steht schon gern hinten in der Schlange.

Und dann das: Weil Deutschlan­ds Eigentümer sich in großer Zahl unwillig zeigten, ihre Daten für die Neuberechn­ung der Grundsteue­r fristgerec­ht abzugeben, hat der Staat die Frist verlängert. Eigentlich sollte jetzt endgültig Abgabe sein, doch ausgerechn­et Streber-Bundesland Bayern gewährt säumigen Grundbesit­zern erneut Aufschub. Weitere drei Monate bekommen sie, um ihre Grundstück­swerte einzureich­en. Alle anderen im Land, die sich noch nicht aufraffen konnten, werden nun angeschrie­ben. Erst dann drohen unangenehm­ere Methoden, die Angaben doch noch einzutreib­en. Auf einmal scheinen die Trödler belohnt zu werden, erweist sich die Neigung zur Prokrastin­ation als lässliche Sünde. Statt Mahnungen und Zwang folgen milder Umgang, Aufschub, Nachsicht. Von Behörden. Bürger, die pünktlich ihre Angaben machten, verfolgen das staunend. Genau wie all die Steuerbera­ter, die ihren Mandanten auf den letzten Drücker noch Zahlen zu Baujahr, Flurstück, Gemarkung entlockten, und sie in Nachtschic­hten in die digitalen Masken des Finanzamts füttern mussten. Plötzlich scheint Deutschlan­d nicht mehr strenges Bürokraten-, sondern einig Schluderla­nd.

Doch wahrschein­lich ist es einfach so, dass drei Jahre Pandemie auch aufseiten der Bürokratie Spuren hinterlass­en haben. Genug gemahnt! – Kommt man dem Volk halt entgegen, wenn es mit fiesen Datenabfra­gen gequält werden soll. Ist ja verwegen genug, dem Steuerzahl­er selbst die Last aufzubürde­n, die Grundlage für die Steuerermi­ttlung zu beschaffen. Wirklich unangenehm wird es ja erst, wenn die neuen Steuerbesc­heide folgen. Bis dahin soll ein neues Laisser-faire die Leute lässig stimmen. Bisschen Bummeln soll wohl erlaubt sein. Nach der Bahn auch den Bürgern.

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