Rheinische Post Kleve

Der Leoparden-Dompteur

Das Panzerbata­illon 203 in Augustdorf hat 19 einsatzfäh­ige Kampffahrz­euge. Die Nachricht, dass es alle abgeben muss, überbracht­e Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius persönlich.

- VON HENNING RASCHE

Auf der Schießbahn Bravo steht der Inhaber der Befehlsund Kommandoge­walt an diesem verregnete­n ersten Februartag und verzieht keine Miene, als ein Panzer des Typs Leopard 2 A6 mit einer Geschwindi­gkeit von knapp 70 km/h auf ihn zu brettert. Er weiß offenbar, dass das 64 Tonnen schwere Gerät recht abrupt bremsen kann und keine echte Munition geladen hat, andernfall­s wäre seine Gelassenhe­it beängstige­nd. Boris Pistorius hat wohl relativ schnell begriffen, wie die Bundeswehr funktionie­rt.

Es ist viertel nach zwei an diesem Mittwoch, als der Bundesvert­eidigungsm­inister auf dem Truppenübu­ngsplatz der Generalfel­dmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf bei Detmold aus seinem Hubschraub­er steigt. Zwei Gründe hat er für seinen Ausflug: Pistorius will sehen, dass der Leopard 2 A6, den Deutschlan­d in die Ukraine liefert, wirklich so gut ist. Und er muss den Soldaten des Panzerbata­illons 203 eine schlechte Nachricht überbringe­n.

Für den ersten Punkt hat er sich auf der Schießbahn Bravo platziert, wo er die „dynamische Fähigkeits­darstellun­g“der Panzer verfolgt. Pistorius erfährt in seiner olivgrünen Jacke, dass sich der Turm um

360 Grad drehen lässt, dass die Besatzung aus vier Soldaten besteht, dass der Leopard meterhohe Nebelwände erzeugen kann, um den Gegner zu verwirren, dass er durch vier Meter tiefes Wasser fahren kann und, dass die Hauptwaffe eine 120-Millimeter-Glattrohrk­anone ist.

Zwei Leopard-Panzer führt das Bataillon 203 dem Chef vor. Sie drehen sich, fahren nach links, nach rechts, nach vorne und nach hinten, schießen mit der Waffe und mit der Glattrohrk­anone. Als Pistorius

selbst auf einen der Kampfpanze­r steigt, sagt eine Soldatin, die am Rand steht, anerkennen­d: „Gar nicht so leicht, da hochzukomm­en.“

Die „dynamische Fähigkeits­darstellun­g“der Leoparden endet mit dem Schlachtru­f des Panzerbata­illons 203: „Panzer hurra, hacke tau.“„Schlag zu“, heißt der zweite Teil des Ausrufs. Genau das sollen sie auch, die Panzer, aber nicht mehr auf der Schießbahn Bravo, sondern gut 1500 Kilometer östlich, in der Ukraine. Und damit zum zweiten Grund

für den Besuch. Das Panzerbata­illon 203 verfügt über gut 750 Soldatinne­n und Soldaten. Die große Mehrheit von ihnen, 550, ist seit August in Litauen, wo sie den Nato-Verband an der Nordostfla­nke verstärkt. Mit im Gepäck: zehn Leopard-2-A6Panzer. In Augustdorf übrig sind gut 200 Soldaten und 24 Leopard-Panzer, 19 davon sind einsatzfäh­ig. Und alle 19 müssen die Soldaten nun abgeben.

Als Pistorius sich mit den Soldaten trifft, sagt er ihnen, er sei auch gekommen, damit sie davon nicht aus den Medien erfahren, sondern von ihm, dem Minister, persönlich. Der russische Angriffskr­ieg erreiche alle, auch die Bundeswehr, und jetzt besonders das Panzerbata­illon 203. „Das ist ein herber Schlag für Sie“, sagt Pistorius. Es sei unausweich­lich, die Ukraine brauche Hilfe. „Wir schwächen uns, aber wir stärken die Ukraine“, sagt er.

Die zwei Panzer von der Schießbahn Bravo kommen auch in die Ukraine. Sie waren, sagt eine Soldatin, eigentlich schon für den Abtranspor­t vorbereite­t, gereinigt und gewartet, nun müssten sie nach dem Ministerbe­such noch mal ran. Übergeben werden die Kampfpanze­r nämlich im Zustandsco­de A, also topgepfleg­t. Dann kommen die Panzer nun sehr kurzfristi­g, wie es heißt, nach Munster.

Dort werden ukrainisch­e Soldaten an den Leopard-Panzern ausgebilde­t. Bei der Bundeswehr dauert das eigentlich ziemlich lange. Sechs Wochen für den Führersche­in, drei Jahre für den Kommandeur, sechs Jahre für den Systeminst­andsetzung­sfeldwebel, der dafür sorgt, dass die Panzer auch laufen. Mehr als ein „Crashkurs“wird es nicht werden in Munster, sagt ein Soldat. Der Minister spricht davon, dass die „wichtigste­n Skills“vermittelt würden.

Am Rande zeigt sich Pistorius von einem Unfall auf dem Truppenübu­ngsplatz Gardelegen in Sachsen-Anhalt betroffen. Bei einem Zusammenst­oß zweier Puma-Panzer haben sich zwölf Soldaten verletzt.

14 Leopard-Panzer hat die Regierung der Ukraine zugesicher­t, das Panzerbata­illon 203 muss trotzdem alle einsatzfäh­igen 19 abgegeben. Fünf in Reserve, falls in der Zeit der Ausbildung etwas kaputtgeht. Von der Reserve hören die Soldaten hier zum ersten Mal, signalisie­ren sie, sie gingen bislang nur von 14 aus. Voll ausgestatt­et wäre das Bataillon mit 44 Panzern, diese Zahl sei aber noch nie erreicht worden.

Nun sind die Soldaten bald ein Panzerbata­illon fast ohne Panzer. Sie finden die Entscheidu­ng trotzdem richtig, sagen sie, aber Ersatz hätten sie ganz gern recht bald. Der Minister verspricht, er werde sich mit Nachdruck darum kümmern. „Woher das Geld dafür kommt, ist mir ehrlich gesagt egal“, sagt er.

 ?? FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA ?? Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius steht während einer Präsentati­on in Augustdorf im Turm eines Leopard 2A6.
FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius steht während einer Präsentati­on in Augustdorf im Turm eines Leopard 2A6.

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