Rheinische Post Kleve

Ein anderer Blick auf die Weltpoliti­k

Brasiliens neuer Präsident Lula ist ein Hoffnungst­räger für den Westen. Doch als Friedensst­ifter im Ukraine-Krieg taugt er nicht – noch nicht.

- VON MARTIN KESSLER UND BIRGIT MARSCHALL

Westliche Politiker erliegen gern dem Trugschlus­s, dass demokratis­che Länder des globalen Südens wie Brasilien, Südafrika oder Indien in weltpoliti­schen Fragen ähnlich ticken wie sie. Da ist schnell von der Gemeinsamk­eit der Demokraten oder sogar der freien Welt die Rede. Gerade Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hatte sich in dieser Woche sehr auf den Besuch bei seinem brasiliani­schen Pendant Luiz Inácio Lula da Silva gefreut, dessen Arbeiterpa­rtei er als sozialdemo­kratische Schwesterp­artei ansieht.

Doch der von den meisten westlichen Staaten als Erneuerer der brasiliani­schen Demokratie gefeierte Arbeiterfü­hrer hat offenbar einen anderen Blick auf die Weltpoliti­k als die Europäer. Das fängt bereits damit an, dass Lula der Ukraine ein gehöriges Maß an Mitschuld am Krieg mit Russland gibt – wegen der angestrebt­en Nato-Mitgliedsc­haft der Ukraine. Wladimir Putin, der zu linken Regierunge­n in Lateinamer­ika wie Kuba oder Venezuela enge Beziehunge­n pflegt, ist auch bei Lula nicht so schlecht gelitten.

Der brasiliani­sche Präsident bezeichnet auch Chinas Diktator Xi Jinping als Freund, mit dem er gemeinsam (zusammen mit Indien) eine Friedensin­itiative im UkraineKri­eg starten will. Nun kann es sinnvoll sein, neutrale Personen mit einer solchen Aufgabe zu betrauen.

Klar ist, dass die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), die größeren Schwellenl­änder, durchaus engere Kontakte pflegen. Seit Putin die Front in der Ukraine wieder stabilisie­rt hat, wird er auch als wichtiger Partner wieder akzeptiert. Der Auftritt Lulas dürfte in Moskau mit Wohlwollen registrier­t worden sein. Bei den Verbündete­n Deutschlan­ds dürfte er eher zu Irritation­en geführt haben.

In der Ampel-Koalition kritisiert­e insbesonde­re FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai den Vorstoß Lulas. „Friedensge­spräche können nicht ohne die Ukraine geführt werden und schon gar nicht über die Köpfe und Interessen der Ukrainer hinweg“, sagte der FDP-Politiker. „Die Initiative von Brasiliens Präsident Lula ist daher höchst fragwürdig, zumal Lulas Positionen zum Angriffskr­ieg Russlands gegen die Ukraine stark irritieren – wie er zuletzt bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit dem Bundeskanz­ler in Brasilia ein weiteres Mal unter Beweis gestellt hat“, sagte der Liberale.

Trotz aller Kritik kann es aber nicht falsch sein, China und Brasilien als Brücke zu Putin zu benutzen, wenn der Krieg in der Ukraine für beide militärisc­hen Parteien mehr Opfer als mögliche Vorteile bedeutet. Denn an einem gefährlich­en Dauerkonfl­ikt können auch Länder wie China oder Brasilien kein Interesse haben. „Dass Brasilien gemeinsam mit China eine politische Lösung zur Beendigung des Ukraine-Kriegs suchen will – das können wir doch nur begrüßen. Brasilien,

China, Indien und Russland bilden gemeinsam die Brics-Staatengru­ppe der großen Schwellenl­änder. Druck von diesen Verbündete­n auf Putin wäre hilfreich“, sagte GrünenAuße­npolitiker Jürgen Trittin.

Eine Friedensin­itiative der Brasiliane­r, die gerne eine global wichtigere Rolle spielen würden, macht allerdings zum jetzigen Zeitpunkt wenig Sinn. Putin will weiterhin die Widerstand­skraft der Ukraine und die Hilfsberei­tschaft des Westens testen, weil er über die stärkeren Ressourcen – militärisc­h wie energiepol­itisch – verfügt. Da wird er sich auch nicht von Brasilien abhalten lassen.

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