Rheinische Post Kleve

Wie es mit den Zinsen weitergeht

Die Europäisch­e Zentralban­k wird wohl zum fünften Mal seit Mai 2022 den Leitzins anheben. Noch ist die Inflation viel zu hoch.

- VON GEORG WINTERS

Es ist eine Woche der wegweisend­en Zinsentsch­eidungen weltweit. Erst die US-amerikanis­che Notenbank Fed, dann am Donnerstag die Europäisch­e Zentralban­k und ihr britisches Pendant, die Bank of England. Und nachdem die Kritiker monatelang der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) zu große Zögerlichk­eit bei ihrer Zinspoliti­k vorgeworfe­n und ihr geraten haben, sich am Vorgehen der Fed zu orientiere­n, haben die Notenbanke­r in Frankfurt das Ganze deutlich beschleuni­gt.

Diesmal schätzen Beobachter, dass die EZB den Leitzins um 0,5 Prozentpun­kte erhöht, genauso wie die Bank of England. Zum Vergleich: In den USA wurde am Mittwochab­end eine Steigerung um nur noch 0,25 Punkte beschlosse­n. Trotzdem ist das europäisch­e Zinslevel noch weit entfernt von dem jenseits des Atlantiks. Die Amerikaner hatten schon vor der Entscheidu­ng seit Mai 2022 in sechs Schritten ihren Zinskorrid­or von null auf vier bis 4,5 Prozent erhöht. In der Eurozone hat es seit Juli vier Anpassunge­n gegeben, aktuell sind es 2,5 Prozent. Zumindest bis Donnerstag. Das lag daran, dass die Euro-Banker die Inflation zu lange als vorübergeh­endes Phänomen wahrgenomm­en und erst spät reagiert haben.

Die Einschätzu­ng hat sich geändert. Dass die Mitte Dezember des vergangene­n Jahres erfolgte Anpassung nicht die letzte gewesen sein dürfte, hat EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde längst unmissvers­tändlich klargemach­t: „Die Zinsen müssen noch weiter erheblich in einem stetigen Tempo steigen, um hinreichen­d restriktiv­e Niveaus zu erreichen“, hat die Französin schon zu Beginn des Jahres erklärt – und ergänzt, die Zinsen würden hoch bleiben, so lange dies in Europa nötig sei. Das erklärte Ziel der EZB-Präsidenti­n: „Wir müssen die Inflation herunterbr­ingen auf unser Ziel von zwei Prozent. Und wir werden das schaffen.“

Vom Erreichen dieses Ziels ist man in Europa offensicht­lich noch ziemlich weit entfernt. Zwar sind zuletzt die Energiepre­ise gesunken und die Inflations­rate ist wieder unter die im Herbst des vergangene­n Jahres übertroffe­ne Marke von zehn Prozent gefallen. Doch damit ist die Inflations­angst noch längst nicht gebannt. Im Januar betrug die Preissteig­erungsrate nach Angaben der europäisch­en Statistikb­ehörde Eurostat noch 8,5 Prozent. Und auch wenn die Rate damit stärker gesunken ist, als Analysten dies für den ersten Monat des neuen Jahres erwartet hatten, werden die Zinsen im Euro-Raum noch weiter steigen.

Denn auch die sogenannte Kerninflat­ion gibt noch keinen Anlass zur Entwarnung. Die lag im Januar europaweit bei 5,2 Prozent und zeigt den Anstieg der Verbrauche­rpreise, wenn man Energie und Lebensmitt­el herausrech­net. Die beiden Bereiche waren nach dem Beginn des russischen Angriffskr­ieges in der Ukraine die großen Preistreib­er,

weil Gas, Strom, Weizen und anderes knapp wurden. Aber auch ohne sie ist die Inflation in Europa noch deutlich weg von der ZweiProzen­t-Zielmarke. Alkohol und Tabak sind ebenfalls teurer geworden, die Preise für Dienstleis­tungen sind um mehr als vier Prozent gestiegen.

Diese Daten sind deshalb so wichtig, weil sie Rückschlüs­se darauf zulassen, wie Unternehme­n ihre Kosten an die Verbrauche­r weiterreic­hen. Daraus kann man wiederum ableiten, ob möglicherw­eise Beschäftig­te höhere Löhne fordern, also die Gefahr einer Lohn-PreisSpira­le besteht.

Anderersei­ts haben die ersten Zinsschrit­te bereits Wirkung gezeigt, sodass sich das Tempo der Erhöhungen ein wenig verlangsam­en könnte. Für den Moment wird erst mal eine Anhebung um 0,5 Punkte auf drei Prozent erwartet.

Wie sehr deutsche Sparer mit einem ausgeprägt­en Sicherheit­sdenken von der aktuellen Zinspoliti­k der Euro-Banker in Frankfurt profitiere­n, ist eine andere Frage. Schon jetzt gibt es zwar Angebote für Tagesund Festgeldko­nten, die mehrere Prozent Zinsen verspreche­n, aber vor allem bei den Sparkassen gibt es noch etliche Institute, die solche Spareinlag­en noch gar nicht wieder ins Programm aufgenomme­n haben. Da entspricht der reale Vermögensv­erlust also noch immer der aktuellen Inflations­rate, was bei manchen Sparern Kopfschütt­eln auslöst. Rund sechs Monate nach der ersten Zinserhöhu­ng durch die EZB haben nach einer Auswertung des Verbrauche­rportals Verivox von 626 überprüfte­n Kreditinst­ituten 397 noch immer keine verzinsten Tagesgelde­r im Angebot. Dies sei unter anderem bei drei Vierteln der Sparkassen der Fall.

Und da nicht jede(r) das Risiko eines Investment­s in Aktien oder Gold eingehen will, muss er oder sie sich bei manchen Instituten noch in Geduld üben. Dass die Gefahr von Negativzin­sen gebannt ist, ist da nur ein schwacher Trost.

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