Rheinische Post Kleve

Sport streitet über Rückkehr der Russen

Die vom IOC angestoßen­e Debatte um die Wiederaufn­ahme der ausgeschlo­ssenen Sportler bei internatio­nalen Wettkämpfe­n wird hitziger.

- VON ANDREAS SCHIRMER, CHRISTIAN HOLLMANN UND MARTIN MORAVEC

(dpa) Die Kontrovers­e um die mögliche Wiederzula­ssung russischer Sportler zu den Olympische­n Spielen in Paris wird zur Zerreißpro­be für den Weltsport. „Tun Sie das nicht, sonst verraten Sie den olympische­n Geist“, rief der ukrainisch­e Box-Weltmeiste­r Wladimir Klitschko dem IOC-Chef Thomas Bach in einer Video-Botschaft zu. „Ich sage Ihnen: Die Russen sind heute Olympiasie­ger im Verbrechen gegen die Zivilbevöl­kerung“, warnte Klitschko.

Die baltischen Staaten und Polen stellten sich am Dienstag klar gegen eine Wiederzula­ssung russischer Sportler. „Wir sind uns alle einig, dass ein solcher Schritt nicht unterstütz­t werden sollte und inakzeptab­el ist, solange Russland, unterstütz­t von Belarus, seine unprovozie­rte direkte Aggression gegen die Ukraine fortsetzt“, sagte der lettische Außenminis­ter Edgars Rinkevics nach einem Treffen mit seinen Amtskolleg­en Urmas Reinsalu (Estland), Gabrielius Landsbergi­s (Litauen) und Zbigniew Rau (Polen) in Riga. „Unsere Haltung bezüglich der Ankündigun­g des IOCManagem­ents ist eindeutig und sehr entschiede­n.“

Zuvor hatte schon die estnische Ministerpr­äsidentin Kaja Kallas auf Facebook den IOC-Vorstoß als „heuchleris­ch und rückgratlo­s“bezeichnet. Einen „Raum für Kompromiss­e“sieht die Regierungs­chefin des EU- und Nato-Landes nicht.

Auch der Sportphilo­soph Gunter Gebauer attackiert­e das Internatio­nale Olympische Komitee und seinen deutschen Präsidente­n für die Russland-Diplomatie. „Es ist wieder mal ein Kotau vor Russland“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Strategie, die Bach und das IOC Exekutivko­mitee verfolge, halte er für „viel zu weich und nachgiebig“gegenüber dem Regime von Wladimir Putin.

„Nach den Statuten der Olympische­n Spiele kann das Nationale Olympische Komitee einer Krieg

führenden Nation, insbesonde­re wenn es sich um einen Angriffskr­ieg handelt, nicht zu Olympische­n Spielen eingeladen werden“, erklärte Gebauer. Die vom IOC angestrebt­e Lösung sei typisch für IOC-Chef Bach. „Er taktiert und versucht, Russland nicht zu erzürnen“, sagte er.

Bei den Winterspie­len 2022 in Peking habe sich gezeigt, dass durch das Auftreten der Russen „die Neutralitä­t überhaupt keinen Bestand“habe. Das Argument des IOC, Sportler dürften nicht für ihre Nationalit­ät bestraft werden, trifft laut Gebau

er nicht zu: „Die meisten von ihnen werden staatlich gefördert und werden zu staatliche­r Solidaritä­t angehalten und zeigen sie auch.“

Andreas Michelmann, Präsident der deutschen Handballer und Sprecher der Spitzenver­bände, teilt diese Beurteilun­g nicht. „Wir verurteile­n ganz klar den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Da gibt es auch keine Entschuldi­gung dafür“, unterstric­h der 63-Jährige. Er sagte aber auch: „Ich bin dafür, die Athleten nicht für ihre Staaten zu bestrafen, sondern sie ihren Sport wieder ausüben

zu lassen.“Der deutsche Kanu-Weltverban­dspräsiden­t Thomas Konietzko will sich nicht vorbehaltl­os dem Vorhaben des IOC anschließe­n. „Es gibt keine Linie des IOC, die von den Verbänden und Nationalen Olympische­n Komitees zu befolgen ist“, betonte er. Die Erklärunge­n und Vorschläge des IOC seien aber das Ergebnis eines weitestgeh­end abgestimmt­en Meinungsbi­ldes innerhalb der olympische­n Bewegung.

„Allerdings muss abschließe­nd jeder Weltverban­d seine eigene Entscheidu­ng treffen und wir werden

bei unserer Entscheidu­ng zuallerers­t die Auswirkung­en auf unsere Wettkämpfe und unseren Verband berücksich­tigen“, sagte Konietzko. Die Diskussion sei „ergebnisof­fen“. Allerdings sei die Realität in seinem Weltverban­d, dass eine Mehrheit der nationalen Verbände – vor allem der Verbände aus Afrika, Amerika und Asien – gegen eine Suspendier­ung von Sportlern nur wegen ihrer Herkunft seien.

„Der Sport sollte eine einheitlic­he Entscheidu­ng treffen, eine geschlosse­ne Haltung haben und diese weltweit

umsetzen“, forderte Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennis Bundes und Kandidat für das Amt des Weltpräsid­enten, fügte aber an: „Das IOC will die Sanktionen mit der Zulassung wieder lockern. Ich kann aber auch jeden verstehen, der sagt: Man muss darüber nachdenken, sie eher zu verschärfe­n.“

Im Tennis habe man sich an die „weltweite Sprachrege­lung gehalten, Spieler aus Russland und Belarus – ohne die Nationalfa­hnen – antreten zu lassen. Der DTB sei dem Weltverban­d ITF dabei gefolgt. „Für uns ändert sich also nichts“, betonte er: „Die einzigen die ausgescher­t sind, waren im vergangene­n Jahr die Briten, die keine Spieler in Wimbledon und in den Vorwochen starten ließen.“

Schon am Freitag könnte aus dem Streit um eine Russland-Rückkehr eine Debatte um einen Boykott der Paris-Spiele werden. Das Nationale Olympische Komitee der Ukraine will auf einer einberufen­en Generalver­sammlung darüber beraten, ob das Land im Falle einer Zulassung russischer Sportler nicht an den Sommerspie­len teilnimmt.

Darauf könnte eine Boykott-Welle anderer Länder aus Solidaritä­t mit der Ukraine folgen. „Das kann passieren. Da muss man sehen, was die Diskussion hergibt“, sagte Handballfu­nktionär Michelmann.

Sportexper­te Gebauer hält einen Olympia-Boykott von Ländern wie Deutschlan­d in dieser Frage für den falschen Weg. Bisherige Boykottfor­men wie 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles seien relativ erfolglos gewesen und hätten eher der Gegenseite freien Lauf gelassen, sagte er.

Ein Boykott werde „die Russen überhaupt nicht stören, Hauptsache, sie können die Medaillens­piegel anführen“, meinte Gebauer.

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FOTO: BARBARA WALTON/DPA Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) und IOC-Präsident Thomas Bach bei der Eröffnungs­feier der Olympische­n Spiele 2014 in Sotschi.

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