„Haben lange verdrängt, wie angreifbar wir sind“
NRW-Innenminister Herbert Reul sprach in der voll besetzten Aula des Collegium Augustinianum Gaesdonck. Er bezeichnete den Angriff Russlands auf die Ukraine als Weckruf und appellierte auch an Unternehmen, in Sicherheit zu investieren.
Mit einigem Andrang hatten die Gastgeber gerechnet, aber dass der Redner des jüngsten Wintervortrags die Gaesdoncker Aula restlos füllen würde, das kam dann doch überraschend. Michael Urban, Regionalleiter Niederrhein der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und gemeinsam dem Luftwaffenstandort Kalkar-Kleve Veranstalter des Abends, konfrontierte den Referenten Herbert Reul mit einem besonderen Rekord: „Wir haben Ihretwegen heute mehr Gäste als seinerzeit beim Vortrag des Astronauten Thomas Reiter.“
Jenseits von 600 hört man in der Aula des bischöflichen Internatsgymnasiums in Goch auf zu zählen, weil sonst die Feuerwehr nervös wird. Was NRW-Innenminister Reul aber noch mehr imponierte als die pure Anzahl der Teilnehmer war die Zusammensetzung des Auditoriums: viele Bürgermeister aus dem Kreis samt Landrat und Landtagsabgeordneten, politisch interessierte Bürger, Schüler, Soldaten, Polizeibeamte, Angehörige von Hilfsorganisationen, sogar Weihbischof Rolf Lohmann: „Das ist mal eine bunte Zusammensetzung“, sagte der Minister. „So viele Fachleute an einer Stelle hast du selten.“
Zuvor hatten Gaesdonck-Direktor Markus Oberdörster und Generalmajor Michael Hogrebe, stellvertretender Kommandeur des Zentrums Luftoperationen in Kalkar, die Gäste begrüßt. Hogrebe zählte für „den einen“, der Reul vielleicht nicht so gut kenne, ein paar Daten auf: 1952 in Langenfeld geboren, Sozial- und Erziehungswissenschaften studiert, als
Studienrat in Wermelskirchen gearbeitet. Ab 2004 Landtagsabgeordneter, dann Mitglied des Europäischen Parlaments, seit 2017 NRW-Innenminister.
Dann begann Reul mit seinem Vortrag, der ein Aufruf war, die kritische Infrastruktur besser zu schützen. Diese wichtige Infrastruktur ist weitgehend das, was im CoronaLockdown die „Systemrelevanz“war: Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser, Schulen, Energieunternehmen... Wer diese Einrichtungen angreift, gefährdet die Gesellschaft in
ihrem Kern. Um zukunftsfähig zu bleiben, müsse der Staat diese Infrastruktur besonders schützen. Und die Bürger sollten sich auf die richtige Seite stellen und an der Verteidigung der Demokratie mitwirken, wo immer das möglich sei.
Reul dankte all den Ehrenamtlern und sonstigen Menschen, die den Flutopfern geholfen haben, die Flüchtlinge versorgen, sich nicht von sogenannter Fake News irre machen lassen, keinen Extremisten nachlaufen, sich für den Rechtsstaat einsetzen. Der sei nun einmal abhängig
davon, dass Regeln eingehalten werden. Nur, wenn Gesetze und Grenzen akzeptiert würden, könne die Gesellschaft funktionieren. „Und für die Regeln, die wir uns gegeben haben, braucht man auch Menschen, die darauf aufpassen.“Die Polizei zum Beispiel, deren oberster Dienstherr Reul in NRW ist.
Der Politiker weiß es: Die äußere Sicherheit hatte lange keine Lobby, dass Verteidigung nach außen wie nach innen nötig ist, werde derzeit angesichts des Krieges in Europa erst wieder bewusst. Dass schwere Waf
fen geliefert würden, damit die Ukraine sich verteidigen könne, sei ebenso richtig und notwendig, wie seine Infrastruktur gegen Angriffe von Saboteuren und Hackern zu schützen.
„Wir sind verwundbar“, sagt Reul und ist froh darüber, dass nicht nur der Staat, sondern auch immer mehr Unternehmen in ihre Sicherheit investieren. „Jeder kann ein Stück zur Gefahrenabwehr beitragen.“Bei der Sicherheit im Netz lauerten große Gefahren, man müsse das Unmögliche für möglich halten. „Diese Erkenntnis und die Konsequenzen daraus
gehören in die Chefetagen“, so Reul, „in der Industrie genauso wie in Politik und Behörden.“
Natürlich müsse insbesondere der Staat (bis hinunter zu den Kommunen) seine Hausaufgaben machen und tue dies auch: Satellitentelefone seien im Falle von Stromausfällen wichtig, Sirenen würden getestet und Warn-Apps entwickelt, es müsse Lagezentren auf allen Ebenen geben, teilstationäre Tankstellen, Wärmeräume. „Wir haben lange verdrängt, wie angreifbar wir sind und bekamen nun die Augen geöffnet.“