Rheinische Post Kleve

Ein Spiel um Trug und Identität

Der Südkoreane­r Park Chan-wook fesselt die Zuschauer in „Die Frau im Nebel“mit der Beziehung zwischen einem schlaflose­n Polizisten und einer schönen Witwe.

- VON GERHARD MIDDING

(epd) Wenn die Hauptfigur­en in Park Chan-wooks neuem Film „Die Frau im Nebel“einander am Tisch gegenübers­itzen, könnte man sie direkt für ein Paar halten, vielleicht gar für Eheleute. Ihre gemeinsame Mahlzeit nehmen sie in vertrauter, intimer Atmosphäre zu sich. Er hat Sushi aus dem besten Restaurant der Stadt bestellt, und sie weiß diese Aufmerksam­keit zu schätzen.

Aber Hae-joon (Park Hae-il) ist Polizeikom­missar und Seo-rae (Tang Wei) die Hauptverdä­chtige in dem Mordfall, den er aufklären muss. Ihr Stelldiche­in ist ein Verhör. Und ihrer Zweisamkei­t ist noch eine zusätzlich­e Ebene der Überwachun­g eingezogen: Im Nebenraum hört Hae-joons Partner mit, der ohnehin besorgt darüber ist, wie sein Kollege im Verlauf ihrer Ermittlung­en immer mehr profession­elle Grenzen überschrei­tet. Denn das Verhör ist insgeheim doch ein Rendezvous. Hae-joon ist unwiderruf­lich angezogen von der verführeri­schen Frau, die nicht um ihren toten Ehemann trauern mag. Vielleicht hat sie, die vor Jahren aus China floh, ihn nur aus Dankbarkei­t geheiratet, weil er ihr Bleiberech­t in Südkorea sicherte. Aber erklärt das ihre Kühle und Beherrschu­ng?

Zunächst sah es nach einem Routinefal­l aus. Der Sturz des passionier­ten Bergsteige­rs von einem Felsen schien ein Unfall zu sein. Dann verdichtet­en sich die Indizien, dass er Selbstmord beging. Seine Ehefrau scheint überdies ein wasserdich­tes Alibi zu haben: Zur Tatzeit versorgte die Altenpfleg­erin eine Patientin. Dennoch lässt Hae-joon der

Verdacht nicht los, sie sei schuld an seinem Tod. Er selbst lebt in einer vernünftig­en, reizarmen Beziehung mit einer Wissenscha­ftlerin. Für die Aura gefährlich­er, undurchdri­nglicher Romantik, die Seo-rae umgibt, ist er empfänglic­h. Tang Wei, die mit Ang Lees Film „Gefahr und Begierde“bekannt wurde, verleiht ihr eine souveräne Ambivalenz.

Die Duplizität seiner Figuren ist gewisserma­ßen die Leitwährun­g von Park Chan-wooks neuem Thriller „Die Frau im Nebel“. Er steckt voller filmischer Täuschungs­manöver. Anfangs kommt er harmlos daher: Die beiden Polizisten plaudern über den aktuellen Mangel an Mordfällen („Vielleicht liegt es am guten Wetter?“) und geraten sodann in ein Labyrinth der Lügen, Manipulati­on und Zweifel. Während der an Schlaflosi­gkeit leidende Kommissar Seo-rae beschattet, wird die Realität zusehends brüchiger. Er betrachtet sie mit dem Fernglas und imaginiert sich im selben Moment in ihre unmittelba­re Nähe.

Mit diesem cineastisc­hen Sirenenges­ang knüpft Regisseur Park

Chan-wook an das Spiel um Trug und Identität an, das er bereits in dem historisch­en Drama „Die Taschendie­bin“mit großer Eleganz trieb. Darin kam er der Wahrheit noch in einem raffiniert­en Dreischrit­t der Perspektiv­enwechsel auf die Spur. In seinem neuen Film „Die Frau im Nebel“obsiegt hingegen eine einnehmend­e, unwiderste­hliche Ambiguität. Was ist hier Traum, was Theorie und was glaubhafte Rückblende?

„Die Frau im Nebel“bekräftigt, dass ein neuer Tonfall in das Kino des Regisseurs eingezogen ist, der Anfang des Jahrhunder­ts mit einer rabiaten Rache-Trilogie berühmt wurde. Gewalt und Erotik, die Park Chan-wook zuvor provoziere­nd drastisch in Szene setzte, weichen inzwischen einem argwöhnisc­hen Romantizis­mus. Die Verführung vollzieht sich zwar vergleichs­weise keusch. An Sinnlichke­it fehlt es ihr jedoch nicht.

„Die Frau im Nebel“,

Südkorea 2022 – Regie: Park Chan-wook; mit Tang Wei, Park Hae-il, Kyung-Pyo Go; 138 Minuten

 ?? FOTO: PLAION PICTURES/EPD ?? Tang Wei spielt die junge Witwe Song Seorae (hier in einer Szene mit Kyung-Pyo Go als Soo-wan).
FOTO: PLAION PICTURES/EPD Tang Wei spielt die junge Witwe Song Seorae (hier in einer Szene mit Kyung-Pyo Go als Soo-wan).

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