Hassliebe auf dem Bauernhof
Das Charakterdrama „Wann kommst du meine Wunden küssen?“über drei Frauen im Schwarzwald begeistert mit leichtfüßigem und tragikomischem Ton.
(kna) Es entfaltet eine besonders menschenfreundliche Komik, wenn tendenziell schwermütige Beziehungsfilme nicht all ihre Last den Dialogen aufbürden, sondern stattdessen die Figuren wie bei einem Mobile nur anstupsen und aufeinander loslassen. In Bildern, die der wackeligen Mechanik des Aneinandervorbei und Voneinanderweg vertrauen und das Ganze ernst, aber nicht zu ernst nehmen.
Mit einem schwindelerregenden Kameraflug über eine Staumauer im düster-verschneiten Schwarzwald beginnt „Wann kommst du meine Wunden küssen?“von Hanna Doose; dazu pulsieren die dunklen Elektroklänge des Komponisten David Letellier. Die Wuchtigkeit des Symbols für etwas bedrohlich Aufgestautes lässt noch nicht erahnen, welchen leichtfüßigen, tragikomischen Ton dieser Film anschlägt.
In den Staumauer-Prolog sind drei Frauen dazwischen geschnitten: Ganz in Leder nimmt Maria (Bibiana Beglau) auf einem geliehenen Motorrad die Kurven im Schwarzwald; „ein langer Ritt, elf Stunden“, hatte sie vor dem Aufbruch auf einer Berliner Dachterrasse dem Besitzer der Maschine (Marc Hosemann) zugeraunt und ihm noch ein paar Drogen, Bargeld und einen Zungenkuss abgerungen. Ihre Schwester Kathi (Katarina Schröter) streift zu Fuß durch den Wald, im Lodenmantel und mit einer angeleinten Ziege an ihrer Seite. Wie eine Schamanin hat sie die Augen mit Ruß umrandet und blickt ahnungsvoll in die Ferne. Die dritte Protagonistin, Laura (Gina Henkel), galoppiert in verdreckten
Stallklamotten auf einem Rappen durchs tote Gehölz. Das ist kein Freizeitvergnügen, sondern ihr nachhaltiges Verkehrsmittel. Sie hält einen Hof am Laufen, der ihr nicht gehört, und führt womöglich ein Leben, das sie nicht will.
Alle drei Frauen treffen oder besser: prallen nun hassliebend, fürsorglich und angewidert auf jenem abgelegenen Anwesen aufeinander, das Maria und ihrer krebskranken Schwester Kathi gehört. Dort hat sich Lauras Freund Jan (Alexander Fehling) in sein Tonstudio zurückgezogen. Es werden ganze Gefühlslandschaften umgepflügt, unter denen es offenbar schon länger brodelte. Denn Jan war früher mit Maria zusammen – damals, als Laura noch eine gefragte junge Schauspielerin und Marias Muse war. Doch das autarke Landleben-Idyll, in das man aus der Kreativszene floh, entpuppte sich als weit mühsamer und unfreier als erwartet.
Mit architektonischer Genauigkeit hat Doose das Fundament ihrer eigentlich recht banalen Geschichte
über zwischenmenschliche Verwerfungen und begrabene Träume gebaut. Das erlaubt ihr und ihren in jeder Sekunde Spannung erzeugenden Schauspielern die größtmögliche Freiheit. Es ist eine diebische Freude, diesen bis in die letzte Faser glaubwürdigen Figuren bei ihrem Ringen um Liebe und Selbstakzeptanz zuzusehen. Ironisch gebrochenes Pathos spiegelt sich auch im impliziten musikalischen Bogen des Films, der mit einer Zeile aus dem Falco-Song „Out of the Dark“überschrieben ist und Zuflucht findet in Franz Lehars Operette „Das Land des Lächelns“. Das daraus entnommene Liebeslied „Dein ist mein ganzes Herz“schmettern die drei Frauen buchstäblich am Rande des Abgrunds als kathartische Performance, zwischen Schlagerliebesschmalz und Hölle.
„Wann kommst du meine Wunden küssen?“, Deutschland 2022 – Regie: Hanna Doose; mit Bibiana Beglau, Gina Henkel, Katarina Schröter, Alexander Fehling; 115 Minuten