Rheinische Post Kleve

Die falsche Geschichte

- VON ULRICH KRÖKEL

Wladimir Putin ist besessen von Geschichte. Immer wieder leitet er sein Handeln in der Gegenwart aus einer mythisch überhöhten Vergangenh­eit her. Ob er sich selbst in eine Reihe mit Zar Peter dem Großen und Sowjetdikt­ator Josef Stalin stellt oder Verbrechen leugnet: Bei Putin dreht sich alles um Größe und Ruhm des Reiches.

Es war daher wenig überrasche­nd, dass der Kremlherrs­cher den 80. Jahrestag der deutschen Kapitulati­on in Stalingrad für eine Propaganda­show nutzte. Zur Feier des Tages erhielt die Stadt, die heute Wolgograd heißt, vorübergeh­end sogar ihren alten Namen zurück. Vergessen war da offenbar, dass die Abkehr von der „Stalinstad­t“Gründe hatte: den Gulag, den Großen Terror, den Holodomor und andere Menschheit­sverbreche­n. Schlimmer noch als das Retuschier­en und Schönfärbe­n sind die offenen Geschichts­lügen, die in Putins Russland längst Allgemeing­ut geworden sind. Sie gipfeln in der falschen These, die Ukraine als Nation mit eigener Kultur, Sprache und Geschichte gebe es nicht. Mit dieser Geschichts­klitterung ebnete Putin bekanntlic­h den Weg zum Überfall auf das Land vor einem Jahr. Doch damit nicht genug. Er erklärte den jüdischen Präsidente­n der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, und einen Großteil seiner Landsleute zu Neonazis. In Wirklichke­it ist nicht Selenskyj ein Neonazi. Vielmehr lässt Putin einen Krieg führen, der zumindest Züge eines Vernichtun­gsfeldzugs trägt. Aus Opfern macht er Täter. Das ist hinterhält­ig und widerwärti­g.

In ähnlicher Weise ließ Putin es sich bei seinem Stalingrad­Auftritt nicht nehmen, Deutschlan­d frontal anzugreife­n. Wie einst die Panzer der Wehrmacht, so bedrohe nun der Leopard 2 Russland. Eine dreiste Verkehrung der Tatsachen. Denn in diesem Krieg geht die Bedrohung einzig und allein von Putins Russland aus.

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