Unternehmen für eine bessere Welt
Sie wollen Klärschlamm in Energie umwandeln, Soja durch eine klimafreundlichere Eiweißquelle ersetzen und nachhaltige Ernährung fördern: Drei junge Gründer stehen fürs Klima ein.
Alles fängt mit einem ungewöhnlichen Traum im ersten Corona-Jahr an. Vanessa Westphal wacht eines Morgens auf und denkt: „Das, was ich gerade geträumt habe, muss wahr werden.“Die damals 27-jährige Elektrotechnikerin aus Haan hat zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre mit Asthma und Neurodermitis zu kämpfen, ihr Bruder und sie haben viele Unverträglichkeiten, müssen zum Beispiel auf zuckerhaltige Lebensmittel verzichten. Seit einiger Zeit beschäftigt sich Westphal auch mit nachhaltiger Ernährung, kauft saisonal ein und versucht, möglichst wenig Wasser zu verbrauchen. Sie hat in dieser Nacht von einer App geträumt, die ihr das Leben leichter machen würde. Die ihr jeden Tag drei Gerichte vorschlägt – ganz auf ihre Allergien und Vorlieben abgestimmt. Und die immer angibt, wie klimafreundlich ihr Essen zubereitet werden kann.
2021 gründet Westphal mit Hauke Jäger und Julius Kuschke das Startup Choosy in Bochum. Sie hat die beiden über eine Internetplattform kennengelernt: „Lustigerweise hatten Julius, Hauke und ich – ganz unabhängig voneinander – dieselbe Idee“, sagt Westphal. Kuschke, 35, hat zwei kleine Kinder und möchte die nachhaltige Essensplanung innerhalb der Familie erleichtern.
Und Jäger, 35, fragte sich schon länger, wie man den Algorithmus der Audio-App Spotify auf eine Rezepte-App überträgt. Die Klimakrise bereitet ihnen allen Sorgen, deshalb liegt ihr Fokus auf Nachhaltigkeit: „Wir bringen saisonale Zutaten in den Rezepten unter und geben an,
wie viel CO2 und Wasser das Zubereiten des Gerichts verbraucht“, sagt Westphal. 2022 bewerben sich die drei Gründer erfolgreich um ein Gründerstipendium bei der Impact Factory in Duisburg, einer Initiative von der Beisheim-Stiftung, Haniel, der KfW-Stiftung und Anthropia. Sie unterstützt Sozialunternehmer in ganz Deutschland.
Gemeinsam mit dem Werbekonzern Publicis-Gruppe veranstaltete die Initiative am vergangenen Mittwoch den ersten „Brand & Growth Day“in Düsseldorf. Knapp 70 Gründer von 50 Start-ups kamen, darunter auch Westphal. Sie knüpft viele Kontakte zu jungen Unternehmerinnen und Unternehmern an diesem Tag, unter anderem zu Nina Hein aus
Berlin, die mit Fabian Habicht an diesem Freitag die Shit2Power GmbH gründen wird. „Der Name ist Programm: Wir wollen Klärschlamm in Energie umwandeln“, sagt die 30-Jährige. Kurz gesagt: Shit2Power trocknet den Klärschlamm, bereitet ihn auf und wandelt ihn in ein Synthesegas um. Mithilfe eines modernen Blockheizkraftwerks kann ein Klärwerk die im Gas gebundene chemische Energie effizient nutzen – Wärme und elektrische Energie entstehen. Außerdem wird der Wasserstoff im Gas abgetrennt, sodass auch er als Energieträger zur Verfügung steht. „Die Klärwerke sparen so enorme Kosten ein und erzeugen auch noch erneuerbare Energien“, sagt Hein. Eine Win-Win-Situation,
wie sie meint. Westphal muss schmunzeln bei dem Namen des Start-ups, ist aber begeistert von Heins und Habichts Idee. „Ich finde die Gründer, die ich hier treffe, sehr inspirierend“, sagt sie.
Da ist zum Beispiel noch Arne Rohlfs aus Oldenburg. Er pflanzt Bäume in der Demokratischen Republik Kongo, bindet so CO2 und verkauft die Zertifikate an Industrieunternehmen. Beim Aufforsten entsteht ein Nebenprodukt, wie Rohlfs es nennt – die Moringa-Pflanze. Sie enthalte genauso viel Eiweiß wie Soja und viele Vitamine, Mineralien, Spurenelemente und Antioxidantien, wachse sehr schnell und könne bis zu acht Mal im Jahr geerntet werden, ohne Dünger zuzusetzen. Rohlfs ist der Ansicht, dass diese Pflanze sich bald als Soja-Alternative in der Futtermittelindustrie etablieren könnte – und möchte sie deshalb an große Hersteller verkaufen. Die ersten 25 Hektar im Kongo habe seine Moringa Help GmbH bereits bepflanzt. Er sei in Gesprächen mit Investoren und einer der größten Futtermittelhersteller plane eine erste Testphase mit der Moringa-Pflanze.
Hein, Rohlfs und Westphal beschäftigten sich seit mehr als zwei Jahren mit ihren Ideen, haben Höhen und Tiefen erlebt. Da sei es beruhigend zu hören, dass es den großen Stars in der Gründerszene auch so gegangen sei, findet Rohlfs. Gemeinsam mit Westphal
und Hein hört er am Ende des „Brand & Growth Days“einem Vortrag von „Just Spices“-Gründer Florian Falk an. „Wir haben damals im Keller meiner Mutter angefangen, die Etiketten selbst geklebt und unsere Gewürzmühlen bei Tedi eingekauft“, sagt er. Später, als sie eine große Firma für Systemgastronomie beliefern wollten, nisteten sich Fruchtfliegen im Fischgewürz ein – ein Desaster. Leider könne das passieren, wenn man Fenchel zusetze, und die belieferte Firma hatte letztendlich Verständnis. Zwei Jahre später bestellte sie erneut bei „Just Spices“. Falk sagt, sie seien häufig gescheitert, aber hätten immer mehr dazugelernt und es dann geschafft: 2021 verkauften sie 85 Prozent ihrer Firma an den US-Konzern Kraft Heinz. Ein Jahr später verließ Falk „Just Spices“und widmet sich seitdem seiner Rolle als Investor. Er möchte Gründern mit auf den Weg geben, dass sie immer weitermachen sollten. Es sei nicht wichtig, wie, sondern nur, dass sie es täten.
Westphal kann seine Worte nachvollziehen. Sie war bislang sehr erfolgreich, hat mehr als neun Jahre lang einen sicheren Job bei Siemens gehabt. Nun macht sie sich mit Choosy auf in ein neues Abenteuer. Bald steht die erste Finanzierungsrunde für das Start-up an. Es ist noch ein weiter Weg – aber die Zeichen stehen weiterhin auf Erfolg.