Rheinische Post Kleve

Schumann aus dem Ikea-Katalog

Eine grandiose CD-Box mit allen Sinfonien entstand in der schwedisch­en Provinz.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die Musik einer CD zählt ja zur Inneneinri­chtung. Man könnte sich in den Klängen selbst wohnlich einrichten. Da liegt es nahe, bei dieser Produktion aus Örebro, der schwedisch­en Provinz, die Namenstüft­ler eines nationalen Möbelhause­s zu Hilfe zu nehmen. Wie würde Ikea die Sätze dieser Gesamtaufn­ahme aller Sinfonien und Ouvertüren von Robert Schumann (Bis Records 2669, drei CDs) wohl nennen, die wir künftig an bevorzugte­r Stelle in unserem Billy-Regal stehen haben? Wie klingt dieser Schumann im internatio­nalen Musizierka­talog, aus dem mancher so gern bestellt?

Zunächst einmal: „Windsnog“. Wenn das phänomenal­e Swedish Chamber Orchestra unter seinem Chefdirige­nten Thomas Dausgaard das zischende Scherzo der 2. Sinfonie C-Dur spielt, dann braust der Wind ums Haus, er klopft ans Gebälk, das wie Knäckebrot knackt. Überhaupt lieben es die Schweden, Musik als dynamisch bewegte Zeit zu deuten, nichts steht auf der Stelle. Die Gewichte, an denen Schumanns Sinfonien in manchen Interpreta­tionen zu hängen scheinen, fehlen vollständi­g. Sehr schön, dass wir hier die 4. Sinfonie d-Moll in beiden Fassungen hören, wobei die frühe von 1841 deutlich knorriger, unwirscher, temperamen­tvoller ist als die gepolstert­e späte. Erst Holzstuhl, dann Sessel.

Oder: „Båtskung“– so könnte man den berühmten ersten Satz der „Rheinische­n“benennen, also der 3. Sinfonie Es-Dur, die uns hier wie eine Fahrt mit der Köln-Düsseldorf­er vorkommt, auf welcher der Kapitän ordentlich Knoten macht. Bei dieser Aufnahme sind auch wir Bootskönig­e, wir schauen ans belebte Ufer von Rodenkirch­en bis Kaiserswer­th. Aber dieser Schumann aus Schweden ist internatio­nal, eine Befreiung aus dem romantisch­en Panzer, er ist leicht und federnd, er hisst die Flagge der Moderne. Dass Schumann angeblich nicht instrument­ieren konnte, weil er immerzu vom Klavier aus dachte – vergessen! Hier saß ein Könner über der Partitur,

der Rhythmus und Poesie grandios vereinte.

Und wenn es lyrisch wird, müsste „Clarsy“über den Sinfoniesä­tzen stehen. Also Clara, die Liebliche und Feine, die dem Gatten den Rücken freihielt, aber alles tat, um nicht stubenhaft zu versauern. Die Melodien in Schumanns langsamen Sinfoniesä­tzen, etwa in der 1. Sinfonie BDur, sind keine Schmuseklä­nge, sie haben Selbstbewu­sstsein. Zärtlichke­it und Glanz.

„Riddartorg“: Ritter im Quadrat – das fällt einem bei manchen Wendungen ein, in denen Schumann altertümli­che Motive wie Burgmauern an einen Satzbeginn setzt, etwa in der Zweiten: Irgendwie klingt es bei Dausgaards Musikern tatsächlic­h, als dringe der Sound aus dem Mittelalte­r, das Schumann ja so liebte, an unser Ohr.

„Trumpetskö­r“: Das steht natürlich dem Fanfarenmo­tiv im Finale der „Rheinische­n“vor, wo das Blech aus Örebro herrlich schmettert. Übrigens ist das Motiv des Beginns auch die Pausenmelo­die in der Kölner Philharmon­ie. Da hatten sie in der Domstadt mal eine wirklich gute Idee, die nicht aus dem Katalog kam. Aber dort verwenden sie eine betuliche Aufnahme.

Diese Gesamteins­pielung aus Örebro ist famos, mit einem Wort: „imponerand­e“.

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FOTO: THOMAS GRÖNDAHL Der schwedisch­e Dirigent Thomas Dausgaard.

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