Dauerzoff in der Ampelkoalition
Vom anfänglichen Aufbruch ist nur noch wenig übrig. Die Krisen hinterlassen Spuren.
Fortschrittskoalition nannte sich das erste Ampelbündnis auf Bundesebene noch vor gut einem Jahr. Damals hatte Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine noch nicht überfallen, die Ansprüche waren hoch, die Ziele ambitioniert. Heute ist Realismus eingekehrt in der Koalition von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Und immer häufiger treten Ermüdungserscheinungen einer Zweckgemeinschaft zutage, die keine Schonfrist hatte und mit historischen Krisen kämpft.
Zwar ist die Zeit der nächtlichen Mammut-Koalitionsausschüsse vorbei, die es zu Zeiten der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch gegeben hatte. Dieses Bündnis arbeite anders, heißt es dazu mit gewissem Stolz aus den drei AmpelParteien. Doch die Stimmung ist bisweilen kaum besser. Zentrale Projekte, deretwegen das Wort Fortschrittskoalition überhaupt erst hochtrabend ins Schaufenster gestellt worden war, bleiben im mühsamen Ringen der Ministerien stecken: Die Verkehrswende kommt nicht voran, bei der sich Grüne und FDP verhakt haben. Die Energiewende ist zentral für die Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, sorgt aber ebenfalls für Streit zwischen Grünen und FDP in Sachen Windkraft-Turbo und – ja, immer noch – Atomlaufzeiten. Auch in der Sozialpolitik stottert der angebliche Fortschrittsmotor von SPD, Grünen und FDP, weil die Antworten der Regierung auf die multiplen Krisen mehr Mittel binden und so weniger Geld für wichtige Projekte wie die Kindergrundsicherung bleiben könnte.
Die Mietrechtsreformen liegen im Justizministerium von Marco Buschmann (FDP), und bei SPD und Grünen hat man keine Lust auf die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) beworbene Aktienrente.
Als die FDP einst mit der Union regierte, fielen nach einem Jahr Begriffe wie „Gurkentruppe“und „Wildsau“. Davon scheint die Ampel zwar noch ein gutes Stück entfernt. Der öffentliche Schlagabtausch, den Scholz stets gern verhindern will, ist aber mittlerweile so etwas wie das Standardrepertoire geworden.