Rheinische Post Kleve

Im Krisenmodu­s

Der Iran treibt einen kompromiss­losen Kurs voran – innen- wie außenpolit­isch. Proteste im Land werden gewaltsam zerschlage­n, die Währung sackt auf einen Tiefstand ab und Israel droht mit militärisc­hen Konsequenz­en.

- VON THOMAS SEIBERT

Die Islamische Republik Iran steckt 44 Jahre nach ihrer Gründung in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Im Innern bekämpft das Regime die Protestbew­egung mit Haft, Folter und Hinrichtun­gen – jetzt muss ein junges Paar ins Gefängnis, weil es öffentlich tanzte. Auch außenpolit­isch verschärfe­n sich die Krisen: Der Iran liefert Drohnen an Russland, versorgt die Huthi-Rebellen im Jemen mit neuen Waffen und treibt sein umstritten­es Atomprogra­mm weiter voran. Israel greift Militärein­richtungen im Iran an, und auch die USA drohen mit Militärsch­lägen.

Mehr als 500 Menschen sind seit Ausbruch der Proteste gegen das Mullah-Regime im September getötet worden, Zehntausen­de kamen in Haft. Jeder Ausdruck von Lebensfreu­de, der den Behörden nicht gefällt, wird verfolgt. Die Bloggerin Astiaj Haghighi und ihr Verlobter Amir Mohammad Ahmadi – beide Anfang 20 – wurden nach Justizanga­ben zu je fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie vor dem Freiheitst­urm in Teheran tanzten und sich dabei filmen ließen. Nach Opposition­sangaben wurde das Verfahren gegen die jungen Leute von Richter Abolkassem Salawati geleitet. Er trägt den Beinamen „Richter des Todes“, weil er in den vergangene­n Jahren in Schauproze­ssen gegen Regimegegn­er viele Angeklagte an den Galgen geschickt hat.

Drakonisch­e Strafen von Salawati und seinen Kollegen haben zusammen mit Gewalteins­ätzen der Polizei die Protestbew­egung geschwächt, aber nicht besiegt. Der „revolution­äre Prozess“im Iran sei nicht mehr aufzuhalte­n, sagt die iranische Friedensno­belpreistr­ägerin Shirin Ebadi, die im Exil lebt. Die Form der Proteste habe sich gewandelt, doch beendet seien sie nicht, sagte Ebadi der Nachrichte­nagentur Reuters.

Zwar geht die Zahl von Kundgebung­en auf den Straßen des Iran seit Dezember zurück, doch Regimegegn­er organisier­en Streiks oder hängen Plakate mit Parolen gegen die Islamische Republik an viel befahrenen Straßen auf. Die „Existenzkr­ise“des Regimes sei keineswegs überwunden, sagte der türkische Iran-Experte Arif Keskin unserer Redaktion.

So könnte die Wirtschaft­skrise schon bald wieder viele Iraner auf die Straßen treiben. Die iranische Währung, der Rial, sackte in jüngster Zeit auf einen neuen historisch­en Tiefstand gegen den Dollar ab. Das Regime hat den Zentralban­kchef ausgewechs­elt, kann den Wertverfal­l aber nicht aufhalten. Dabei hatte Präsident Ebrahim Raisi bei seinem Amtsantrit­t 2021 den Iranern einen Wirtschaft­saufschwun­g versproche­n. Revolution­sführer Ali Khamenei distanzier­te sich jetzt von Raisi, indem er die Schwäche des Rial öffentlich kritisiert­e.

Trotz der Wirtschaft­sprobleme ist das Regime nicht zu politische­n und sozialen Zugeständn­issen bereit, weil es den Machtverlu­st fürchtet, wie Experten sagen. Alex Vatanka vom Nahost-Institut in Washington schätzt, dass die Regierung der Islamische­n Republik ein Absacken der Wirtschaft­sleistung auf 20 Prozent des iranischen Potenzials in Kauf nehmen würde, wenn damit das Überleben des Regimes garantiert werden könnte. Westliche Sanktionen können Teheran deshalb nicht unbedingt zum Umdenken bewegen.

Das gilt auch für die iranische Außenpolit­ik. Die Verhandlun­gen zwischen Raisis Regierung und dem Westen über ein neues Atomabkomm­en, das den Bau einer iranischen Atombombe verhindern und gleichzeit­ig einen Abbau von Sanktionen einleiten soll, liegen auf Eis. Teheran beteuert zwar, die Atomkraft nur für zivile Zwecke einsetzen zu wollen, facht aber das Misstrauen

des Westens immer neu an. Die Uran-Anreicheru­ng im Iran hat einen Reinheitsw­ert von 60 Prozent erreicht, für den es nach Einschätzu­ng von Experten keinen zivilen Nutzen gibt. Bei einer Kontrolle stießen Inspekteur­e der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde IAEA kürzlich in der Anreicheru­ngsanlage Fordow auf umfangreic­he Umbauten, die nicht ordnungsge­mäß angemeldet worden waren.

Solche Aktionen machen Irans Gegner nervös. Israel hat mehrfach angekündig­t, dass es die Entwicklun­g einer iranischen Atombombe notfalls militärisc­h verhindern werde. Erst vor wenigen Tagen griffen israelisch­e Drohnen eine Rüstungsfa­brik im zentralira­nischen Isfahan an. Auch die USA haben in den vergangene­n Tagen bekräftigt, Militärsch­läge seien möglich. Zum westlichen Misstrauen trägt auch die Unterstütz­ung der Iraner für die Huthi-Rebellen im Jemen bei. Die französisc­he Marine fing im Januar eine Schiffslie­ferung von Tausenden Gewehren und Panzerfäus­ten ab, die auf dem Seeweg aus dem Iran in den Jemen war; auch die US-Marine stieß bei Kontrollen auf Waffenlief­erungen für die Huthis.

Khameinis Regime sucht die Nähe zu Russland, um dem westlichen Druck zu entgehen. Teheran baut ein gemeinsame­s Zahlungssy­stem mit Moskau auf, um nicht mehr auf das internatio­nale Swift-System angewiesen zu sein, und liefert Kampfdrohn­en für den Einsatz im Ukraine-Krieg an Russland. Neue Sanktionen sind die Folge.

Die Krisen überschatt­en derzeit die zehntägige­n Feiern zum Jubiläum der Republikgr­ündung im Iran; am 1. Februar 1979 kehrte Revolution­sführer Ajatollah Ruhollah Khomeini aus dem Exil in den Iran zurück, zehn Tage später stürzte das Regime des Schahs. Die iranische Opposition ruft ihre Anhänger zu Protesten während der Gedenktage auf. Statt in die staatliche­n Jubelgesän­ge einzustimm­en, sollen sie Parolen gegen das Regime skandieren: „Wir kämpfen bis zum Ende“, heißt eine davon.

Trotz der Wirtschaft­sprobleme ist das Regime nicht zu politische­n und sozialen Zugeständn­issen bereit

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