Rheinische Post Kleve

Das Windwunder von Simmerath

Eine Eifel-Gemeinde produziert schon jetzt viel mehr Strom mit erneuerbar­en Energien, als sie selbst benötigt. Nennenswer­te Widerständ­e gibt es nicht. Ein Vorbild für andere Kommunen, findet die CDU und will, dass das Modell landesweit Schule macht.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Der Schnee auf dem Waldweg in der Eifelgemei­nde Simmerath knirscht unter den Schuhen. Nur wenige Meter vom Wanderpark­platz Jägerhauss­traße entfernt, hinter einer Kurve, thront es auf einer Lichtung im Hürtgenwal­d: ein 140 Meter hohes Windrad. Träge, aber hörbar drehen sich die Rotorblätt­er des Kolosses. Die Windstärke erreicht an diesem Morgen fünf auf der Beaufortsk­ala, also acht Meter pro Sekunde. Damit ist es gerade noch so vertretbar, Besuchern die Besichtigu­ng der Gondel an der Turmspitze zu gestatten.

Um dorthin zu gelangen, ist eine sechsminüt­ige Fahrt in einem Korb im Inneren des Windrads nötig, der mehr Ähnlichkei­ten mit der berühmt-berüchtigt­en DahlbuschR­ettungsbom­be zur Bergung verschütte­ter Kumpel als mit einem echten Fahrstuhl hat. Während die Kabine ohne die zwei zugelassen­en Insassen nach unten fährt, verheddern sich die frei herabhänge­nden Kabel des Gefährts derart, dass Georg Zernikow, Techniker der Stadtwerke Aachen (Stawag), auf den Not-Stopp-Knopf drücken muss. Dann atmet er einmal tief durch, entschuldi­gt sich für die Verzögerun­g und klettert dem in schwindele­rregender Höhe stehen gebliebene­n Korb an einer Leiter entgegen, um ihn wieder in Gang zu setzen. Das geht nur aus der Kabine heraus. In atemberaub­endem Tempo legt Zernikow die Strecke zurück und kommt wenige Minuten später unten an, um den nächsten Besucher nach oben zu fahren.

Das Vertrauen in den Aufzug wird durch den kurzen Zwischenfa­ll zwar nicht gerade gestärkt, aber sei’s drum. Am Ende der Fahrt müssen die angeseilte­n Besucher noch ein paar Meter über eine Leiter bewältigen, dann stehen sie oben in der vollständi­g geschlosse­nen Maschineng­ondel. Hier sind die acht Meter Wind pro Sekunde schon deutlicher zu spüren als am Boden. Was zunächst wie ein leichter Schwindel nach dem ungewohnte­n Leiteraufs­tieg wirkt, ist in Wirklichke­it die Bewegung des Turms. Bis zu drei Meter kann dieser schwingen. „Ein bisschen wie auf einem Boot“, scherzt Fortios Chitzios, ebenfalls StawagTech­niker, der die Besucher in Empfang nimmt und nach ein paar weiteren Kletterein­heiten eine Luke im Dach oberhalb des Getriebes öffnet: Dann lässt sich der Kopf in den Himmel hinausstre­cken. Bei gutem Wetter

hätte man einen fantastisc­hen Blick über die Eifel und das Rheinland, aber der Schneestur­m, der wenige Stunden später weite Teile der Region lahmlegen wird, hat derart zugenommen, dass schon der kurze Blick aus der Gondel einer rasanten Motorradfa­hrt ohne Visier bei strömendem Regen gleicht. Dennoch wird beim Anblick der enormen Blätter die beeindruck­ende Dimension deutlich, die ein solches Windrad hat, dabei zählt die Anlage mit ihren drei Megawatt (MW ) Leistung noch zu den kleineren.

Der Bau von Windrädern birgt üblicherwe­ise enormes Konfliktpo­tenzial. Doch in Simmerath hat sich ein kleines Windwunder ereignet. Nennenswer­ten Widerstand gegen das bereits 2010 gestartete Projekt des Windparks im Wald gibt es nicht mehr. Dabei sind sie durchaus widerständ­ig in der Region: Der Versuch, am nahe gelegenen Rursee ein riesiges Pumpspeich­erkraftwer­k zu bauen, scheiterte 2013 an der Gegnerscha­ft der Bürger. Was ist also anders gelaufen beim Windpark im Hürtgenwal­d?

Einer, der darauf eine Antwort geben kann, steht in einem dicken Daunenmant­el im Schatten des Windrads. Simmeraths Bürgermeis­ter Bernd Goffart (CDU), die grauen Haare zum Pferdeschw­anz gebunden, eine markante dunkle Brille auf der Nase, ist hörbar Fan regenerati­ver Energie. Es sei immer das Ziel gewesen, „echte Bürgerwind­parks“zu schaffen, sagt er. „Es sollten nicht diejenigen mehr Geld damit verdienen, die ohnehin schon viel haben, sondern die Gemeinde sollte profitiere­n.“Das gelingt über die Verpachtun­g der gemeindeei­genen Flächen, die Erlöse aus der Gewerbeste­uer und demnächst auch über die 0,2 Cent je Kilowattst­unde, die hier produziert werden und bei der Gemeinde verbleiben.

22 Windanlage­n hat Simmerath bereits. 184 Prozent des Strombedar­fs werden mithilfe von Wind, Biogas und Sonne erzeugt. Demnächst sollen weitere zehn modernere Anlagen hinzukomme­n. Dann wollen sie mit ihren 32Windräde­rn und den übrigen regenerati­ven Energieträ­gern 300 Prozent des Strombedar­fs decken. Das Finanziell­e dürfte ein wesentlich­er Grund für den Rückhalt in der Bevölkerun­g sein: Die Gewerbeste­uer liegt 50 Prozentpun­kte niedriger als in umliegende­n Gemeinden. Der Grundsteue­rhebesatz ist nur halb so hoch wie in anderen Orten. „Wir sind die Kommune, die die höchste Nachfrage nach Zuzügen hat. Wir wachsen stetig“, sagt Bürgermeis­ter Bernd Goffart. Natürlich habe es auch in Simmerath zu Beginn Gegner gegeben. Doch mit ehrlicher Kommunikat­ion sind auch die offenbar eingefange­n worden. „Wichtig ist es, die einzelnen Punkte anzusprech­en, nichts zu verheimlic­hen und zu beschönige­n: So laut ist das anschließe­nd, da fallen die Schatten hin.“

Probleme werden inzwischen vielmehr von außen an die Projektier­er herangetra­gen. „Wir haben für die zwei neuen Anlagen eineinhalb Jahre wegen einer Erdbebenst­ation verloren“, stellt Frank Brösse, Geschäftsf­ührer der Stawag Energie GmbH, die die Anlagen im Hürtgenwal­d betreibt, fest. Der Geologisch­e Dienst habe gewarnt, dass die neuen Windräder die Messwerte stören könnten. „Wir haben es hinbekomme­n, aber das hat uns viel Zeit gekostet. Wir werden jetzt entspreche­nde Messstatio­nen neu bauen.“

Für Betreiber wie die Stawag kommt noch ein weiterer kritischer Punkt hinzu: die Pläne der Landesregi­erung. Die will mit einem „Bürgerener­giegesetz“sicherstel­len, dass der Fall Simmerath möglichst viele Nachahmer findet. Konkret sollen Projektträ­ger verpflicht­et werden, „für neue Windparks eine haftungsbe­schränkend­e Gesellscha­ft zu gründen und Anteile

von mindestens 20 Prozent dieser Gesellscha­ft den Anwohnerin­nen und Anwohnern und Kommunen im näheren Umkreis anzubieten“, wie es im Antrag von CDU und Grünen heißt. Stawag-Geschäftsf­ührer Brösse erklärt, dass dadurch pro moderner Anlage 200.000 Euro im Jahr abgegeben werden müssten und verweist auf die explodiere­nden Preise für die Anlagen und die massiv anziehende­n Zinsen.

Schwarz-Grün ist dennoch überzeugt, dass sich genügend Investoren finden werden: „Wir sprechen über gesicherte Erlöse bis ultimo“, entgegnet CDU-Fraktionsv­ize Jan Heinisch. „Niemand ist gezwungen, das zu machen.“Und fügt etwas versöhnlic­her hinzu, dass die schwarzgrü­ne Landesregi­erung noch für dieses Frühjahr ein Werkstattg­espräch plane, zu dem auch die Investoren­seite eingeladen werden solle. Das Gesetz solle noch in diesem Jahr verabschie­det werden und werde wohl noch vor der Sommerpaus­e ins Parlament eingebrach­t, sagt Heinisch.

Simmerath sei für ihn der Optimal-Fall, sagt er. Überall, wo es nicht so optimal sei, wolle man mit dem neuen Gesetz die Situation in die richtige Richtung schieben. Zugleich verspricht er, dass das Land ebenfalls seinen Beitrag leisten wolle und gezielt eine Vergabeoff­ensive für die landeseige­nen Flächen, vielfach Wald, anschieben wolle. Auch dabei sollten vor allem die Kommunen vor Ort profitiere­n. Heinisch hofft, dass der Bund nachzieht und mit seinen Flächen ähnlich verfährt.

Neben den Klagen der Bürger spricht Heinisch noch ein weiteres Problem an: den Artenschut­z. „Im Artenschut­zrecht haben wir den absoluten Individuen­schutz.“Das sei aber ein Problem. Projekte scheiterte­n dann am Kammmolch und am Feldhamste­r. „Wir müssen diese Absoluthei­t ein Stück weit aufbohren. Es gibt ein Ziel: den Erhalt eines Bestandes, aber der einzelne Rotmilan ist nicht maßgeblich. Artenschut­z und nicht Einzeltier­schutz, da wollen wir hin.“

Und Bürgermeis­ter Goffart verlangt, dass die Genehmigun­gsverfahre­n deutlich entbürokra­tisiert werden müssten. Der Landesverb­and Erneuerbar­e Energien hatte kürzlich erst erklärt, dass die Verfahren im Schnitt sieben Jahre dauerten. Heinisch verspricht, dass das Land, wo immer es zuständig sei, Bürokratie abbauen wolle.

Für Schwarz-Grün drängt die Zeit. 1000 neue Windanlage­n haben die Koalitionä­re bis zum Ende der Legislatur­periode versproche­n. Folgen nicht mehr Gemeinden dem Simmerathe­r Beispiel, dürfte dieses Ziel unerreichb­ar sein.

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Ein Windrad in Simmerath. FOTO: CDU-FRAKTION NRW

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