Das Windwunder von Simmerath
Eine Eifel-Gemeinde produziert schon jetzt viel mehr Strom mit erneuerbaren Energien, als sie selbst benötigt. Nennenswerte Widerstände gibt es nicht. Ein Vorbild für andere Kommunen, findet die CDU und will, dass das Modell landesweit Schule macht.
Der Schnee auf dem Waldweg in der Eifelgemeinde Simmerath knirscht unter den Schuhen. Nur wenige Meter vom Wanderparkplatz Jägerhausstraße entfernt, hinter einer Kurve, thront es auf einer Lichtung im Hürtgenwald: ein 140 Meter hohes Windrad. Träge, aber hörbar drehen sich die Rotorblätter des Kolosses. Die Windstärke erreicht an diesem Morgen fünf auf der Beaufortskala, also acht Meter pro Sekunde. Damit ist es gerade noch so vertretbar, Besuchern die Besichtigung der Gondel an der Turmspitze zu gestatten.
Um dorthin zu gelangen, ist eine sechsminütige Fahrt in einem Korb im Inneren des Windrads nötig, der mehr Ähnlichkeiten mit der berühmt-berüchtigten DahlbuschRettungsbombe zur Bergung verschütteter Kumpel als mit einem echten Fahrstuhl hat. Während die Kabine ohne die zwei zugelassenen Insassen nach unten fährt, verheddern sich die frei herabhängenden Kabel des Gefährts derart, dass Georg Zernikow, Techniker der Stadtwerke Aachen (Stawag), auf den Not-Stopp-Knopf drücken muss. Dann atmet er einmal tief durch, entschuldigt sich für die Verzögerung und klettert dem in schwindelerregender Höhe stehen gebliebenen Korb an einer Leiter entgegen, um ihn wieder in Gang zu setzen. Das geht nur aus der Kabine heraus. In atemberaubendem Tempo legt Zernikow die Strecke zurück und kommt wenige Minuten später unten an, um den nächsten Besucher nach oben zu fahren.
Das Vertrauen in den Aufzug wird durch den kurzen Zwischenfall zwar nicht gerade gestärkt, aber sei’s drum. Am Ende der Fahrt müssen die angeseilten Besucher noch ein paar Meter über eine Leiter bewältigen, dann stehen sie oben in der vollständig geschlossenen Maschinengondel. Hier sind die acht Meter Wind pro Sekunde schon deutlicher zu spüren als am Boden. Was zunächst wie ein leichter Schwindel nach dem ungewohnten Leiteraufstieg wirkt, ist in Wirklichkeit die Bewegung des Turms. Bis zu drei Meter kann dieser schwingen. „Ein bisschen wie auf einem Boot“, scherzt Fortios Chitzios, ebenfalls StawagTechniker, der die Besucher in Empfang nimmt und nach ein paar weiteren Klettereinheiten eine Luke im Dach oberhalb des Getriebes öffnet: Dann lässt sich der Kopf in den Himmel hinausstrecken. Bei gutem Wetter
hätte man einen fantastischen Blick über die Eifel und das Rheinland, aber der Schneesturm, der wenige Stunden später weite Teile der Region lahmlegen wird, hat derart zugenommen, dass schon der kurze Blick aus der Gondel einer rasanten Motorradfahrt ohne Visier bei strömendem Regen gleicht. Dennoch wird beim Anblick der enormen Blätter die beeindruckende Dimension deutlich, die ein solches Windrad hat, dabei zählt die Anlage mit ihren drei Megawatt (MW ) Leistung noch zu den kleineren.
Der Bau von Windrädern birgt üblicherweise enormes Konfliktpotenzial. Doch in Simmerath hat sich ein kleines Windwunder ereignet. Nennenswerten Widerstand gegen das bereits 2010 gestartete Projekt des Windparks im Wald gibt es nicht mehr. Dabei sind sie durchaus widerständig in der Region: Der Versuch, am nahe gelegenen Rursee ein riesiges Pumpspeicherkraftwerk zu bauen, scheiterte 2013 an der Gegnerschaft der Bürger. Was ist also anders gelaufen beim Windpark im Hürtgenwald?
Einer, der darauf eine Antwort geben kann, steht in einem dicken Daunenmantel im Schatten des Windrads. Simmeraths Bürgermeister Bernd Goffart (CDU), die grauen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, eine markante dunkle Brille auf der Nase, ist hörbar Fan regenerativer Energie. Es sei immer das Ziel gewesen, „echte Bürgerwindparks“zu schaffen, sagt er. „Es sollten nicht diejenigen mehr Geld damit verdienen, die ohnehin schon viel haben, sondern die Gemeinde sollte profitieren.“Das gelingt über die Verpachtung der gemeindeeigenen Flächen, die Erlöse aus der Gewerbesteuer und demnächst auch über die 0,2 Cent je Kilowattstunde, die hier produziert werden und bei der Gemeinde verbleiben.
22 Windanlagen hat Simmerath bereits. 184 Prozent des Strombedarfs werden mithilfe von Wind, Biogas und Sonne erzeugt. Demnächst sollen weitere zehn modernere Anlagen hinzukommen. Dann wollen sie mit ihren 32Windrädern und den übrigen regenerativen Energieträgern 300 Prozent des Strombedarfs decken. Das Finanzielle dürfte ein wesentlicher Grund für den Rückhalt in der Bevölkerung sein: Die Gewerbesteuer liegt 50 Prozentpunkte niedriger als in umliegenden Gemeinden. Der Grundsteuerhebesatz ist nur halb so hoch wie in anderen Orten. „Wir sind die Kommune, die die höchste Nachfrage nach Zuzügen hat. Wir wachsen stetig“, sagt Bürgermeister Bernd Goffart. Natürlich habe es auch in Simmerath zu Beginn Gegner gegeben. Doch mit ehrlicher Kommunikation sind auch die offenbar eingefangen worden. „Wichtig ist es, die einzelnen Punkte anzusprechen, nichts zu verheimlichen und zu beschönigen: So laut ist das anschließend, da fallen die Schatten hin.“
Probleme werden inzwischen vielmehr von außen an die Projektierer herangetragen. „Wir haben für die zwei neuen Anlagen eineinhalb Jahre wegen einer Erdbebenstation verloren“, stellt Frank Brösse, Geschäftsführer der Stawag Energie GmbH, die die Anlagen im Hürtgenwald betreibt, fest. Der Geologische Dienst habe gewarnt, dass die neuen Windräder die Messwerte stören könnten. „Wir haben es hinbekommen, aber das hat uns viel Zeit gekostet. Wir werden jetzt entsprechende Messstationen neu bauen.“
Für Betreiber wie die Stawag kommt noch ein weiterer kritischer Punkt hinzu: die Pläne der Landesregierung. Die will mit einem „Bürgerenergiegesetz“sicherstellen, dass der Fall Simmerath möglichst viele Nachahmer findet. Konkret sollen Projektträger verpflichtet werden, „für neue Windparks eine haftungsbeschränkende Gesellschaft zu gründen und Anteile
von mindestens 20 Prozent dieser Gesellschaft den Anwohnerinnen und Anwohnern und Kommunen im näheren Umkreis anzubieten“, wie es im Antrag von CDU und Grünen heißt. Stawag-Geschäftsführer Brösse erklärt, dass dadurch pro moderner Anlage 200.000 Euro im Jahr abgegeben werden müssten und verweist auf die explodierenden Preise für die Anlagen und die massiv anziehenden Zinsen.
Schwarz-Grün ist dennoch überzeugt, dass sich genügend Investoren finden werden: „Wir sprechen über gesicherte Erlöse bis ultimo“, entgegnet CDU-Fraktionsvize Jan Heinisch. „Niemand ist gezwungen, das zu machen.“Und fügt etwas versöhnlicher hinzu, dass die schwarzgrüne Landesregierung noch für dieses Frühjahr ein Werkstattgespräch plane, zu dem auch die Investorenseite eingeladen werden solle. Das Gesetz solle noch in diesem Jahr verabschiedet werden und werde wohl noch vor der Sommerpause ins Parlament eingebracht, sagt Heinisch.
Simmerath sei für ihn der Optimal-Fall, sagt er. Überall, wo es nicht so optimal sei, wolle man mit dem neuen Gesetz die Situation in die richtige Richtung schieben. Zugleich verspricht er, dass das Land ebenfalls seinen Beitrag leisten wolle und gezielt eine Vergabeoffensive für die landeseigenen Flächen, vielfach Wald, anschieben wolle. Auch dabei sollten vor allem die Kommunen vor Ort profitieren. Heinisch hofft, dass der Bund nachzieht und mit seinen Flächen ähnlich verfährt.
Neben den Klagen der Bürger spricht Heinisch noch ein weiteres Problem an: den Artenschutz. „Im Artenschutzrecht haben wir den absoluten Individuenschutz.“Das sei aber ein Problem. Projekte scheiterten dann am Kammmolch und am Feldhamster. „Wir müssen diese Absolutheit ein Stück weit aufbohren. Es gibt ein Ziel: den Erhalt eines Bestandes, aber der einzelne Rotmilan ist nicht maßgeblich. Artenschutz und nicht Einzeltierschutz, da wollen wir hin.“
Und Bürgermeister Goffart verlangt, dass die Genehmigungsverfahren deutlich entbürokratisiert werden müssten. Der Landesverband Erneuerbare Energien hatte kürzlich erst erklärt, dass die Verfahren im Schnitt sieben Jahre dauerten. Heinisch verspricht, dass das Land, wo immer es zuständig sei, Bürokratie abbauen wolle.
Für Schwarz-Grün drängt die Zeit. 1000 neue Windanlagen haben die Koalitionäre bis zum Ende der Legislaturperiode versprochen. Folgen nicht mehr Gemeinden dem Simmerather Beispiel, dürfte dieses Ziel unerreichbar sein.