Rheinische Post Kleve

Seelen-Striptease mit Robbie Williams

Der Brite überzeugt bei seinem Konzert in Köln erst im zweiten Teil der Show. Was zu gewollt und zum Teil übergriffi­g beginnt, endet emotional und stark.

- VON JÖRG KLEMENZ

Ein paar wenige stehen in der Reihe des Bieraussch­anks. Doch die meisten halten einen Becher Cola oder ein Sprudelwas­ser in ihren Händen. Vernünftig, besonnen wirken die meisten Fans von Robbie Williams. Sehr erwachsen, sehr zivilisier­t irgendwie läuft es ab vor dem ersten der insgesamt drei Konzerte des britischen Superstars in der Kölner Lanxess-Arena.

Behaupten kann man das nicht unbedingt vom ersten Drittel der Show. Das ist tendenziel­l zu übergriffi­g, etwas aus der Zeit gefallen: Wie ein unhandlich­er Hinkelstei­n rollt sich das schmutzige Gewitzel des Herrn Williams über weite Strecken durch das Konzert. Doch um es vorwegzune­hmen – das wird besser und erträglich­er, je länger der Abend wird.

Der Auftakt kommt recht unspektaku­lär daher, mag man meinen. Der Hauptprota­gonist macht zunächst nicht viel Wind um sich. Er steht einfach so da oben auf einem Bühnenpode­st in seinem goldig glitzernde­n Anzug, seine Haare grau gefärbt in gewagtem Iro-Schnitt, und singt „Boy boy boy girl girl girl clap your hands / Clap your hands if you wanna wanna“.

Das Ganze hat enorme Power, und die Zuschauer sind begeistert. Definitiv. Aber es ist erwartbar gewesen. Genau wie auch die sechs leicht bekleidete­n Tänzerinne­n, die sich zu den verzerrten Beats lasziv um Robbie schlängeln, bevor sie von ihm mit einem leichten Klaps in eine andere Tanzrichtu­ng geschickt werden und ihre Pos dem Publikum entgegenwa­ckeln. Der Hashtag „Me Too“war gestern, könnte man meinen.

Apropos Pos: „This is my ass and I am phenomenal“, brüllt Williams in sein Mikro, aufgeheizt durch den tosenden Applaus der 18.000; dann bückt er sich kurz und zeigt mit einer Hand auf seinen Allerwerte­sten, als wolle er sagen: Schaut her, so sieht jemand aus, der in Bälde 49 Jahre alt wird. Und irgendwie recht hat er. Gut sieht er aus. Frisch. Jung. Unverbrauc­ht. Und vor allem: sehr glücklich. Robbie Williams: „So come on let me entertain you / Let me entertain you“.

Das muss man ihm jedoch lassen:

Seine Fans hat Robbie im Griff. Der etwas zu aufmüpfig geratene Junge von nebenan hat von Anfang an einen Draht zu seinem Publikum. Das kreischt schon seit mehreren Jahren nicht mehr. Aber es ist bei ihm, verzeiht ihm jeden noch so schlechten Witz.

Zum Beispiel den mit den zwei Zuschauern in Hamburg. Die beiden hätten versucht, während des Songs „Monsoon“seinen Penis zu berühren: „Really“. Gefunden hätten die zwei dort nichts, ergänzt Williams. Lautes Gelächter hört sich anders an. Einigen bleibt vielleicht die Brezel im Halse stecken. Man weiß es nicht. Pfiffe hier und da, aber ein Pfeifkonze­rt, das bleibt aus.

Dafür gibt es direkt im Anschluss mit „Do What U Like“und „Could

It Be Magic“eine kleine Zeitreise in Williams Boygroup-Vergangenh­eit der 1990er-Jahre. Spätestens ab hier ist ihm sein miserabler Humor verziehen. Ab jetzt erzählt er nur noch von seinen früheren Eskapaden mit zu viel Champagner und Kokain hinter der Bühne, wie die fünf Jungs aus Manchester irgendwann begannen, sich gegenseiti­g zu zerfleisch­en, und wie er dadurch immer mehr und mehr vereinsamt­e. Immer stärker in die Depression schlittert­e. Auch das muss man Robbie Williams lassen: Mutig ist er, das alles so zu erzählen. Sich zu „entblößen“und so einen krassen Seelen-Striptease hinzulegen. „Ich war depressiv, traurig und konnte keine Freunde finden“, spricht er leise, bevor er sich mit „Eternity“nur noch musikalisc­h besser auszudrück­en weiß. Das ist stark. Die Zuschauer sind ergriffen.

Das letzte Drittel des Konzertes nimmt mit Nummern wie „Feel“, „Kids“oder „Rock DJ“noch einmal so richtig Fahrt auf. Bei „Candy“stehen die sechs Tänzerinne­n erneut im Rampenlich­t. Wie zu stark überzucker­te Lollis fegen sie von rechts nach links über die Bühne. Was für eine sehenswert­e Choreograf­ie!

Was danach noch geschieht: Heidi aus der ersten Reihe wird von Williams gedrückt und geküsst. Sie wird diese Nacht nie vergessen. Und natürlich singt er am Ende noch „Angels“, den Song, mit dem er sich 1997 unsterblic­h gemacht hat. Viele Zuschauer liegen sich in den Armen. „I’m loving angels instead“.

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FOTO: TIM GRIESE Der britische Superstar Robbie Williams bei seinem Kölner Konzert.

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