Kriminalpolizei ermittelt nach Brand in Altenheim
Das Feuer in der Pflegeeinrichtung „Haus Simon“in Bedburg-Hau, bei dem vier Menschen starben, erschüttert die Region. In dem Haus spielten sich in den frühen Morgenstunden dramatische Szenen ab. Die Bewohner kamen in Kleve und Goch unter.
Seit 30 Jahren ist Michael Hendricks für die Freiwillige Feuerwehr in Bedburg-Hau tätig. Einen Einsatz wie den am Montagmorgen am Altenheim Haus Simon in Qualburg hat er bislang aber auch noch nicht erlebt. „Alle stehen unter Schock“, sagte Hendricks. Die Löschmaßnahmen seien eine große Herausforderung gewesen. Und viele Uniformierte hätten mit ihren Emotionen gekämpft. „Das ist eine hochdramatische Situation, die an keinem spurlos vorbeigeht – auch nicht an uns Einsatzkräften“, sagte Hendricks. „Ein solches Ausmaß habe ich noch nie erlebt. Das gilt für viele Kameraden.“
Bei dem Feuer an der Kalkarer Straße, das gegen 3.50 Uhr ausgebrochen war, kamen vier Bewohner ums Leben, zwei Frauen im Alter von 50 und 74 Jahren sowie zwei 66 Jahre alte Männer. Außerdem wurden 24 Menschen verletzt. Polizei und Staatsanwaltschaft haben Ermittlungen aufgenommen. Klar ist wohl, dass die Flammen im Zimmer eines Bewohners ihren Ursprung hatten und dann auf weitere Räume übergriffen. Die Klever Staatsanwaltschaft teilte mit, dass Brandsachverständige hinzugezogen worden seien und dass sich die Ermittlungen gegen einen 71-jährigen Bewohner der Residenz richten, der verdächtigt wird, den Brand fahrlässig verursacht zu haben. Der Mann wurde am Montag verhört.
Als die ersten Feuerwehrleute am Einsatzort eintrafen, schlugen im hinteren Bereich schon Flammen aus den Fenstern. Bewohner standen panisch an den Fenstern und klopften. Die Einsatzkräfte mussten die Scheiben einschlagen, um den Bewohnern zu helfen, wie Stephan Derks, Sprecher des Kreisfeuerwehrverbands Kleve, erklärte. Zunächst waren Feuerwehrleute aus BedburgHau vor Ort. „Sie mussten sich erst einmal einen Überblick verschaffen und hatten gleich alle Hände voll zu tun“, sagte Derks. Gegen 5.13 Uhr wurde ein sogenannter MANV ausgelöst, ein Einsatz mit einem Massenanfall an Verletzten. Kräfte aus den umliegenden Kommunen kamen hinzu. Der Verkehr an der B57 wurde bis in den Mittag hinein großräumig umgeleitet.
Von den insgesamt 71 Bewohnern, die zum Zeitpunkt des Feuers vor Ort waren, leiden viele an psychiatrischen Erkrankungen. Einsatzkräfte berichteten, dass die Menschen teils kaum verstanden hätten, was um sie herum geschah. Bis in den Vormittag hinein saßen viele Bewohner im unbeschädigten Teil des Gebäudes, in einer Cafeteria wurden sie mit Kaffee und Kuchen versorgt. Lange war fraglich, ob die Bewohner in der Einrichtung bleiben könnten. Später aber entschied die Feuerwehr, das Haus aufgrund
eines Defekts der Brandschutzanlage in Folge des Feuers für unbewohnbar zu erklären.
Techniker konnten die Anlage in der Folge reparieren. Es blieb aber bei der Entscheidung, die Bewohner zu evakuieren – zumal es an vielen Stellen im Haus Brandrückstände gibt. „Wir rücken von der Entscheidung nicht mehr ab“, sagte Derks.
Das Haus Simon gehört zur 2019 gegründeten Gruppe „newcare“, die bundesweit 36 Einrichtungen betreibt und rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt. Weitere Häuser in der Region gibt es in Kleve und in Till-Moyland. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärte Geschäftsführer Markus Mitzenheim: „Wir sind zutiefst erschüttert, unsere Gedanken sind in dieser schwierigen Zeit bei den Familien und Angehörigen der Verstorbenen, aber auch bei den Verletzten. Unsere oberste Priorität liegt nun darin, den Betroffenen in jeder erdenklichen Weise beizustehen und sie bestmöglich zu unterstützen.“Man sei Mitarbeitenden (viele opferten ihren freien Tag, um mit anzupacken), Rettungskräften,
Feuerwehrleuten und Seelsorgern dankbar.
Das Unternehmen mit Sitz in Essen teilt weiter mit, dass die Brandmeldesysteme in der Einrichtung sofort angeschlagen hätten. Die Brandschutzmaßnahmen würden regelmäßig überprüft und entsprächen den geltenden Sicherheitsstandards. Weiter heißt es: „Newcare kooperiert eng mit Polizei und Feuerwehr, um den tragischen Vorfall aufzuarbeiten und die genaue Brandursache zu ermitteln.“
NRW-Innenminister Herbert Reul machte sich ein Bild der Lage und bedankte sich bei Feuerwehrleuten, Rettungskräften und Polizisten für ihren Einsatz. Auch Landrat Christoph Gerwers war vor Ort, er sagte: „Unsere Gedanken sind insbesondere bei den Angehörigen der Verstorbenen und bei den Schwerverletzten. Ich wünsche Ihnen viel Kraft in dieser schwierigen Zeit.“Bedburg-Haus Bürgermeister Stephan Reinders sprach von einer Tragödie. Er sei in dieser dunklen Stunde aber auch stolz auf die Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr, die Abläufe hätten
funktioniert: „Es wurden ganz viele der Personen im Heim gerettet.“
Die Bewohner sind übergangsweise bei Clivia im früheren Hotel Cleve untergekommen, zudem im neuen Altenheim der WH-Care am Gocher Neubaugebiet „Neu-SeeLand“. Christian Nitsch, Geschäftsführer von Clivia, erklärt, dass er sich bereits in den Morgenstunden mit der Leitstelle in Verbindung gesetzt und Bettenkapazitäten angeboten habe. Zehn Menschen kamen am Montag, weitere sollen in den nächsten Tagen aus den Krankenhäusern kommen. „Natürlich ist das eine Stresssituation – aber wir bekommen sie gestemmt.“In Räumlichkeiten, in denen früher Beatmungspatienten gelegen hätten und die umfunktioniert werden sollen, kamen nun die Menschen aus Qualburg unter. „Das sind top ausgerüstete Räume, ein Glücksfall“, sagt Nitsch. Die Mitarbeiter von newcare sind nun ebenfalls dort tätig, um die Menschen zu betreuen. So soll ihnen auch ein Gefühl von Normalität vermittelt werden, so Nitsch. Und es sei wichtig, dass
die Bewohner in nur zwei Einrichtungen gebracht worden seien und nicht über zig verstreut: „So bleiben sie bei ihren Bekannten.“
42 Bewohner kamen in Goch unter, in zwei „Evakuierungs“-Bussen der Niag wurden sie in Richtung Ostring gefahren. Einrichtungsleiterin Jessica Schrinner sagt: „Die Ankunft ist einigermaßen gut verlaufen, aber es war natürlich für alle Beteiligten ein stressiger Tag.“Erst seit knapp einem Jahr ist das Altenheim in Betrieb. „Und wir hatten noch freie Kapazitäten – in dieser Situation ein großes Glück“, sagt Schrinner. Man habe die Menschen mit offenen Armen empfangen. Gewissermaßen gebe es bei WH-Care in Goch nun zwei Einrichtungen in einer: Die Kollegen aus Qualburg arbeiten mit ihren Bewohnern, Dienstplänen und Produkten, die Gocher bleiben ebenfalls in ihren Abläufen. „Aber wir ergänzen uns natürlich“, sagt Schrinner. Tatsächlich hatten die Mitarbeiterinnen aus Qualburg viele Utensilien, darunter Gehhilfen, Rollatoren und Medikamente, gleich in die Busse und in einen Lkw
der Feuerwehr geladen, um sie mitzunehmen.
Bei der Kreisverwaltung ist Andrea Schwan, Fachbereichsleiterin Heimaufsicht, im Einsatz, um die Unterbringung der Bewohner unmittelbar oder nach dem ambulanten Krankenhausaufenthalt zu koordinieren. Die Zusammenarbeit mit dem Träger „newcare“sei kooperativ, hieß es vom Kreis. Die Heimaufsicht, die die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften in Pflegeeinrichtungen überwacht, hatte das Haus Simon am 29. November im Rahmen einer Pflege-Kontrolle geprüft. Dabei seien keine Mängel festgestellt worden, teilte der Kreis mit. Lediglich bei der ausreichenden Personalausstattung und der Fachkraftquote habe es „geringfügige Mängel“gegeben. Insgesamt soll es nach Angaben des Kreises um 79 Personen gehen, die untergebracht werden müssen. „Wir werden nach Kräften helfen, die Situation für die Betroffenen sowie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so schnell wie möglich zu normalisieren“, sagte Landrat Gerwers.