Frau Yilmaz bleibt dem Traumjob treu
Die 41-Jährige wurde in Duisburg von Fahrgästen bereits beleidigt, bespuckt und geschlagen. Kein Einzelfall: Immer häufiger wird Fahrpersonal bei Bus und Bahn angegriffen. Unterwegs mit einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt.
Ein Mittwochabend im Sommer 2023, der Zeiger steht auf kurz nach 21 Uhr. Maide Yilmaz ist mit ihrem Bus im Duisburger Stadtgebiet unterwegs, sie hat an diesem Tag Dienst. So weit alles normal. Hinten im Fahrgastraum sitzt ein Jugendlicher mit einer BluetoothBox. Yilmaz bittet ihn, die Musik leiser zu drehen – sie und andere Fahrgäste fühlen sich gestört. Doch dem Jugendlichen ist das egal, die Situation eskaliert.
Am 10. August wird Maide Yilmaz‘ Traum vom Busfahren zum Albtraum. An diesem Tag kommt sie nicht von der Arbeit nach Hause. Sondern wacht im Krankenhaus auf.
Ein Donnerstagvormittag, auf dem Betriebshof der Duisburger Verkehrsbetriebe (DVG), ein halbes Jahr später. Für Bus- und Bahnfahrer keine leichte Zeit, Streiks stehen vor der Tür – Ärger der Fahrgäste ist programmiert. Die Wolken sind grau, vom Himmel nieselt ein leichter Regen herab. Auf dem Gelände in der Nahe des Hafens ist einiges los, im Minutentakt fahren die Busse hier ab. Mittendrin: Maide Yilmaz, die noch eben vorm Fahrdienstleistergebäude eine Zigarette raucht. Gleich geht es für sie los – vom Betriebshof bis in den Süden der Stadt. Und sie möchte erzählen, vom Alltag einer Busfahrerin. Wo ginge das besser als bei einer Fahrt in Duisburg, auf der Linie 934?
„Es war schon immer mein Traum, Busfahrerin zu sein“, sagt Yilmaz. Die 41-Jährige blickt auf ein bewegtes, nicht immer einfaches Leben zurück. Geboren wird die Frau mit türkischen Wurzeln in den Niederlanden, in Amsterdam wächst sie auf. 1998 führt es sie nach Deutschland, genauer gesagt nach Duisburg. Es ist die Liebe, wegen der sie an den Rhein zieht. Die Liebe zu einem Mann, der sie nicht gut behandelt. Der ihr nicht erlaubt, das Stadtviertel zu verlassen, in dem sie wohnen. „Als ich verheiratet war, durfte ich nichts“, sagt sie heute.
Bis 2015 geht das so weiter, dann folgt die Scheidung. Maide Yilmaz muss nun alleine für sich und ihre zwei Töchter sorgen – und das gelingt ihr auch. „Ich habe jahrelang in einem Frauenfitnessstudio gearbeitet“, sagt Yilmaz. Auch in Supermärkten und Restaurants verdient sie ihr Geld. Ihren eigentlichen Traum, Busfahrerin zu werden, verliert sie jedoch nie aus den Augen.
„Eines Tages stand ich in einem Büro im Jobcenter, es ging um Weiterbildungen“, sagt die 41-Jährige. Dort, an einer Pinnwand, entdeckt sie eine Broschüre der DVG. Also macht sie ihren Busführerschein. Zunächst arbeitet sie als Fahrerin für Subunternehmen in Duisburg, seit 2022 ist sie offiziell bei der städtischen Verkehrsgesellschaft angestellt. „Ich fahre sehr gerne Auto, wieso also nicht auch Bus?“, sagt Yilmaz. Sie folgt ihrem Traum.
Spätestens an jenem Sommertag im August 2023 gerät ihr Traum ins Wanken. Der 17-Jährige, den sie bittet, die Musik leiser zu drehen, bespuckt sie. Schlägt zu, mehrfach. Fahrgäste kommen zur Hilfe, halten den Jugendlichen fest. Maide Yilmaz liegt am Boden – wie sie wieder hochkommt, daran erinnert sie sich heute nicht mehr. Mit dem Rettungswagen wird sie in ein Krankenhaus gefahren, sie muss mehrere Tage zur Beobachtung bleiben. Der Angriff hinterlässt Spuren. Überall auf ihrem Körper sind blaue Flecken. Doch der Angriff verändert sie auch innerlich. Die Erinnerung daran schmerzt bis heute.
„Ich habe eigentlich keine Angst“, sagt Yilmaz. „Ich versuche, mutig zu sein, nicht darüber nachzudenken, was passieren kann.“Doch dass oft Respekt fehlt, ist nicht wegzureden. Genau wie die Verrohung, die brutale Gewalt. Denn es ist nicht der erste Vorfall für Maide Yilmaz. Mal sind es Beleidigungen, ein anderes Mal steigt ein Fahrgast vorne im Bus ein und und bespuckt sie aus dem Nichts. DVG-Sprecherin Kathrin Naß bestätigt eine Häufung der Vorkommnisse in der Stadt. „Der ganz große Teil unserer Fahrgäste ist freundlich und respektvoll“, sagt Naß. Doch der kleinere Teil, der aggressiv auftritt, Busfahrer verbal und körperlich angreift – er werde größer. Dieses Phänomen sei auch in anderen Städten zu beobachten, nicht nur Duisburg.
Häufig sind es Männer, sehr oft sind es Jugendliche. „Es wird schlimmer“, sagt die Sprecherin. Mittlerweile werden in Zusammenarbeit mit der Polizei Deeskalationstrainings durchgeführt. Für Betroffene gibt es einen psychologischen Dienst, den sie in Anspruch nehmen können. Doch all das ändert nichts am Verhalten der Täter. Allein 70 Fälle von Pöbeleien und Beleidigungen gab es nach Angaben der DVG im vergangenen Jahr – ein trauriger Rekord.
Maide Yilmaz erinnert sich an einen weiteren Vorfall. Das war auf der Linie 926, an einem dunklen, nasskalten Herbstabend. Die Busfahrerin macht gerade Pause, als es an die Tür klopft. Dort steht ein junger Mann ohne Jacke. Sie lässt ihn einsteigen. Dann will sie losfahren, doch der Jugendliche – „ein komischer Typ“, wie Yilmaz sagt – will ihr Handy haben, angeblich um seine Mutter anrufen. Yilmaz ist skeptisch, versteckt ihr Telefon unauffällig. Daraufhin schlägt der junge Mann zu. „Ich war am Zittern, meine Finger und mein Kopf taten so weh“, sagt Yilmaz. Sie weiß sich nicht mehr zu helfen, die Gefahr ist groß. „Also habe ich angefangen, laut zu schreien.“Ein Anwohner hört sie, kommt ihr zur Hilfe gerannt. Der Täter flüchtet.
„Ich bin die erste und einzige Busfahrerin in meiner Familie“, sagt Yilmaz. „Mein Blick ist immer freundlich.“Sie möchte stark sein, ihren Töchtern ein Vorbild. „Die sind wahnsinnig stolz auf mich.“Doch solche Ereignisse nagen an einem Menschen. „Manchmal habe ich Angst, insbesondere abends, dass an einer Haltestelle wieder einer der Täter wartet. Auf mich wartet.“Und auch um ihre Töchter sorgt sie sich, schließlich benutzten sie täglich den öffentlichen Nahverkehr.
Umsichtig, freundlich, zuvorkommend – so wirkt Maide Yilmaz während der Busfahrt. Steigt etwa eine ältere Dame mit Gehstock ein, wartet Yilmaz, bis sie sitzt. Erst dann fährt sie los. Mit einem Lächeln im Gesicht begrüßt sie jeden Fahrgast, oftmals schaut sie dann in ein strahlendes Gesicht.
Einige Stunden später führt die Route zurück zum Betriebshof Unkelstein, dem heutigen Ausgangspunkt. Es ist Pausenzeit für Maide Yilmaz. Bevor sie sich verabschiedet, möchte sie noch eines loswerden: Das Busfahren bereitet ihr weiterhin Freude. „Ich sehe das mehr als Hobby“, sagt sie. Aber auch: „Im Bus bin ich die Chefin.“Das muss klar sein.