Der Taktgeber ist zurück
998 Tage nach seinem letzten Länderspiel gab Toni Kroos in Frankreich sein Comeback für die deutsche Nationalmannschaft. Nach 89 Minuten im DFB-Dress lässt sich sagen: Der Weltmeister von 2014 dirigiert und lenkt das Spiel. Er gibt dem Team Sicherheit.
Fünf Sekunden. Mehr benötigte Toni Kroos am Samstagabend in Lyon nicht, um zu beweisen, was er der deutschen Nationalmannschaft mit 34 Jahren noch immer geben kann. Gleich der erste Ball nach deutschem Anstoß ging an Kroos. Ein kurzer Blick, ein hoher Pass – und schon war der eingelaufene Florian Wirtz zwischen den Ketten der französischen Gastgeber freigespielt. Der Leverkusener Youngster verarbeitete das Kroos-Anspiel und schloss diese einstudierte Variante sehenswert zum 1:0 ab.
„Die Standardtrainer hatten ja jetzt vier Monate Zeit, sich so etwas einfallen zu lassen. Das war, kann man sagen, also in der Tat geplant“, scherzte Kroos nach dem Spiel über die frühe deutsche Führung. Es war sein 17. Assist im 107. Länderspiel, 998 Tage, nachdem er im Anschluss an das Ausscheiden im Achtelfinale der EM 2021 seine Karriere bei der Nationalmannschaft für beendet erklärt hatte.
Nach diesem sofort sehr erfolgreichen ersten Ballkontakt sollte der 34-Jährige im Länderspiel gegen Frankreich noch 142 weitere sammeln. Kein anderer Spieler auf dem Platz hatte am Samstagabend auch nur ansatzweise so häufig den Ball wie Toni Kroos. Der Weltmeister von 2014 war sofort wieder Denker und Lenker im Spiel der deutschen Mannschaft.
Was Bundestrainer Julian Nagelsmann mit dem Comebacker im
EM-Jahr plant, wurde beim starken 2:0-Erfolg über Vizeweltmeister Frankreich schon deutlich. Kroos soll das Tempo im Spiel bestimmen und den Takt vorgeben. Lässt das Team den Gegner laufen und zieht ihn durch eigene Passstafetten breit oder kommt ein Ball in die Tiefe? Braucht es eine Seitenverlagerung oder einen Rückpass zum Torwart? All das gibt der Mittelfeldspieler von Real Madrid vor.
Im ersten Länderspiel des Jahres gegen Frankreich ließ sich Kroos dafür im deutschen Aufbauspiel in die Abwehrkette zu Antonio Rüdiger und Jonathan Tah fallen – meistens auf die linke Seite, auf der dann DFB-Debütant Maximilian Mittelstädt ein Stück nach vorne schieben konnte. Von dort leitete Kroos das Spiel im Stile eines Quarterbacks und gab mit seinen 128 Pässen (von denen 121 an den Mann kamen) den Takt vor. Fast jeder seiner Bälle war richtig gewählt. So bestimmte er das gesamte Spiel über den Rhythmus. Der DFB hat sein Metronom zurück.
Bei den katastrophalen Auftritten im November 2023 gegen die Türkei und Österreich hatte die Nationalmannschaft große Probleme, das gegnerische Pressing zu brechen – und es im besten Fall erfolgreich zu überspielen. Frankreich lief am Samstagabend zwar auch hoch und intensiv an, mit dem abkippenden Kroos und einem Robert Andrich, der mit seiner Physis und Intensität als kongenialer Partner den Raum zentral vor der Abwehr geschlossen hat, konnte die DFB-Elf das französische Pressing insbesondere in den ersten 20 Minuten jedoch sehr gut aushebeln.
Auch gegen den Ball war Kroos enorm engagiert, acht Zweikämpfe bestritt der 34-Jährige, setzte unter anderem im zweiten Durchgang gegen Aurélien Tchouaméni, seinen Teamkollegen von Real Madrid, eine wichtige Grätsche an und unterband damit einen Konter des Vizeweltmeisters.
Kroos zeigte in den 89 Minuten, die er bis zu seiner Auswechslung auf dem Platz stand, aber nicht nur mit und gegen den Ball, dass sein Comeback mit Blick auf die HeimEM enorm wichtig werden könnte. Er ging mit seiner Erfahrung und seinem Standing voran und impfte der zuvor so verunsicherten deutschen Nationalmannschaft ein längst vergessenes Selbstverständnis ein. Kroos dirigierte auch abseits des Balls mit Gesten und Handbewegungen, gab Kommandos und trat immer wieder in Kontakt mit Schiedsrichter Jesus Gil Manzano, den er bestens aus der spanischen Liga kennt.
In dieser Form ist das Comeback von Toni Kroos ein unglaublich großer Gewinn für Bundestrainer Julian Nagelsmann und seine neu zusammengesetzte Nationalmannschaft, die in den nächsten drei Testspielen gegen die Niederlande, die Ukraine und Griechenland zusammenwachsen muss, damit es eine erfolgreiche Heim-EM werden kann. Kroos kann dabei ein wichtiger Baustein werden. Das haben nicht nur die ersten fünf Sekunden gegen Frankreich bewiesen.