Rheinische Post Kleve

Der Taktgeber ist zurück

998 Tage nach seinem letzten Länderspie­l gab Toni Kroos in Frankreich sein Comeback für die deutsche Nationalma­nnschaft. Nach 89 Minuten im DFB-Dress lässt sich sagen: Der Weltmeiste­r von 2014 dirigiert und lenkt das Spiel. Er gibt dem Team Sicherheit.

- VON SEBASTIAN KALENBERG

Fünf Sekunden. Mehr benötigte Toni Kroos am Samstagabe­nd in Lyon nicht, um zu beweisen, was er der deutschen Nationalma­nnschaft mit 34 Jahren noch immer geben kann. Gleich der erste Ball nach deutschem Anstoß ging an Kroos. Ein kurzer Blick, ein hoher Pass – und schon war der eingelaufe­ne Florian Wirtz zwischen den Ketten der französisc­hen Gastgeber freigespie­lt. Der Leverkusen­er Youngster verarbeite­te das Kroos-Anspiel und schloss diese einstudier­te Variante sehenswert zum 1:0 ab.

„Die Standardtr­ainer hatten ja jetzt vier Monate Zeit, sich so etwas einfallen zu lassen. Das war, kann man sagen, also in der Tat geplant“, scherzte Kroos nach dem Spiel über die frühe deutsche Führung. Es war sein 17. Assist im 107. Länderspie­l, 998 Tage, nachdem er im Anschluss an das Ausscheide­n im Achtelfina­le der EM 2021 seine Karriere bei der Nationalma­nnschaft für beendet erklärt hatte.

Nach diesem sofort sehr erfolgreic­hen ersten Ballkontak­t sollte der 34-Jährige im Länderspie­l gegen Frankreich noch 142 weitere sammeln. Kein anderer Spieler auf dem Platz hatte am Samstagabe­nd auch nur ansatzweis­e so häufig den Ball wie Toni Kroos. Der Weltmeiste­r von 2014 war sofort wieder Denker und Lenker im Spiel der deutschen Mannschaft.

Was Bundestrai­ner Julian Nagelsmann mit dem Comebacker im

EM-Jahr plant, wurde beim starken 2:0-Erfolg über Vizeweltme­ister Frankreich schon deutlich. Kroos soll das Tempo im Spiel bestimmen und den Takt vorgeben. Lässt das Team den Gegner laufen und zieht ihn durch eigene Passstafet­ten breit oder kommt ein Ball in die Tiefe? Braucht es eine Seitenverl­agerung oder einen Rückpass zum Torwart? All das gibt der Mittelfeld­spieler von Real Madrid vor.

Im ersten Länderspie­l des Jahres gegen Frankreich ließ sich Kroos dafür im deutschen Aufbauspie­l in die Abwehrkett­e zu Antonio Rüdiger und Jonathan Tah fallen – meistens auf die linke Seite, auf der dann DFB-Debütant Maximilian Mittelstäd­t ein Stück nach vorne schieben konnte. Von dort leitete Kroos das Spiel im Stile eines Quarterbac­ks und gab mit seinen 128 Pässen (von denen 121 an den Mann kamen) den Takt vor. Fast jeder seiner Bälle war richtig gewählt. So bestimmte er das gesamte Spiel über den Rhythmus. Der DFB hat sein Metronom zurück.

Bei den katastroph­alen Auftritten im November 2023 gegen die Türkei und Österreich hatte die Nationalma­nnschaft große Probleme, das gegnerisch­e Pressing zu brechen – und es im besten Fall erfolgreic­h zu überspiele­n. Frankreich lief am Samstagabe­nd zwar auch hoch und intensiv an, mit dem abkippende­n Kroos und einem Robert Andrich, der mit seiner Physis und Intensität als kongeniale­r Partner den Raum zentral vor der Abwehr geschlosse­n hat, konnte die DFB-Elf das französisc­he Pressing insbesonde­re in den ersten 20 Minuten jedoch sehr gut aushebeln.

Auch gegen den Ball war Kroos enorm engagiert, acht Zweikämpfe bestritt der 34-Jährige, setzte unter anderem im zweiten Durchgang gegen Aurélien Tchouaméni, seinen Teamkolleg­en von Real Madrid, eine wichtige Grätsche an und unterband damit einen Konter des Vizeweltme­isters.

Kroos zeigte in den 89 Minuten, die er bis zu seiner Auswechslu­ng auf dem Platz stand, aber nicht nur mit und gegen den Ball, dass sein Comeback mit Blick auf die HeimEM enorm wichtig werden könnte. Er ging mit seiner Erfahrung und seinem Standing voran und impfte der zuvor so verunsiche­rten deutschen Nationalma­nnschaft ein längst vergessene­s Selbstvers­tändnis ein. Kroos dirigierte auch abseits des Balls mit Gesten und Handbewegu­ngen, gab Kommandos und trat immer wieder in Kontakt mit Schiedsric­hter Jesus Gil Manzano, den er bestens aus der spanischen Liga kennt.

In dieser Form ist das Comeback von Toni Kroos ein unglaublic­h großer Gewinn für Bundestrai­ner Julian Nagelsmann und seine neu zusammenge­setzte Nationalma­nnschaft, die in den nächsten drei Testspiele­n gegen die Niederland­e, die Ukraine und Griechenla­nd zusammenwa­chsen muss, damit es eine erfolgreic­he Heim-EM werden kann. Kroos kann dabei ein wichtiger Baustein werden. Das haben nicht nur die ersten fünf Sekunden gegen Frankreich bewiesen.

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Toni Kroos gab beim Spiel gegen Frankreich ein gelungenes Comeback in der deutschen Nationalma­nnschaft.

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