Wie eine Welle aus Kraft und Licht
Der große italienische Pianist Maurizio Pollini starb im Alter von 82 Jahren in seiner Heimatstadt Mailand. Sein Kosmos reichte von Bach bis Nono und Boulez.
Am besten nähert man sich ihm mit dieser wunderbaren Box der Deutschen Grammophon aus acht CDs, die der Zusammenarbeit des Pianisten Maurizio Pollini und des Dirigenten Claudio Abbado gewidmet ist. Sie waren ja nicht nur Landsleute und Freunde. Sie einte auch der hungrige Geist, der eben nicht bei Brahms oder Mahler Schluss machte, sondern Türen aufstieß zu Räumen, die keine kulinarische Kost bereithielten.
Dem großen Maurizio Pollini, der jetzt 82-jährig in Mailand gestorben ist, könnte man natürlich in seinen furiosen Chopin-Aufnahmen begegnen, etwa den beiden Aufnahmeserien der Etüden (von 1960 und 1972), die schon unheimlich gut beginnen. Die Dreiklangsbrechungen der C-Dur-Etüde sind bei Pollini rauschende Salti, die von einem eisern gespannten Trampolin hochschießen, und die ameisenhafte Chromatik der a-Moll-Etüde kennt keine Sekunde pianistischer Trittunsicherheit.
Doch jene Box mit Abbado konfrontiert uns mit der Bandbreite des Pollinischen Denkens: hier die Beethoven-Konzerte, die BrahmsKolosse, das fruchtige SchumannKonzert.
Aber dann eben auch Konzerte von Schönberg (als radiologische Durchdringung), von Bartók (als pianistischer Gesang freier Geister) und von Luigi Nono – nämlich das atemberaubende „Como una ola de fuerza y luz“, in dem Pollini und Abbado den politischen Diskurs Nonos aufgreifen.
Für Pollini war Klavierspiel eine soziale Reflexion, eine Begehung menschlicher Höhen und Tiefen. Brillanz war für ihn allenfalls Mittel zum Zweck. Auch in Beethovens Sonaten glückten ihm hinreißende Momente dieser klingenden Verbindung aus Scharfsinn und Humanismus. Aus Pierre Boulez’ zweiter Sonate machte er sprechende Musik, die jenseits aller Kantigkeit eine ungeahnte Sinnlichkeit besaß.
Anfangs hätte ihm die Enge des Musikbetriebs zum Verhängnis werden können. Seine Karriere begann nämlich mit dem Schulterzucken des großen Artur Rubinstein, der 1960 in der Jury des ChopinWettbewerbs saß: „Dieser Knabe spielt besser als jeder von uns!“Der 18-jährige Pollini hatte soeben in Warschau die Konkurrenz niedergespielt und die Aufmerksamkeit der Schallplattengesellschaft Emi auf sich gezogen. Sie bat den Italiener nach London, damit er mit Chopin die Welt erobere. Bald erschrak er. Wollte er als Schmalspur-Virtuose bekannt werden? War da nicht noch vieles andere?
Dieser Moment des Innehaltens, der Reserviertheit gegenüber dem reinen Thrill zeichnete Pollini lebenslang aus. Für ihn und sein Spiel galt der Titel jenes Nono-Werks geradezu perfekt: wie eine Welle aus Kraft und Licht.